Verkehr im Münchner Norden:Vor dem Verkehrskollaps

Wie Tentakel einer mächtigen Krake reichen die S-Bahnlinien von der Münchner Innenstadt nach außen. Doch die Trassen passen nicht mehr zu den Pendlerströmen: In den Landkreis fahren Tausende zum Arbeiten - und stehen im Stau. Jetzt sollen Experten aus der Schweiz helfen

Von Martin Mühlfenzl, Landkreis

Nur wer viel Geduld mitbringt, wird sich des Themas Verkehrswesen ohne große Bauchschmerzen annehmen können. Das gilt für all jene, die jeden Morgen über verstopfte Straßen und Autobahnen in Richtung Arbeitsplatz pendeln; das trifft gleichermaßen auf Politiker und Planer zu, die eben diese Staus von den Straßen beseitigen und alternative Beförderungsmöglichkeiten ausbauen wollen. Autobahn-Südring, zweite Stammstrecke, Ausbau der A 99, Expressbusse. Die Liste der Projekte in der Landeshauptstadt und im Landkreis ist lang; die der Probleme kaum kürzer.

Einer der Lösungsansätze verbirgt sich seit Jahren hinter dem Begriff Tangential-Verbindung. Also einem quer angelegten Brückenschlag zwischen Kommunen auf dem ausschließlich sternförmig angelegten Münchner S-Bahnnetz. Der sogenannte S-Bahn-Nordring gehört zu den wichtigsten Vorhaben im Münchner Norden, um die Region verkehrstechnisch zu entlasten - und als herausragenden Wirtschaftsstandort zu sichern. In der Verkehrskonferenz des gesamten Münchner Nordens hat Stephan Reiß-Schmidt, Stadtdirektor der Landeshauptstadt, vergangene Woche nun die Trasse wieder ins Spiel gebracht.

S 7 Ausbau - S-Bahn Verlängerung nach Geretsried

Ein S-Bahn-Nordring könnte das öffentliche Verkehrsnetz entlasten.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Eine Ost-West-Verbindung vom Landkreis Fürstenfeldbruck über den Kreis Dachau, den Rangierbahnhof München Nord, Milbertshofen, Freimann bis zum Anschluss an die bestehende S-Bahntrasse in Trudering. Eine Tangentiale, die den Landkreis München zwar nur leicht auf Unterföhringer Gemeindegebiet touchiert - aber tatsächlich tangiert.

Wie die Tentakel einer mächtigen Krake reichen die S-Bahnlinien von der Münchner Innenstadt nach außen; die Anordnung der Trassen ist Ausdruck der Pendlerströme längst vergangener Zeiten: Lange Zeit fuhren Arbeitnehmer fast ausschließlich aus dem Umland in die Stadt zum Arbeiten - heute etwa, sagt Münchens Landrat Christoph Göbel (CSU), pendelten morgens deutlich mehr Menschen in den Landkreis als aus ihm heraus. Das trifft vor allem auf die Boom-Kommunen im Norden zu. Auf die Hochtechnologie- und Medienstandorte Unterföhring, Ismaning und Unterschleißheim, aber auch auf die Universitätsstadt Garching.

In Unterföhring etwa arbeiten nahezu doppelt so viele Menschen wie die Gemeinde Einwohner hat. "Mit unseren 18 000 Arbeitsplätzen begrüßen wir natürlich jeden Vorschlag, der die Verkehrssituation entspannt", sagt Bürgermeister Andreas Kemmelmeyer (PWU). "Der Nordring ist ein wichtiges Infrastrukturprojekt für die Region. Aber er ist auch nur ein Baustein." Denn noch sei der Verkehr auf der Straße über den Landkreis München mehr als ungleichmäßig verteilt, sagt Kemmelmeyer - und verweist auf eine Debatte, die im Süden Münchens immer wieder als längst beerdigt bezeichnet wird, von den Nord-Bürgermeistern hingegen konsequent weitergeführt wird. "Wir werden immer wieder auch den Autobahnsüdring anstoßen", sagt Kemmelmeyer über ein Projekt, das insbesondere in den Gemeinden Pullach und Grünwald vehement abgelehnt wird. "Auch wenn ich den Ringschluss wahrscheinlich nicht mehr erleben werde, setze ich mich weiter dafür ein", sagt der Unterföhringer Rathauschef. Wie auch für den Ausbau des Föhringer Rings, der als Bestandteil der Tangente 5-Nord eine der wichtigen Einfallstraßen aus dem Münchner Norden in Richtung Äußerer Ring der Landeshauptstadt darstellt - seit Jahrzehnten kämpft die Kommune um einen vierspurigen Ausbau des Föhringer Rings, da dieser ob seiner exponierten Lage in unmittelbarer Nähe zur Autobahn A 9 vollkommen überlastet ist. Daher sagt auch Kemmelmeyer: "Die Verkehrsprobleme im Münchner Norden können nur ganzheitlich gelöst werden. Wir müssen den öffentlichen Nahverkehr stärken - in alle Richtungen. Aber wir müssen auch den Straßenverkehr aus den Kommunen heraus bringen und verteilen."

Verkehr im Münchner Norden: SZ-Grafik

SZ-Grafik

Bedeutende Industriestandorte reihen sich von Karlsfeld im Landkreis Dachau über Unterschleißheim und Ismaning bis Unterföhring wie an einer Perlenklette von West nach Ost aneinander; heute sind die wichtigsten Verbindungen auf dieser Linie der Münchner Autobahnring sowie der Äußere Ring. "Diese Verbindungen reichen aber schon heute längst nicht mehr aus", sagt Münchens Landrat Göbel. Der Landkreis wünscht sich daher bei der Weiterentwicklung seiner Infrastruktur auch den Blick von außen. Daher hat der Kreis das renommierte Zürcher Unternehmen Ernst Basler + Partner mit der Erstellung einer Studie für den Landkreis beauftragt. Mit dieser, sagt Göbel, sollten Verkehrsströme untersucht, Konzepte für die sogenannte Intermobilität - also das Zusammenspiel von mindestens zwei Verkehrsarten - entwickelt, Möglichkeiten der Elektromobilität vorangetrieben werden. "Das ist ein ganz neuer Ansatz, der letztendlich in unsere übergeordnete Verkehrsplanung einfließen soll", sagt Göbel.

Die Herausforderungen seien auch und gerade im Landkreis München mit seinem engmaschigen Straßennetz und den insgesamt acht Autobahnen, die die Region durchschneiden, enorm. "Vor allem, wenn es darum geht, den Umstieg der Menschen auf öffentliche Angebote wie Bus oder Bahn anzupeilen. Und genau das muss ja unser Ziel sein", so Göbel. Die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Planungsbüro, das von Mitarbeitern der Technischen Universität München unterstützt wird, sei daher genau der richtige Ansatz, sagt der Landrat: "Denn wenn es um moderne Verkehrskonzepte in großen Agglomerationen geht, sind uns die Schweizer einfach weit voraus." Christoph Göbel weiß aber auch, dass es keine landkreiseigene Lösung geben wird. "Wir müssen über den eigenen Tellerrand hinausschauen", sagt der Landrat. "Da wäre so eine Tangentiale der richtige Ansatz."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: