Unterschriften gegen Flüchtlinge:Grünwalder Abstiegsängste

Unterschriften gegen Flüchtlinge: Die jungen Betreuerinnen in der Traglufthalle können die Ängste in Grünwald nicht nachvollziehen.

Die jungen Betreuerinnen in der Traglufthalle können die Ängste in Grünwald nicht nachvollziehen.

(Foto: Claus Schunk)

Verena Luft betreut mit zwei jungen Kolleginnen in der Traglufthalle in Wörnbrunn 300 männliche Flüchtlinge. Dass Frauen Unterschriften gegen Asylbewerber sammeln, kann sie nicht nachvollziehen.

Von Martin Mühlfenzl, Grünwald

Zwölf männliche junge Flüchtlinge in einem Haus in der Nähe des Gymnasiums und eines Kindergartens? "Untragbar und beängstigend" sei das. Aber nicht nur wegen der Männer. Sondern: "Das Boot ist voll. Es ist genug!" Eine sehr konkrete Haltung, niedergeschrieben von mehreren Bürgerinnen in einem Text, der von einer Unterschriftenaktion begleitet wird. Bürgerinnen, die - das betonen sie auch - diese Wahrheit aussprechen müssten, weil "vertuscht und verheimlicht" wird. Aus Angst, so heißt es weiter, "der dumme" Bürger könne Ressentiments gegen Flüchtlinge hegen.

Das Boot, in dem dieser Text in der vergangenen Woche herumgereicht worden ist, heißt Grünwald. Jene Gemeinde, die in der Regel mit neuen Rekordeinnahmen bei der Gewerbesteuer oder der Auflistung als Steueroase durch Attac Aufsehen erregt.

Die Flüchtlinge sind natürlicher, sichtbarer Teil des Gemeindelebens

In Grünwald leben derzeit etwa 290 Flüchtlinge - vor allem junge Männer, darunter 160 aus Afghanistan Geflohene - in der Traglufthalle des Landkreises München in Wörnbrunn. Etwas abseits des Ortszentrums also, und dennoch sind die Flüchtlinge mittlerweile natürlicher und sichtbarerer Bestandteil des Gemeindelebens. "Man sieht sie natürlich, und das ist ja auch gut so. Wenn sie zum Beispiel an der Trambahnhaltestelle sind, weil es dort Wlan gibt und die Verbindung in Wörnbrunn sehr schlecht ist", sagt Ingrid Reinhart, Sprecherin des Grünwalder Helferkreises Asyl - um damit gleich ein Problem zu beschreiben: "Es gibt halt auch Grünwalderinnen, die sie da nicht sehen wollen. Die sie überhaupt nicht sehen wollen und dann auf so eine unsägliche Idee wie ein Bürgerbegehren kommen."

Denn genau diese Idee, ein Bürgerbegehren gegen die generelle Unterbringung von Flüchtlingen zu erreichen, steht hinter dem Ansinnen der Grünwalder Bürgerinnen. Eine Liste mit insgesamt sieben Signaturen haben sie in der vergangenen Woche an Rathauschef Jan Neusiedl (CSU) weitergeleitet - dabei verwies die Initiatorin, die namentlich nicht genannt werden will, aber darauf, dass mehrere hundert Grünwalder bereit seien, diesem Appell ebenfalls zu folgen. Unabhängig davon, das bestätigt die Verwaltung des Landratsamtes München, dass eine derartige Einflussnahme auf die Unterbringung von Flüchtlingen in einer Kommune vollkommen ausgeschlossen sei; ebenso das weiterführende Ansinnen der Initiatorinnen, sich mit einer Petition gegen die Unterbringung an den Bayerischen Landtag zu wenden.

Unterschriften gegen Flüchtlinge: Die jungen Betreuerinnen in der Traglufthalle können die Ängste in Grünwald nicht nachvollziehen.

Die jungen Betreuerinnen in der Traglufthalle können die Ängste in Grünwald nicht nachvollziehen.

(Foto: Claus Schunk)

Die Leiterin des Asylhelferkreises spricht von einer "diffusen Angst"

"Es ist eine diffuse Angst von sehr gut situierten Frauen, die nicht einmal mehr junge Kinder haben, dass hier von den Flüchtlingen eine reale Gefahr ausgeht", sagt Ingrid Reinhart, "gepaart mit dem Glauben, ganz Grünwald sei ihr erweitertes Wohnzimmer". Dieses Denken, sagt die Leiterin des Asylhelferkreises, sei auch in anderen Kommunen anzutreffen, aber: "In Grünwald ist das schon besonders ausgeprägt - bei einem kleinen Teil. Denn die überwiegende Mehrheit denkt nicht so."

Mittlerweile engagieren sich im Asylhelferkreis etwa 200 Grünwalder. "Und nach dieser schlimmen Aktion sind noch einmal sehr viele Anfragen dazu gekommen", sagt Reinhart. "Ich glaube, dass der Schuss gewaltig nach hinten los geht."

Drei junge Frauen betreuen 300 männliche Flüchtlinge. Angst kennen sie nicht.

Der Angst wollen auch die drei hauptamtlichen Mitarbeiterinnen vom Migranten- und Flüchtlingsverein Hilfe von Mensch zu Mensch in der Traglufthalle Wörnbrunn begegnen. "Drei auf 300", sagt Verena Luft, lacht und ergänzt: "300 junge Männer." Die 25-Jährige ist gemeinsam mit zwei Kolleginnen, 28 und 30 Jahre alt, für die Betreuung der Schutzsuchenden in Grünwald verantwortlich. Sie erzählt sehr offen über ihre Arbeit in der Traglufthalle und verschweigt dabei auch nicht, dass es immer wieder mal zu Streitereien und Auseinandersetzungen komme - etwa zwischen Männern aus dem arabischen und afrikanischen Raum. "Es sind immer Konflikte unter den Bewohnern. Und auch mal mit den Sicherheitsleuten", sagt Luft. "Denn auch bei denen gibt es sehr verständnisvolle, aber auch eben weniger sensible. Das ist ganz normal."

Was sie von der Unterschriftenaktion in Grünwald hält? Und vor allem der drohenden Gefahr für junge Frauen, zu denen sie ja auch noch gehört? "Gar nichts", sagt sie. "Das erste ist Stimmungsmache - und das zweite bei uns einfach noch nicht vorgekommen. Wir wären ja die ersten, die davon betroffen wären." Aber es gebe keine Gründe, die Halle mit Angst zu betreten "Im Umgang sind die Männer sehr höflich, zuvorkommend und sie sind lernwillig."

Verena Luft

Verena Luft von "Mensch zu Mensch e.V." kümmert sich als eine von drei hauptamtlichen Mitarbeiterinnen um die Asylbewerber in der Traglufthalle im Grünwalder Gemeindeteil Wörnbrunn.

(Foto: privat)

Helfer geben Deutschkurse und kochen mit den Flüchtlingen

Auf zwei Ebenen versuchen Luft und ihre Kolleginnen das wirklich Beste für die Flüchtlinge herauszuholen: Zum einen in Kooperation mit den Mitarbeitern des Helferkreises, die zwei Mal am Tag Deutschkurse abhalten, mit den Flüchtlingen im evangelischen Gemeindezentrum drei Mal in der Woche kochen und, das sagt Luft, die genau so höflich behandelt werden. Auch in Zusammenarbeit mit den Sportvereinen und der Musikschule. Zum anderen gemeinsam mit der Gemeinde; jeden Dienstag findet ein Jour fixe im Rathaus statt, bei dem offen ausdiskutiert wird, was die Flüchtlinge, aber auch die Bürger benötigen. "Um ein Zusammenleben möglich zu machen. Und eigentlich funktioniert es schon ganz gut", sagt Verena Luft.

Gemeinsam mit Ingrid Reinhart verfolgt sie ein Ziel: "Wir wehren uns dagegen, dass nach Herkunft und Geschlecht entschieden wird, wer gut oder böse ist. So darf man nicht urteilen", sagt Luft. Und Reinhart betont: Eine reiche Gemeinde wie Grünwald dürfe sich ihrer Verantwortung nicht entziehen - "oder überhaupt darüber diskutieren".

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