Unterschleißheim:Stich ins Schulterblatt

Lesezeit: 2 min

Mit einer 20 Zentimeter langen Klinge soll der Angeklagte seinen Freund verletzt haben. (Foto: dpa)

Nach einer alkohollastigen Feier attackiert ein 41-Jähriger einen Bekannten mit einem Küchenmesser. Vor Gericht spricht er von einem "Ausrutscher".

Von Bernhard Lohr, Unterschleißheim

Mit filigraner Technik alleine kommt ein Fußballer zu nichts. Er braucht Stehvermögen und sollte sich durch ein Foul des Gegners den Schneid nicht abkaufen lassen. Die Höchststrafe allerdings droht beim Revanche-Foul. Der heute 41-jährige Bogdan Chipciu (Name geändert) war einst ein Fußball-Talent in seiner Heimat Rumänien. Er spielte in der Jugend von Dinamo Bukarest. Am Montag saß er am Landgericht München auf der Anklagebank - als Beschuldigter wegen versuchten Totschlags. Er hatte am 29. März 2016 offenbar die Nerven verloren und in einer Wohnung in Unterschleißheim im Streit einen Freund niedergestochen.

Nach deutlichem Konsum von Bier und Wein kam es zum Streit

Chipciu versuchte am ersten Verhandlungstag zu zeigen, dass er Fairplay schätzt. Er könne sich nicht erklären, wie er so etwas habe tun können, sagte er. "Ich bin kein böser Mensch." "Hör auf, hör auf", will er seinem Gegenüber in der Küche zugerufen haben, der ihn attackiert und provoziert habe, bis er dann zugestochen habe. "Ich habe die schlechteste Lösung gewählt", sagte er mit ausdruckslosem Gesicht und kaum vernehmbarer Stimme. Seine zaghaften Worte brachte die Übersetzerin im Saal zu Gehör.

Der 41-Jährige kickte nach hoffnungsvollen fußballerischen Anfängen schließlich in Bukarest bei zwei Stadtklubs in der dritten und vierten Liga. Er arbeitete als Kraftfahrer und kam schließlich über einen alten Freund aus Rumänien nach Deutschland, um hier sein Glück zu versuchen. An dem besagten Märzabend war er bei dem Kumpel und dessen Freundin mit anderen Bekannten eingeladen. Bevor man sich am frühen Abend in der Wohnung zusammensetzte, wurden Cognac, Wein und Bier eingekauft. Der Freund kochte. Alle tranken. Einige sogar kräftig. Der Angeklagte sprach von zehn, elf Bieren, die er getrunken habe. Es sei ein relativ normaler Abend gewesen, sagte er. Konfliktfrei ging es freilich nicht zu.

In der Küche griff der Angeklagte nach einem Küchenmesser

Der nach Schilderungen notorisch eifersüchtige Freund des Angeklagten stritt sich erst mit seiner Freundin, dann rangelte er sich mit deren Bruder. Und als der Angeklagte gegen 22 Uhr aus der Abstellkammer eine Flasche Wein holen wollte, attackierte er auch diesen. Es folgten Watschen, der Streit verlagerte sich in die Küche. Und dort griff Chipciu nach einem Küchenmesser und stach trotz Versuchen der anderen in der Wohnung, die Streithähne auseinanderzuhalten, zu. Er fügte laut Anklageschrift seinem Gastgeber einen sieben Zentimeter langen Stich im Oberarm zu und rammte ihm die 20 Zentimeter lange Klinge bis auf den Knochen ins linke Schulterblatt. Nicht viel hätte gefehlt, und Lunge, Herz oder eine Arterie wären betroffen gewesen. Chipciu sprach davon, dass er sich massiv bedroht gefühlt habe. Seine Tat, an die er sich im Detail nicht erinnern wollte oder konnte, bezeichnete er als "Ausrutscher". Er schäme sich dafür.

Der Vorsitzende Richter Michael Höhne bohrte nach. Er versuchte mit gezielten Fragen herauszufinden, was den 41-Jährigen zu der Tat veranlasst hatte, und ob er sein Opfer sogar bewusst töten wollte. Der wies das weit von sich, berichtete im übrigen von einer glücklichen Kindheit, einem Schulleben ohne Brüche bis hin zum Abitur und einem liebevollen Elternhaus. Chefs sollen ihn für seine korrekte Art geschätzt haben. Richter Höhne warnte den Angeklagten davor, die fatale Rolle des Alkohols in seinem Leben zu bagatellisieren.

Seit elf Monaten befindet sich der Angeklagte in Untersuchungshaft

So beklagte er frei heraus, dass er langjährige Beziehungen in den Sand setzte, weil er lieber mit Freunden einen trinken ging. Aus der Fußballkarriere wurde nichts, weil Trainer ihm bei einer Größe von 1,54 Metern die körperliche Eignung absprachen. Nun steht er mit 41 Jahren am Gericht vor dem vielleicht wichtigsten Match seines Lebens. Elf Monate Untersuchungshaft hat Chipciu schon hinter sich. Die Tat räumte er ein. Wie er sich dazu habe hinreißen lassen, sei ihm ein Rätsel, sagte er. Weil er nicht der kräftigste sei, habe er stets "versucht, solche Situationen zu vermeiden".

© SZ vom 07.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: