Tassilo-Kandidatin:Pirouetten gegen Mobbing

Tassilo-Kandidatin: Bella figura im Ballettstudio: Daniela Schröder mit jungen Schülerinnen plus männlicher Unterstützung.

Bella figura im Ballettstudio: Daniela Schröder mit jungen Schülerinnen plus männlicher Unterstützung.

(Foto: Catherina Hess)

Daniela Schröder leitet eine Ballettschule in Unterschleißheim. Die ist nicht nur eine erfolgreiche Talentschmiede, sondern fungiert auch als sozialer Ort.

Von Laura Zwerger, Unterschleißheim

Drei Jahre war sie, als sie mit ihrer Mutter einkaufen war und plötzlich schöne Musik hörte. Sie folgten dem Klang - und fanden sich vor den großen Glasfronten eines Ballettstudios wieder. Seit diesem Tag hat Daniela Schröder ihr Leben dem Tanz gewidmet und genau 20 Jahre später - mit nur 23 Jahren - eine Ballettschule in Unterschleißheim unter ihrem damaligen Mädchennamen eröffnet: die Ballettschule Daniela Orend.

Sich in diesem jungen Alter als Tänzerin selbständig zu machen, ist sehr ungewöhnlich: "Jeder Tänzer möchte erst mal Karriere machen und auf der Bühne stehen", sagt die mittlerweile 29-Jährige. Das war eigentlich auch ihr Plan, als sie nach dem Realschulabschluss mit 17 Jahren an der holländischen Tanzakademie ArtEZ Hogeschool voor de Kunsten Arnhem Modernes Ballett und Choreografie zu studieren begann. "Ich hätte mir vorstellen können, mit 60 Jahren dann einmal zu unterrichten", erzählt Schröder. Doch als sie ihr Bachelorstudium beendet hatte, starb ihre frühere Ballettlehrerin Jutta Röthel. "Ihr Witwer hat mich dann gefragt, ob ich nicht als Lehrerin aushelfen könne", erzählt sie.

Die Balettschule war wie ein Zuhause

Die Tanzschule Röthel hatte bis dahin einen großen Teil ihres Lebens geprägt - seit dem Tag, als sie mit drei Jahren vor den Fenstern des Tanzsaals stand, hat sie den Ballettunterricht in der Schule so oft wie möglich besucht: "Erst bin ich einmal die Woche hingegangen", erzählt Schröder. "Dann bald zwei- und dreimal - bis ich irgendwann dort gelebt habe." Die Ballettschule war mehr als nur ein Ort zum Lernen und Proben, für Schröder war das Besondere, dass man dort auch vor oder nach der Stunde viel zusammengesessen und über Privates geredet hat. "Es war wie ein Zuhause", sagt sie.

Daher ist sie der Bitte des Witwers nachgekommen und hat 2008, mit 22 Jahren, als Aushilfslehrerin an der Ballettschule unterrichtet. Als diese aber kurz darauf schließen musste, beschloss sie, einen neuen Ort zum Tanzen zu schaffen und ihre eigene Ballettschule in Unterschleißheim zu eröffnen. Seit Ende 2009 unterrichtet sie nun mittlerweile rund 200 Tänzer zwischen drei und 64 Jahren - dafür arbeitet sie an den meisten Tagen mehr als zehn Stunden und pendelt täglich insgesamt 80 Kilometer von ihrem Wohnort Gilching nach Unterschleißheim.

Nur eine unterstützende Lehrerin hat sie engagiert, um alle Stunden stemmen zu können. Doch die Mühe ist es ihr wert: "Es bereitet mir viel Freude, mit jungen Leuten etwas auf die Beine zu stellen", sagt Schröder. Neben klassischem Ballett trainiert sie die Tänzer auch in Modernem Tanz und Hip Hop. Fast alle der Stücke choreografiert sie dafür selbst, indem sie ihrem Tanz alleine freien Lauf und nur eine Kamera aufzeichnen lässt, um sich danach ihre Bewegungen anzuschauen. Oft bekommt sie ihre Inspiration auch von den Schülern, die etwa ein Lied gerade besonders mögen oder auch mit Problemen und Ängsten in die Tanzstunde kommen.

So habe das Thema Mobbing einige Schüler eine Zeit lang sehr beschäftigt und Schröder hat deshalb gemeinsam mit ihnen ein Stück darüber entwickelt: "Es gab eine große Gruppe - eine klar erkennbare Einheit mit den gleichen Kostümen - und eine Außenseiterin", erzählt sie. "Sie ist während des Tanzes ausgegrenzt und geschubst worden." Die Schüler wollten dann ein dramatisches Ende - und die Außenseiterin lief Amok. "Es fielen aber keine Schüsse, sondern sie hat angefangen, sich im Fouetté zu drehen", sagt Schröder. Fouettés sind schnelle, immer neu beginnende Pirouetten und jede dieser Drehungen brachte einen Tänzer aus der großen Gruppe um - bis sie sich am Schluss selbst umbrachte.

"Die Stadt spart sich durch die Schule hier ein paar Sozialpädagogen"

Solch düstere Inszenierungen erachtet Schröder als pädagogisch wichtig, denn ihre Schüler sollen mit Problemen zu ihr kommen können. So könne sie immer wieder Einzelne vor Fehlern bewahren, bevor sie etwa in falsche Freundeskreise abrutschten. "Die Stadt spart sich durch die Schule hier ein paar Sozialpädagogen", sagt sie lachend. Sie gebe dabei ihr Bestes, um in diesem Aspekt in die Fußspuren der ehemaligen Ballettschule von Jutta Röthel zu treten.

"Es soll nicht nur um das reine Lernen, sondern auch um Tieferes gehen", sagt sie. "Beim Tanzen kann man seinen Gefühlen sehr gut Ausdruck geben - und jeder kann etwas anderes darin fühlen." Da das Tanzen ihren Schülern so viel Freude bereitet, ist auch sie selbst mit vollem Herzblut dabei: "Ich bin wahnsinnig bereit zu geben", sagt sie. "Es ist toll, wenn die Augen meiner Schüler funkeln." So zahlt sie etwa benötigte Kostüme für eine Ausführung aus eigener Kasse und probt davor unentgeltlich zusätzlich zu den Unterrichtsstunden.

Ihr Engagement hat Erfolg: Dieses Jahr sind zwei große Tänzergruppen ihrer Schule zum zweiten Mal bei den German Open Championships in Tanz angetreten und mit fünf Preisen ausgezeichnet worden, darunter auch ein Sonderpreis für Schröders Choreografie "Mad World". "Der Anlass zu dem Stück waren die Pariser Anschläge", erzählt sie. Ihre Gefühle habe sie dann in dieser Choreografie ausgedrückt. Neben solch großen Wettkämpfen treten die Schüler der Ballettschule auch bei kleineren Feiern, lokalen Kulturveranstaltungen und alljährlich im Bürgerhaus auf.

Bevor Schröder als Lehrerin hinter der Bühne stand, hat sie während ihrer Tanzausbildung selbst oft vor großem Publikum getanzt: Als Jungstudierende an der ehemaligen Heinz-Bosl-Stiftung stand sie regelmäßig mit 13 Jahren für Matineen auf der Bühne des Münchner Nationaltheaters. Seit sie die Ballettschule leitet, bleibt für die eigene Karriere keine Zeit mehr, die Ballettaufführungen des Nationaltheaters begeistern sie aber immer noch: "Ich habe ein Abo und gehe immer, wenn ich nur irgendwie kann."

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