Zuzug und Flüchtlinge:Die fiktive Obergrenze

Zuzug und Flüchtlinge: Im idyllischen Aying wird der Flächennutzungsplan neu aufgestellt.

Im idyllischen Aying wird der Flächennutzungsplan neu aufgestellt.

(Foto: Claus Schunk)

Viele Gemeinden im Landkreis München haben sich einem moderaten Wachstum verschrieben. Doch egal ob in Aschheim, Ottobrunn oder Aying. Die Realität holt die Prognosen ein.

Von B. Köster, I. Hilberth, B. Lohr und M. Mühlfenzl, Landkreis

Der Landkreis München boomt. Durch die gute Wirtschaftslage zieht es immer mehr Menschen in die Kommunen, die die bayerische Landeshauptstadt säumen. Allein in den nächsten 15 Jahren soll die Bevölkerung um 13,4 Prozent ansteigen, wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung besagt. 80 000 Menschen kommen dazu, so viele wie in der Stadt Rosenheim leben.

Eigentlich. Denn bei der Erstellung der Prognose war eines noch nicht bekannt: Dass sich derzeit so viele Menschen wie noch nie zuvor auf der Flucht vor Krieg und Gewalt befinden und auch im Landkreis München ankommen. Dadurch könnte jetzt auch ein Instrument zur Bevölkerungsplanung ins Wanken kommen: die Einwohner-Obergrenze. Diese haben sich einige Kommunen selbst auferlegt, um Wachstum zu bremsen.

"Wir sind auch stolz darauf, ein Dorf zu sein", sagt Aschheims Bürgermeister

Die Gemeinde Aschheim zum Beispiel hat festgelegt, dass pro Jahr nicht mehr als 138 Menschen neu nach Aschheim ziehen sollen. Das hat infrastrukturelle Gründe, so sollen beispielsweise die Kapazitäten in der Kinderbetreuung nicht überlastet werden, wie Bürgermeister Thomas Glashauser (CSU) erklärt. Aber auch ideelle Gründe: "Wir sind auch stolz darauf, ein Dorf zu sein." Ein Dorf, das Neuzugezogene auch schnell integrieren kann. Und genau da kommt auf die kleine Gemeinde eine große Aufgabe zu. In Aschheim, wo die ersten Flüchtlinge mittlerweile einen positiven Asylbescheid erhalten haben, ist man sich noch nicht sicher, was das für die Obergrenze bedeuten wird. "Das müssen wir zunächst intern im Gemeinderat diskutieren", meint Bürgermeister Glashauser. "Generell muss man in dieser Situation vieles neu denken."

Auch in Unterhaching hat sich der Gemeinderat im Zuge der Diskussion über die Ortsentwicklung auf eine Obergrenze von 28 000 Einwohnern verständigt. Die Kommunalpolitiker haben sich dabei an der maximalen Bevölkerungszahl von 30 000 orientiert, auf die sowohl das Unterhachinger Wasserkontingent der Stadtwerke München als auch das Abwasserkontingent ausgelegt sind. "Auch aufgrund der sozialen Infrastruktur kann das Wachstum nicht unbegrenzt weitergehen", sagt Rathaussprecher Simon Hötzl, auch wenn sich die Landeshauptstadt vorstelle, das Umland könne ihre Probleme lösen. "Wir werden auf der Bremse bleiben", so Hötzl. Diese Obergrenze sei allerdings ein "Planzielgröße" und hätte sich an Nachverdichtungspotenzial und möglichen Neubauvorhaben orientiert.

Die Planzielgröße erreicht Unterhaching bis 2030 auch ohne Flüchtlinge

Derzeit wohnen etwa 24 000 in der zweitgrößten Kommune des Landkreises, Prognosen aus dem vergangenen Sommer zufolge wird ein Anstieg von 13,6 Prozent bis im Jahr 2030 erwartet - damit wäre die Planzielgröße schon fast erreicht. Mögliche anerkannte Asylbewerber von den derzeit in der Gemeinde unterzubringenden 641 waren in dieser Rechnung noch nicht berücksichtigt. "Über diese Thema wird der Gemeinderat noch genau diskutieren müssen", sagt Hötzl. Insofern sei es günstig, dass der Prozess der Ortsentwicklung mit Bürgerbeteiligung noch nicht abgeschlossen sei.

Der Gemeinde Ottobrunn hat das Statistische Landesamt für das Jahr 2022 einen Anstieg der Bevölkerung auf 21 040 Menschen prognostiziert - und sich damit gewaltig getäuscht. Denn exakt diese Zahl erreichte die Gemeinde mit Stand vom 31. Dezember 2015. "Wir wachsen immer noch schneller, als es uns die Statistiker vorhergesagt haben", sagt Bürgermeister Thomas Loderer (CSU). "Aber wir sind darüber nicht unglücklich. Schon um die Infrastruktur auf Dauer aufrecht erhalten zu können, sei ein anhaltender Zuzug unumgänglich: Loderer selbst geht von weiteren 1400 bis 1500 Neubürgern in den kommenden sieben Jahren aus. "Ohne die Flüchtlinge", sagt der Rathauschef.

Aber auch diese Herausforderung - Ottobrunn muss in diesem Jahr mindestens 572 Flüchtlinge unterbringen - werde seine Gemeinde meistern. "Wer, wenn nicht wir", sagt Loderer. "Wir haben die urbane Infrastruktur dafür." Die Kommunalpolitik werde aber ob der Flüchtlingsthematik nicht vergessen, weiter Wohnraum für bereits hier lebende Ottobrunner zu schaffen: "Das muss Hand in Hand gehen - und wir sind vorbereitet."

Haars Bürgermeisterin bezweifelt, dass eine Wachstumsbegrenzung funktioniert

In Haar war Anfang 2014 die Aufregung groß, als eine Expertise ergab, dass die Gemeinde bis 2030 um ein Drittel auf bis zu 30 000 Einwohner zulegen könnte. Die Untersuchung sollte vor allem zeigen, wie sich durch das neue Wohngebiet Jugendstilpark, das 2000 zusätzliche Einwohner bringen wird, die Infrastruktur weiterzuentwickeln hat. Aber es ging auch um Nachverdichtung und den Zuzug allgemein. Als die Zahl von 30 000 Einwohner plötzlich im Raum stand, bemühte sich das Rathaus schnell, diese zur relativieren. Sie hatte eins von drei - und zwar das offensivste und nicht unbedingt realistischste - Wachstumsszenarien beschrieben. Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) will heute keine Prognosen mehr anstellen. Die Unsicherheit sei groß, sagt sie.

Sie frage sich, ob eine wie auch immer geplante Wachstumsbegrenzung "noch funktioniert". Für erfolgsversprechender hält sie, Bauherren an ihre soziale Verpflichtung zu erinnern. Haar orientiert sich seit Jahren am Münchner Modell der sozialgerechten Bodennutzung (Sobon) und fordert von Bauwilligen, einen gewissen Prozentsatz Wohnungen für Geringverdiener zu schaffen. Im Jugendstilpark wird es etwa 90 solcher preisgünstiger Wohnungen geben.

Über solche Wohnungen im Geschosswohnungsbau denkt man in Aying jetzt auch verstärkt nach. Bisher galt die einfache Formel, dass bei einem moderaten Anstieg von 80 Bürgern im Jahr die auf Zuwachs geschaffene Infrastruktur an Schulen und Kindertagesstätten bis zum Jahr 2030 ausreichen würde. Doch auch Bürgermeister Johann Eichler (PWH) hat angesichts des Zuzugs und der Flüchtlinge, die nach einer Anerkennung ihres Asylantrags zu Ayingern werden, die unterzubringen sind, angefangen, neu zu rechnen. Soeben wird der Flächennutzungsplan neu aufgestellt. Da kommen sowieso alle Fakten auf den Tisch. Auf jeden Fall, sagt Eichler, werde man darauf zu achten haben, den ländlichen Charakter der Dörfer zu wahren. "Das darf man nicht aufs Spiel setzen", sagt er, "das wird ein Spagat."

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