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Verkehr der Zukunft: Fast wie der Traum vom Fliegen: In London schwebt bereits eine Seilbahn über den Docklands. Wenn es nach Landrat Christoph Göbel geht demnächst auch im Landkreis München.

Fast wie der Traum vom Fliegen: In London schwebt bereits eine Seilbahn über den Docklands. Wenn es nach Landrat Christoph Göbel geht demnächst auch im Landkreis München.

(Foto: Glyn Kirk/AFP)

Weil am Boden nichts mehr geht, will der Landkreis die Verkehrsprobleme in der Luft lösen: mit Seilbahnen. Eine erste Verbindung könnte über der Isar zwischen Pullach und Grünwald entstehen.

Von Stefan Galler

Eines wollte Landrat Christoph Göbel (CSU) sogleich im Keim ersticken: Dass irgendjemand diese Idee womöglich nicht ernst nehmen könnte. Erstaunt hatten die Mitglieder des Mobilitätsausschusses des Landkreises München einen Vortrag von Professor Harry Wagner verfolgt, der darüber referiert hatte, welch große Rolle Seilbahnen in urbanen Regionen bei der Bekämpfung der Verkehrsüberlastung spielen können.

"Dass man zum Arzt gehen soll, wenn man Visionen hat, kann auch nur einem Deutschen einfallen", sagte Göbel in Anspielung auf ein berühmtes Zitat, das dem sozialdemokratischen Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt zugerechnet wird.

Der Landrat sucht den breiten Konsens

Mit Parteipolitik hatte Göbels Aussage eine gute Woche vor der Bundestagswahl aber nichts zu tun, er suchte vielmehr einen breiten Konsens bei den Kreisräten: "Wir sind zu wenig visionär." Das sei immer schon so gewesen: "Was gab es einst für einen Aufstand, als zwischen Fürth und Nürnberg die erste Dampflok fuhr. Alle hatten Angst, dass das Teufelsding explodiert."

Aber man müsse sich etwas trauen, wenn man wirklich innovativ sein wolle. Weshalb er jetzt Gas geben will mit der Entwicklung von Seilbahnlösungen. Ein einstimmiges Votum dafür hat sich der Landrat bereits im Juli im Kreistag geholt.

Laut Harry Wagner liegt die von der immer höher werdenden Fahrzeugdichte auf den Straßen verursachte zusätzliche Reisezeit im Landkreis München für jeden Bürger heute bei durchschnittlich 31 Minuten pro Tag, was 119 Stunden jährlich ergibt, wenn man alle Werktage zusammenzählt. Alleine deshalb müsse man sich Gedanken machen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die "dritte Dimension", also in die Höhe, auszuweichen.

Und der Professor für Automotive und Mobility Management an der Hochschule für Mobilität in Ingolstadt (THI) brachte eine ganze Reihe guter Argumente für sein Gondel-Konzept vor: Da seien zunächst die Baukosten genannt, die Wagner auf acht Millionen Euro pro Kilometer Seilbahn bezifferte, sofern man eine Ein-Seil-Umlaufbahn wählt, die Kabinen bis zu zehn Personen zulässt und Windsicherheit für Böen bis zu 65 Stundenkilometer bietet.

Mit 21 Stundenkilometer durch die Luft

Die deutlich belastbareren und auch teureren Zwei- und Drei-Seil-Bahnen seien in urbanen Gegenden nicht notwendig: "Die verwendet man eher im Hochgebirge, zum Beispiel am Matterhorn." Zum Vergleich: Eine Bustrasse kostet laut der Ingolstädter Studie bis zu 20 Millionen Euro pro Kilometer, für Autobahnen müsse man mit 20 bis 150 Millionen rechnen und beim U-Bahnbau würden gar bis zu 250 Millionen Euro pro Kilometer fällig.

Klarer Vorteil also für die Seilbahn und auch in Sachen Geschwindigkeit könnte dieses Verkehrsmittel im öffentlichen Nahverkehr mithalten: Sechs Meter legt sie in der Sekunde zurück, macht 21 Stundenkilometer. "Man könnte die Geschwindigkeit in Nebenzeiten auch drosseln, etwa um Betriebskosten zu sparen", erläuterte der Professor. In Stoßzeiten jedoch dürften sich die 21 km/h als Trumpf erweisen, ein im Stau stehender Bus erreicht niemals so ein Tempo, selbst die Tram kommt nur auf 19 Stundenkilometer.

Am wichtigsten ist es laut Harry Wagner allerdings, um Akzeptanz in der Gesellschaft für ein solches Projekt zu werben. "Die Bürger muss man mitnehmen, sonst kann das nicht funktionieren", sagt er und verweist auf die klare Vorgabe, dass man keine Trasse über Wohngebieten realisieren dürfe.

Das mache die Routenfindung besonders schwierig, wie der Wissenschaftler feststellen musste, als er mit seinen Studenten eine konkrete Strecke für die Stadt Ingolstadt erarbeitete: "Nur zweimal mussten wir über die Gewerbegebiete der Audi AG, ansonsten war unsere vorgeschlagene Route durchgängig unbebaut." Übrigens ganz im Gegensatz zu Lateinamerika, wo Seilbahnlösungen etwa in Medellin/Kolumbien oder La Paz/Bolivien schon länger existieren und mitten durch Wohngebiete verlaufen.

Während in Ingolstadt das Projekt nicht umgesetzt wurde und mittlerweile - laut Wagner aus politischen Gründen - vom Tisch ist, zeigen sich die Münchner Kreisräte mehr als angetan von Wagners Vortrag. "Wir müssen zügig in die erweiterte Diskussion einsteigen", fordert der stellvertretende Landrat Otto Bußjäger (Freie Wähler): "Nutzen wir die Chance und werden Future City of Mobility!"

Edwin Klostermeier weiß schon eine Trasse

Auch die Vertreter aller anderen Fraktionen äußerten sich in der Sitzung wohlwollend bis euphorisch. Putzbrunns Bürgermeister Edwin Klostermeier (SPD) sagte augenzwinkernd, man könne gleich in seiner Gemeinde einen Feldversuch starten. "Ich weiß auch schon eine Trasse."

Markus Büchler (Grüne) sagte, dass man auf diese Weise fehlende ÖPNV-Querverbindungen im Landkreis nachrüsten könne: "Seilbahnen sind günstig, leise und sie passen zum Image des Raums München." Der Landrat wurde noch konkreter: Er könne sich sehr gut vorstellen, auf diese Art und Weise Grünwald und Pullach miteinander zu verbinden: "Der ganze Verkehr quält sich über eine Brücke", so Göbel. "Eine zweite Brücke über die Isar wird sicher nicht gebaut, und eine Unterführung können wir uns nicht leisten."

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