Vorbild Haar:Bauen im grünen Bereich

Vorbild Haar: Ein Ensemble unter Denkmalschutz - der Jugendstilpark.

Ein Ensemble unter Denkmalschutz - der Jugendstilpark.

(Foto: Claus Schunk)

Keine aufgebrachten Bürger, keine Proteste, keine verzeifelten Denkmalschützer: Der Jugendstilpark auf dem Gelände des ehemaligen Bezirkskrankenhauses in Haar zeigt, dass Nachverdichtung auch unter schwierigen Bedingungen gelingen kann

Von Bernhard Lohr

Die Losung lautete: Nichts wie raus. Die Fahrt mit der Bahn ins Münchner Umland bot zur Jahrhundertwende vielen die einzige Gelegenheit, für Stunden die beengten Wohnverhältnisse in der Stadt hinter sich zu lassen. Es ging ins Isartal, nach Starnberg und - in deutlich begrenzterem Maß - ins damals noch weit im Osten gelegene Haar. Eine Bahnhofsrestauration mit Pavillon lockte Gäste bei schönem Wetter. Die Lust aufs Land war weit verbreitet. Laubenhüttenkolonien entstanden und Gartenstädte. Man könnte auch sagen: Kollektiver Stressabbau war angesagt, in einer Stadt, in der 1905 auf deutlich engerem Raum als heute 540 000 Menschen lebten.

Vor diesem Hintergrund verwundert nicht, dass Mediziner dem Landleben damals auch für Psychiatriepatienten heilsame Wirkung zuschrieben. Der Zeitströmung folgend wurde 1905 vor den Toren Münchens eine für damalige Verhältnisse einzigartige Heil- und Pflegeanstalt in Eglfing-Haar eröffnet. Deren parkähnliche Anlage mit Gebäuden im Pavillonstil und Werkstätten für die Patienten war eine Welt für sich. Sieben Jahre später war daran angrenzend bereits als Erweiterung eine ebenfalls bis ins Detail im Jugendstil gestaltete Anlage des Architekten Richard Neithard fertiggestellt. Heute ist das zweigeteilte Klinikareal mit etwa 90 Gebäuden ein Denkmal - und ein einzigartiger Fall für Nachverdichtung. Doch ein Aufreger, wie man meinen könnte, ist es nicht.

Den Ausgangspunkt bildeten vor gut zehn Jahren nicht die Begehrlichkeiten eines Investors. Vielmehr machte sich der Bezirk Oberbayern als Eigentümer daran, eine weitreichende Klinikreform umzusetzen, die auch als Abkehr von den hehren Ansätzen von vor 100 Jahren verstanden werden kann. Die psychiatrische Behandlung wird schrittweise dezentralisiert. An Kreiskliniken und zuletzt auch am Klinikum Schwabing entstehen Dépendancen. In Eglfing rückt man dafür zusammen und verdichtet. Es läuft ein Umbau zur Klinik der kurzen Wege. Das Erweiterungsareal des Jahres 1912, das Gelände Haar II, wie es auch heißt, erwarben 2010 Investoren, um Wohnraum zu schaffen.

Jugendstilpark Haar

Die Neubauten im Jugendstilpark sollen die bestehenden Gebäude nicht kopieren, sondern als moderne Gebäude erkennbar sein.

(Foto: privat)

Die Verantwortlichen im Haarer Rathaus traf das nicht unvorbereitet. Bereits 2003 hatten sie begonnen, sich Gedanken zu machen, wie das Projekt Nachverdichtung funktionieren könnte. Die Aufgabe war anspruchsvoll. 3000 Menschen sollen im nachverdichteten Jugendstilpark einmal wohnen, in einem möglichst harmonisch zusammengefügten Ensemble, das aus 30 Prozent historischen Gebäuden und 70 Prozent Neubauten besteht. Die Geschossfläche soll in dem Park um 70 000 auf 100 000 Quadratmeter anwachsen. Mit dem damaligen Haarer Bürgermeister Helmut Dworzak (SPD) und dem Architekten und Münchner Stadtheimatpfleger Gert F. Goergens nahm sich ein Gespann mit Gespür für stadtplanerische Herausforderungen der Aufgabe an. Die bis heute laufenden Arbeiten an einem Rahmenplan begannen. Schon 2005 präsentierte Goergens ein Modell. Im März 2006 wurde auf einem Fachsymposion über Möglichkeiten einer Bebauung diskutiert. Goergens spricht von einer einzigartigen Herausforderung für die Planer. "Ich finde den Jugendstilpark deshalb interessant, weil es eine Nachverdichtung ist, und zwar eine erhebliche. Gleichzeitig haben wir den Anspruch, den Charakter zu erhalten."

Es war also einiges passiert, als 2011 die Entscheidung fiel, auf Grundlage des Rahmenplans einen Bebauungsplan aufzustellen. Bis heute ringt das Rathaus gemeinsam mit Goergens' Büro um möglichst klare Vorgaben für die künftigen Bauherren. Es galt, Anforderungen der Investoren beim Baurecht abzuwehren und einiges festzuzurren: wo es ein Café geben wird, wo einen Supermarkt, wo Gewerbe und wo eine Kinderbetreuungseinrichtung und wo ein Seniorenheim. Noch im Zuge der Bauleitplanung kam es Anfang 2012 zum Architektenwettbewerb, bei dem schon früh gestalterische Details geklärt wurden. Dabei setzte sich der Entwurf des Münchner Büros Bogevischs gegen vier Konkurrenten beim Preisgericht durch.

Die Jury, die am 29. März 2012 in Haar die Entwürfe beurteilte, hatte zu entscheiden, mit welchen Neubauten der Charakter des historischen Jugendstil-Ensembles aus Park und Gebäuden erhalten bleiben kann. Rainer Hofmann vom Büro Bogevischs beschreibt, wie komplex die Aufgabenstellung ist. Der gesamte Bereich sei immerhin als Einzeldenkmal definiert, jeder Stein sei geschützt und jeder Baum. Hofmann sagt, "man könnte vermuten, dass da gar nichts geht. Ich glaube, in Bayern gibt es nichts Gleichwertiges". Dennoch wurde im Dialog mit dem Landesamt für Denkmalpflege eine Linie gefunden. Gebietsbetreuer Harald Gieß vom Landesamt hat viele Gespräche mit dem Rathaus und den Planern geführt. Er war Preisrichter beim Architektenwettbewerb. Und er ist zufrieden mit der Lösung des Büros Bogevischs, neben das Alte eine eigenständige, moderne Architektur zu setzen. Gieß hätte es für einen Fehler gehalten, Jugendstil-Kopien zu schaffen. "Was jetzt entsteht, sollte sich als jetztzeitig zu erkennen geben."

Vorbild Haar: Rainer Hofmann vom Architekturbüro Bogevischs überzeugte die Jury.

Rainer Hofmann vom Architekturbüro Bogevischs überzeugte die Jury.

(Foto: Rumpf)

Architekt Hofmann sagt, das Neue sei aus dem Bestand der an vielen Details reichen historischen Gebäuden entwickelt worden. Die Sichtachsen seien so gewählt, dass die historischen Bauten mit den neu gebauten Punkthäusern zusammen ein Bild ergäben. Charakteristisch für die Neubauten, die in Materialauswahl und Gestaltung eine Einheit bilden, sollen weiße Sichtziegelfassaden werden. Die Dächer sind geneigt wie bei den Jugendstilgebäuden, nur deutlich flacher, was als Zugeständnis an die Bauherren eine Etage mehr bringt. Die Häuser sind ohne Zäune und Balkone in den Park gesetzt. Dafür gibt es ähnlich zu den Jugendstilgebäuden Loggien. Hofmann spricht von der hohen Qualität des "durchfließenden Parks".

So hätte das auch Denkmalschützer Gieß sagen können, der bei der Entwicklung der planerischen Vorgaben für den Jugendstilpark eingebunden ist. Dieses Vorgehen im engen Dialog der Beteiligten hält er angesichts des Siedlungsdrucks in München für beispielhaft. Es sei besser, qualitätvoll im Denkmal zu verdichten, als gesichtslose Quartiere und Vororte zu produzieren. Das Bauen auf der Grünen Wiese sieht er ohnehin skeptisch. "Das wird sich München nicht ewig leisten können."

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