Sendlinger Mordweihnacht:Figuren aus dem Reich der Fantasie

Gotzinger Trommel, Erinnerungsstück an die Sendlinger Mordweihnacht

"Lieber bairisch sterb'n als wie kaiserlich verderb'n", - die Gotzinger Trommel, die zum Kampfe rief, ist eines der Relikte der Mordweihnacht.

(Foto: Bernhard Megele)

Der Unterhachinger Heimatpfleger räumt mit Mythen und Legenden über die Sendlinger Mordweihnacht auf

Von Michael Morosow, Unterhaching

Internationaler Terrorismus, Kriegsgemetzel, Epidemien, Naturkatastrophen, Hungerelend und die halbe Menschheit auf der Flucht - die Welt ist aus den Fugen geraten, zweifelsohne. Und dann flüstert doch glatt während eines Vortrages im Unterhachinger Kubiz ein Zuhörer seiner Begleiterin ins Ohr: "San ma froh, dass wir heute leben." Sieht der Mann keine Nachrichten?

Wohl schon, aber an diesem Abend entführt der Unterhachinger Heimatpfleger Günter Staudter seine Zuhörer in das an Leid und Elend, Grausamkeit und Ungerechtigkeit nicht minder reiche 18. Jahrhundert und schilderte einen der bittersten Momente der bayerischen Geschichte: die "Sendlinger Mordweihnacht" von 1705, in der die österreichischen Besatzungstruppen vor den Toren Münchens einen seit langem schwelenden Volksaufstand abwehrten und die aus dem ganzen Oberland herbeimarschierten Bauern, Handwerker und Knechte erbarmungslos abschlachteten. Mehr als tausend Männer verloren ihr Leben in einem von vorneherein aussichtslosen Kampf.

Staudter hatte sich vor mehr als 40 Jahren sehr intensiv mit dem Bauernaufstand beschäftigt, als er 1974 seine Zulassungsarbeit zur ersten Prüfung für das Lehramt Geschichte an Volksschulen verfasste. Titel: "Das patriotische und das soziale Motiv im Bayerischen Bauernaufstand von 1705/06." Circa 120 Besucher, mehr als zuletzt bei einer Bürgerversammlung, füllen den Saal im Kubiz. Als sie nach eineinhalb Stunden den Heimweg antreten, sind sie quasi entmystifiziert. Staudter hat ordentlich aufgeräumt mit der patriotischen Verklärung des Aufstandes.

Der ehemalige Geschichtslehrer, der sich als Student bei seinem Quellenstudium durch eine auch an Legenden reiche Geschichtsliteratur hatte wühlen müssen, räumt an diesem Abend zum Beispiel auf mit der Heldengeschichte über den "Schmied von Kochel", der angeblichen in den Reihen der Aufständischen gegen die Besatzer gekämpft und - heroisch - als letzter Mann gefallen sein soll. Für dessen Existenz fehlt bis heute jeder Nachweis, nicht nur Staudter sieht in ihm eine Fantasiegestalt aus der zum Mythos gewordenen Sendlinger Mordweihnacht.

Wie zum Beweis für die Heroisierung des angeblichen Bauernführers projiziert der Referent ein Bild von dem großen Fresko an der Außenwand der Sendlinger Kirche an die Wand, das den legendäre Schmied von Kochel darstellt, wie er, die bayerische Fahne in der Hand, als letzter Mann der Bauernstreitmacht die anstürmenden kaiserlichen Kavalleristen bekämpft. In Wirklichkeit wurden die Bauern durch falsche Berichte aufgewiegelt, und als viele von ihnen, der Sinnlosigkeit eines Ansturms auf München gewiss, umdrehen wollten, auch mit Gewalt auf dem Feld gehalten.

Und es war auch keine Vaterlandsliebe, die sie anspornte, es war vor allem das Leid, das die Besatzungsmacht aus Österreich über das Land brachte. Als Günter Staudter die verübten Exzesse der Soldateska schildert, schüttelt eine Zuhörerin angewidert ihren Kopf: "Ein Bauer wurde durch das Kinn an den Tisch genagelt, angesichts des Vaters und der Kinder die Mutter vergewaltigt; auch Jungfrauen und im Kindbett Liegende wurden nicht verschont. Willkürlich wurde das Vieh geschlachtet, die Feldfrüchte zertreten, die Obstbäume umgeschnitten."

Nimmt man es genau, dann war das, was sich in der Nacht zum 25. Dezember 1705 abgespielt hatte, keine Schlacht, sondern ein Kriegsverbrechen, ein Massaker. In Schäftlarn beim Kloster hatten sich die Aufständischen aus den zwischen Loisach und Isar gelegenen Orten versammelt, um von hier aus ihren Vormarsch gegen München anzutreten. Bauern aus dem Oberland, bewaffnet mit veralteten Büchsen, Spießen, Hellebarden, Sensen, Morgensternen oder Mistgabeln. Vom Kriegshandwerk verstanden nur die wenigsten etwas. Es waren Bauernsöhne, Knechte, Kuhhirten, Schreiber, Flößer oder Handwerker - die jüngsten zwölf, der älteste 80 Jahre alt.

Auf der anderen Seite eine schwer bewaffnete Soldateska, die keinen Pardon kannte. Selbst Bauern, die sich ergeben und die Waffen niedergelegt hatten, wurden niedergemetzelt, auch wer in der Kirche Schutz suchte, entging nicht den Bajonetten und Feuerwaffen der kaiserlichen Truppen.

Aus dem Gebiet der heutigen Gemeinde Aying ist eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Freiwilligen verbrieft, die sich der sogenannten Landesdefension gegen die kaiserlichen Truppen angeschlossen hatte. Elf Mann fielen, zwölf wurden gefangen genommen. Marcus Everding hat für die Ayinger Gmoa Kultur "Ihr habt Pardon" geschrieben, das 2011 aufgeführt wurde.

Südlich von Unterhaching, im Gerichtsbezirk von Wolfratshausen, erfolgte ein Aufgebot, dem 32 Mann gefolgt sind. Davon fielen 14, 15 wurden gefangen, drei entkamen. Der Oberhachinger Pfarrer und Heimatforscher Karl Hobmair zählt die Namen von sieben Gefallenen der Pfarrei Oberbiberg auf, in Großdingharting sind am Eingang der Kirche die Namen von fünf Gefallenen auf einer Gedenktafel zu lesen.

Und der Schmied von Kochel? Er lebt weiter, trotzt aller Zweifel an seiner Existenz. Der Hachingertaler Dreigsang tritt jedes Jahr bei der Schmied-von-Kochel-Gedenkfeier in Sendling auf. Der Vortrag von Günter Staudter wäre zu dieser Gelegenheit weniger passend.

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