Unterschleißheim:Geheimnisvolle Geometrien

Unterschleißheim: Künstler und Mäzen: Oskar Zaumseil (links) lauscht interessiert, wie Firmengründer Gerhard Kratzer vom Siegerbild schwärmt.

Künstler und Mäzen: Oskar Zaumseil (links) lauscht interessiert, wie Firmengründer Gerhard Kratzer vom Siegerbild schwärmt.

(Foto: Robert Haas)

Kratzer Automation prämiert verrätselte Outsider-Art von Oskar Zaumseil

Von Udo Watter, Unterschleißheim

Jedes Bild ist ein Rätsel. "Wenn dem nicht so wäre, dann wäre es ja nach einer Woche optisch erledigt für den Besitzer," erklärt Klaus Mecherlein. Jedes Bild, zumindest, wenn es nicht banal oder kitschig ist, birgt also Geheimnisse. Und Mecherlein, Leiter des Ateliers für Künstler mit geistiger Behinderung im Heilpädagogischen Centrum Augustinum Oberschleißheim, ist einer, der besonders gut in die Geheimnisse von Bildern eintauchen kann - und sie besonders sprachgewandt zu lüften weiß.

Bei der Verleihung des Preises "High Tech & Kunst", mit dem das Unterschleißheimer Softwareunternehmen Kratzer Automation AG alljährlich Künstler mit Beeinträchtigung würdigt, oblag ihm die schöne Aufgabe, die Laudatio auf den Prämierten zu halten: Oskar Zaumseil, ein spannender Vertreter der Outsider Art aus Berlin. Der 28-Jährige, der vornehmlich mit Bleistift oder Fasermaler operiert und seine Schwarz-Weiß-Zeichnungen durch das Verwenden von Drucktechniken wie Lithografien, Radierungen oder Linolschnitten ergänzt, hatte mächtig Eindruck bei der Jury gemacht und Mecherlein mit seinen Werken geradezu begeistert: "Ich war komplett fasziniert, diese Bilder im Original zu sehen", sagte er beim Empfang im Ausstellungsraum im zweiten Stock des Firmengebäudes. "Es ist genau das Gegenteil von Schwarz-Weiß-Zuspitzung. Es ist ein Werk der Zwischentöne, Anverwandlungen, Überschreitungen." In Unterschleißheim sind die Werke Zaumseils, der ein Atelier an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee hat, gleichsam in fünf Phasen untergliedert, die eine spannende Entwicklung zeigen: von kleinen, organischen Mischwesen über theatralische Fabelwesen mit Drachenschwänzen und spitzen Zähnen über abstrakter werdende Visionen bis hin zu reinen geometrischen Formen und "geometrischen Luftschlössern", wie Mecherlein sie nannte. Zaumseil spielt dabei auch mit Materialität und (teils schrundigen) Oberflächen. Mecherlein, der auch Initiator und Kurator von Euward (Europäischer Kunstpreis für Werke von Künstlern mit geistiger Behinderung) ist, wies freilich noch auf spannende tiefere Bedeutungen hin, die besonders bei den Bildern aus der Phase der Metamorphose vom Figürlichen zum Abstrakten wahrnehmbar seien: "Die Formen werden zu Akteuren im Geschehen." Eine geradezu metaphysische Erweckung - der Betrachter könne Figuren erkennen, die aus dem Unbewussten, Surrealen kämen, durch Verlebendigung aber in die Ebenen der Wirklichkeit vordringen. "Eine Brücke zwischen Diesseits und Traum, gebildet durch Geometrie."

Der so Geehrte war mit dieser elaborierten Interpretation seiner Werke durchaus glücklich: "Er hat es gut getroffen", sagte Zaumseil. Er betonte freilich auch, dass er zunächst eher Umrisse und keine fertigen Bilder im Kopf habe. "Mir ist besonders die ästhetische Form wichtig. Und dass die Formen Gesichter haben", erklärte er. Die Ehrung freue ihn vor allem deswegen, weil es wichtig sei, öffentlich Anerkennung zu bekommen und nun hoffentlich viele Menschen seine Werke zu sehen bekämen. Dotiert ist der heuer zum sechsten Mal verliehene Kunstpreis "High Tech & Kunst" der Kratzer Automation mit 5000 Euro - das Unternehmen produziert auch immer Tassen mit dem Motiv des sogenannten Siegerbildes. Diesmal ist es eine Zeichnung Zaumseils, bei der die geometrisch-abstrakten Formen so ästhetisch wie spielerisch komponiert sind und zu fast verführerischen Akteuren werden.

"Ihre fantastischen Kompositionen haben uns begeistert", schwärmte der Aufsichtsratvorsitzende Gerhard Kratzer bei der Preisverleihung. Er betonte den Dreiklang "Kunst, Technologie und soziale Komponente", der den Preis charakterisiere. Solche Preise und die damit verbundene Ausstellung sind natürlich gerade für Künstler mit Beeinträchtigung wichtig, die sich sonst häufig nur in Kliniken oder Rathäusern präsentieren können. Dabei kann Outsider-Art, als eine Form jenseits des etablierten Kunstbetriebes oder eventuell normierter Impulse, durchaus Horizonte verschieben und verborgene Perspektiven öffnen. In den Worten Mecherleins: "Die Werke von Oskar Zaumseil betreten ein Neuland des Denkens."

Die Werke Oskar Zaumseils werden bis zur nächsten Preisverleihung 2018 in den Räumen von Kratzer Automation, Unterschleißheim, Gutenbergstraße 5, zu sehen sein.

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