SZ-Lesercafé in Ottobrunn:Es wird eng

Ottobrunn, Eiscafe Venezia, SZ-Lesercafe, Foto: Angelika Bardehle

Auf eine Cappuccino mit der SZ: Im Eiscafé Venezia gab es viele Gesprächsthemen.

(Foto: Angelika Bardehle)

Dass sie vom Verkehr eingeschnürt werden, beklagen die Bewohner des gesamten Münchner Ostens. In Ottobrunn ist die Situation besonders dramatisch, weil der Gemeinde jede Entwicklungsmöglichkeit fehlt. In Höhenkirchen ist derzeit der Mangel an Kita-Plätzen das große Thema.

Von Daniela Bode, Stefan Galler, Christina Hertel und Martin Mühlfenzl, Ottobrunn

Ottobrunns Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) ist zu Fuß gekommen, FDP-Gemeinderat Axel Keller wie immer mit dem Rad. Und auch Polizeichef Armin Ganserer hat das Dienstfahrzeug nicht bemüht. Da liegt die Vermutung nahe, Ottobrunn sei so klein und das Auto spiele in der Gemeinde eine untergeordnete Rolle. Das ist freilich mitnichten so. Beim SZ-Lesercafé im Ottobrunner Eiscafé Venezia schräg gegenüber von Loderers Amtssitz spielt vor allem ein Thema eine bedeutende Rolle und liegt auch den Gästen aus Neubiberg, Höhenkirchen-Siegertsburnn, Brunnthal, Hohenbrunn und Putzbrunn ganz besonders am Herzen: der Verkehr.

Die Redaktion der Süddeutschen Zeitung für den Landkreis München ist nach Ottobrunn gekommen, um direkt von ihren Lesern und zahlreichen Kommunalpolitikern zu hören, was den südöstlichen Landkreis bewegt. Und Fakt ist: Allzu oft gibt es keine Bewegung. Wenn etwa auf der Rosenheimer Landstraße in Ottobrunn überhaupt nichts geht. Wenn sich im Gewerbegebiet Brunnthal alles staut. Aber auch dann, wenn die Bürger im Landkreis auf schnelle Verbesserungen beim öffentlichen Nahverkehr oder eine verständliche Tarifreform warten.

Ottobrunn, Eiscafe Venezia, SZ-Lesercafe, Foto: Angelika Bardehle

Reges Treiben im Eiscafé Venezia beim, SZ-Lesercafe.

(Foto: Angelika Bardehle)

Die mehr als hundert Interessierten im Eiscafé Venezia, die am Dienstag bei sommerlichem Wetter in die Ottobrunner Ortsmitte gekommen sind, machen aber auch klar, dass sie gerne in der Region leben. Dass ihre Gemeinden viel Lebenswertes bieten - das es auch zu erhalten gilt.

Die Gemeinde Ottobrunn stößt an ihre Grenzen

Besonderen Wert darauf legen sie in der Gemeinde Ottobrunn - und sind dazu auch gezwungen. Die flächenmäßig kleinste Kommune des Landkreises stößt mit ihren mehr als 23 000 Einwohnern nicht nur wörtlich an ihre Grenzen und fühlt sich von den Nachbarn arg bedrängt. Dass dies so ist, liegt an einem kuriosen Zufall, weiß Ludwig Bößner beim SZ-Lesercafé zu berichten: Als 1953 im Unterhachinger Gemeinderat die Eigenständigkeit Ottobrunns beschlossen wurde, saß sein Vater als einer von sieben Ottobrunner Vertretern in dem Gremium; ihnen gegenüber gab es nur sechs Unterhachinger. Als es zur Abstimmung kam, war aber ein Ottobrunner Gemeinderat unauffindbar, die Mehrheit damit futsch - und der Ottobrunner Plan, das Gebiet östlich der Autobahn der neuen Gemeinde zuzuschlagen vom Tisch. Das gehört heute noch zu Unterhaching und die Ottobrunner wissen nicht, wo sie sich noch hin entwickeln sollen. Auf den beiden Hauptverkehrsadern tobt der Verkehr - und Bürgermeister Loderer über die Nachbarn. Diese beständige geografischen Enge hat auch zur Folge, dass in Ottobrunn zwar neue Ideen wie eine Trambahn über die Rosenheimer Straße diskutiert werden, aber wenig Anklang finden.

Ottobrunn, Eiscafe Venezia, SZ-Lesercafe, Foto: Angelika Bardehle

SZ-Redaktionsleiter Lars Brunckhorst begrüßt Gäste im Eiscafé.

(Foto: Angelika Bardehle)

Anders als in Neubiberg. Dort wird etwa die sogenannte Uni-Tram von allen Seiten befürwortet. Auch Bürgermeister Günter Heyland ist Fan der Straßenbahn. Und natürlich auch des zweigleisigen Ausbaus der S 7, der in allen Gemeinden auf dem Ost-Ast Konsens ist, aber bisher so unwahrscheinlich erscheint wie eine Gebietserweiterung Ottobrunns. Radfahrer und Gemeinderat Axel Keller nennt den Ausbau ganz entspannt im Eiscafé eine "Jahrhundertentscheidung". Thomas Loderer sagt, diese müsse ganz behutsam getroffen werden. Für Ottobrunn und auch Höhenkirchen-Siegertsbrunn hängt viel an diesem Projekt - nicht nur finanziell: Es geht auch darum, wie und ob die Ortsteile, die bisher noch durch Bahnübergänge getrennt werden, zusammenwachsen können. Die Ottobrunner wünschen sich, dass die S-Bahn in einem Trog verschwindet und Autos, Fußgänger und Radler darüber von West nach Ost fahren oder gehen.

Ottobrunn, Eiscafe Venezia, SZ-Lesercafe, Foto: Angelika Bardehle

Auch Neubibergs Bürgermeister Günter Heyland (links) sowie Werner Karl und Armin Ganserer von der Polizeiinspektion Ottobrunn waren ins SZ-Lesercafé gekommen.

(Foto: Angelika Bardehle)

Kinderbetreuung in Höhenkirchen ist teurer geworden

Während die Ottobrunner unter dem Verkehr ächzen, stöhnen in Höhenkirchen-Siegertsbrunn Eltern über fehlende Kita-Plätze. Schwangere, Mütter und Väter mit Kleinkindern sind aus Höhenkirchen-Siegertsbrunn ins Eiscafé gekommen. Sie treiben zwei Fragen um: Ist die Betreuung ihrer Kinder im Herbst gewährleistet? In der Kommune stehen momentan mehr als 60 Kinder auf einer Warteliste. Und: Wie sollen sie sich Kindergarten- und Krippenplätze noch leisten können? Wilhelm Horlemann, ein Vater von zwei Kindern, erzählt, dass seine Frau schon die Stunden in der Arbeit aufgestockt hat - sonst würde es eng werden: In Höhenkirchen-Siegertsbrunn könnten die Gebühren für einen Kindergartenplatz massiv erhöht werden - um bis zu 70 Prozent. Endgültig beschlossen ist das nicht - der Gemeinderat entscheidet im Juli - trotzdem sind die Eltern alarmiert.

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Zahlreiche junge Mütter sind ihrer Bürgermeisterin Ursula Mayer von Höhenkirchen-Siegertsbrunn ins SZ-Lesercafe gefolgt.

(Foto: Angelika Bardehle)

Horlemann hat ausgerechnet, dass er im Jahr um die 1300 Euro an Betreuungsgebühren für seine beiden Kinder zahlen müsste. "Das wäre ein schöner Jahresurlaub." Er und die anderen wollen von Bürgermeisterin Ursula Mayer (CSU) wissen: Warum ist das so? Und Mayer erklärt: Jedes Jahr gebe es in ihrer Gemeinde 300 000 Euro ungedeckter Kosten in der Kinderbetreuung - Geld also, auf dem die Gemeinde sitzen bleiben würde. "Wären wir eine Firma, würden wir entweder das Angebot zurückschrauben oder die Preise teurer machen." Doch beides will Mayer eigentlich nicht. Deshalb müssten die Eltern bloß 52 Prozent dieser Kosten übernehmen. Das soll auch in Zukunft so bleiben.

Weil die Bürgermeisterin jedoch zum Beispiel zwei neue Stellen für die Kinderbetreuung schaffen musste, müssten die Eltern insgesamt tiefer in die Tasche greifen. Den Eltern gefällt das zwar nach wie vor nicht - trotzdem scheinen sie die Argumente der Bürgermeisterin zu verstehen. Besonders gut kam ein Vorschlag von ihr an: Sie will eine Whatsapp-Gruppe gründen und darüber die Eltern mit Informationen versorgen. Weil eben vieles, was im Gemeinderat entschieden und besprochen werde, falsch interpretiert werde.

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Diskussionsstoff gab auch jenseits des Verkehrs zuhauf.

(Foto: Angelika Bardehle)

Diskussion über Bauen in die Höhe

Das kann den Ottobrunnern nicht passieren, wenn es um die künftige Ortsentwicklung geht. Lange verstricken sich Loderer, Keller, Reinhard Pohl und Thomas Diessel in ein Gespräch darüber, wo denn noch gebaut werden könnte. Alle vier kennen die Antwort - und schließen sie gleich kategorisch aus: in die Höhe. "Die Ottobrunner wollen das nicht", sagt Pohl. "Noch nicht." Mehrstöckige Wohngebäude würde zwar das Problem der Wohnungsnot leicht lindern, eröffneten aber neue Baustellen, sagt Loderer: "Dann muss auch die Infrastruktur nachgeschoben werden. Kitas, Schulen und, und, und." Daher ist ihnen auch der Ärger anzumerken, als die Begriffe "Taufkichen" und "Gewerbegebiet" im Eiscafé fallen. "Die wollen uns ein Gewerbegebiet vor die Nase stellen, den Verkehr bei uns ablagern und sich mit den Steuern die Taschen vollstopfen", sagt Reinhard Pohl. Freundschaft unter Nachbarn sieht anders aus.

Ottobrunn, Eiscafe Venezia, SZ-Lesercafe, Foto: Angelika Bardehle

Ottobrunns Bürgermeister Thomas Loderer diskutiert angeregt mit Bürgern über die Verkehrssituation.

(Foto: Angelika Bardehle)

Klostermeier:"Mir geht es blendend."

In Neubiberg sorgt derweil die Nachricht, dass der Bau der Gemeinschaftsunterkunft auf dem Grundstück an der Äußeren Hauptstraße gestoppt ist, für Überraschung. "Das war für mich auch neu", sagt Bürgermeister Günter Heyland (Freie Wähler). Ihn hatte der Stabstellenleiter Asyl aus dem Landratsamt auch erst am Montag nach der Kreisausschusssitzung gegen 16 Uhr darüber informiert. Wie es aussieht, will das Landratsamt laut Heyland aber das Grundstück nicht aus der Hand geben, sondern möglicherweise ein soziales Wohnungsbauprojekt anstoßen, mit dem auch Platz für anerkannte Asylbewerber geschaffen werden könnte. "Darüber können wir auch überörtlich reden", sagt Heyland. Über die Machbarkeit müsse erst gesprochen werden.

Im Laufe des Tages kommen viele Themen aus den südöstlichen Gemeinden zur Sprache, auch die Bürgermeisterwahl in Putzbrunn, die im Frühjahr 2018 stattfindet. Amtsinhaber Edwin Klostermeier (SPD) wirkt im Eiscafé sehr entspannt, lässt sich aber weiterhin nicht entlocken, ob er noch einmal antritt. Nur eines möchte der 61-Jährige im Kreise von SZ-Lesern und Journalisten klarstellen: "Ich höre immer Gerüchte, ich wäre gesundheitlich angeschlagen, und frage mich, woher das kommt." Im Ort habe es sogar einmal geheißen, man habe ihn mit einem Herzinfarkt unter dem Schreibtisch gefunden. Klostermeier, braun gebrannt, muss schmunzeln: "Mir geht es blendend", sagt er.

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