Unterschleißheim:Der Vogelflüsterer

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Wolfgang Schreyer aus Unterschleißheim hat mit einer mobilen Falknerei seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Bis zu 5000 Kinder im Jahr verfolgen die Vorführungen der Tiere

Von Johanna Mayerhofer

Unterschleißheim"Bei mir wird er wieder ganz ruhig", sagt Wolfgang Schreyer, während er mit seinem Gesicht behutsam das braune Gefieder streift. Der keuchende Atem des gelbäugigen Steppenadlers wird hörbar ruhiger. Minuten zuvor schlug Taiga noch vor Kraft strotzend mit seinen Flügeln. Irgendetwas hatte ihn erschreckt. Behutsam und mit ruhiger Stimme spricht Schreyer zu dem Greifvogel, der sich auf seiner lederbehandschuhten Hand sitzend zunehmend entspannt. An diesem Vormittag trainiert der Falkner in seinem gepachteten Waldstück in Unterschleißheim mit seinen Vögeln. Eine Seltenheit. Mit seiner mobilen Falknerei ist Schreyer fünf bis sechs mal in der Woche unterwegs - auf Ritterturnieren, Stadtfesten und an Schulen. "Das ist für die Tiere Training genug." Seit 15 Jahren ist der gelernte Industriekaufmann mit seiner Falknerei beruflich eingespannt - und ist glücklich, sich ganz seiner Leidenschaft widmen zu können.

Alles begann mit einem Sturz. Mit zehn Jahren versorgte Schreyer einen Turmfalken, der aus dem Kirchturm in Freising gefallen war. Er zog ihn auf und wilderte ihn in seiner Freisinger Heimat aus. "Von da an bin ich nicht mehr davon weggekommen", sagt der heute 59-Jährige. Sein Vater und der sieben Jahre ältere Bruder teilten die Begeisterung für die Vögel. Im Garten der Familie wurden Bussarde, Krähen und Falken aufgezogen und versorgt. Lange verfolgte Schreyer die Falknerei nur als Hobby. An Urlaubstagen nahm er seine Vögel mit an Schulen und brachte den Kindern die Welt der Greifvögel nahe. Als sich die Termine häuften und dem Unterschleißheimer ein Jobwechsel bevorstand, gründete Schreyer die mobile Falknerei. Heute können jährlich an die 5000 Kinder in Schulunterricht und Ferienprogrammen die Greifvögel bewundern.

Während den Vorführungen zeigt Schreyer den Kindern das Flugbild der Vögel im freien Flug und beschreibt ihre Lebensgewohnheiten. Im Anschluss können die Schüler die Tiere aus nächster Nähe erleben. Die Greifvögel zeigen keine Scheu oder Berührungsängste und sind durch Schreyers Training vollständig an Menschen gewöhnt. Die Natur den Kindern näher bringen, das ist Schreyer ein Anliegen. "Die Kinder aus der Stadt haben gar keinen Bezug mehr zu ihr." Ein Belohnungsprinzip und absolute Liebe zu den Tieren nennt der Falkner als Voraussetzungen für sein Arbeiten. Bis zu vier Wochen lang dauert es, bis ein Trainingsneuling die Grundlagen beherrscht.

"Er soll auch auf meinen Kopf fliegen", sagt die fünfjährige Alessia, während sie neidisch auf das Haupt ihres Bruders Giuliano, 8, blickt. Dort hat sich der Buntfalke Sheila niedergelassen. Schreyers Enkel sind gerne mit Ihrem Opa und seinen gefiederten Lieblingen unterwegs. "Ich bin vor allem in den Ferien immer dabei", sagt Giuliano stolz. Mit eigenen ledernen Falknerhandschuhen eifern sie ihrem Opa nach. Mit der Begeisterung für die Luftkünstler hat Schreyer seine ganze Familie angesteckt. Während seine Frau die Bürotätigkeiten der Falknerei übernimmt, hat die jüngste Tochter sich von ihrem Vater zur Falknerin ausbilden lassen. Die restlichen Mitarbeiter sind ebenfalls alles Familienmitglieder. Fremden könne er nur schwer vertrauen, wenn es um die Tiere gehe, sagt Schreyer, während er den Buntfalken wieder in den Käfig seines Autos setzt und Sheilas doppelt so großen Kollegen in die Waldidylle des Berglwaldes entlässt. Burli, ein Wüstenbussard, schwingt sich mit langen Flügelschlägen erhaben von Baum zu Baum. Mit ausgestrecktem Arm und einer Beute auf seinem Handschuh lockt der Falkner den Vogel an. Der nimmt im Sturzflug mehrmals Anlauf und schwingt sich kurz vor Schreyers Hand wieder empor. Geduldig verfolgt der Unterschleißheimer die Flugbahnen des Bussards. Fliegen die Vögel außer Sichtweite, kann Schreyer sie mit einem Peilsender, der an ihren Fängen angebracht ist, wiederfinden. Es sei aber auch schon vorgekommen, dass Vögel eine Nacht im Wald verbringen. "Bisher haben wir alle immer wieder gefunden."

Ein Handyklingeln unterbricht das Training. "Wunderbar, ich hole es ab", sagt der Falkner und verabschiedet sich vom Anrufer, ein Unterschleißheimer, der ein totes Reh gefunden hat. Schreyer hat seine Mitbürger dazu angehalten, ihn bei solchen Vorfällen zu verständigen. "Das ist natürliches, bestes Futter", sagt der Falkner. Als Grundlage verfüttert Schreyer außerdem täglich bis zu 70 Eintagsküken. Hinzu kommen Tauben, Wachteln oder Kaninchen.

Ein Haus im Unterschleißheimer Süden. Auf den ersten Blick gleicht es den anderen in der Nachbarschaft. Ein zweiter Blick in den Vorgarten des Hauses verrät aber seine Besonderheit: Ein braungefiederter Vogel sitzt auf einer im Grasboden verankerten Eisenstange. Ein Feriengast. Schreyer hat den Wüstenbussard von einem verreisten Falknerkollegen aufgenommen. Selbst macht der Unterschleißheimer selten Urlaub. "Mit den Vögeln geht das eben nicht."

Falken, Bussarde, Adler - insgesamt 13 Tiere gehören zu Schreyers Greifvogelfamilie. Im Garten seines Hauses finden derzeit neun Vögel in Gehege Platz. Ein anderer Teil der Vögel ist auf einem Bauernhof außerhalb von Unterschleißheim untergebracht. Dort werden auch ältere Vögel untergebracht, die nicht mehr flugfähig sind. Die Tiere weggeben, das kommt für Schreyer nicht in Frage. Seine Greifvögel, allesamt aus Zuchthaltungen, hat er aus ganz Deutschland nach Unterschleißheim gebracht. Für einen Habicht-Kauf ist der Falkner sogar nach England gereist.

Neben den Vorführungen der Vögel geht Schreyer auch der ursprünglichsten Form der Falknerei nach: Mit seinen speziell ausgebildeten Bussarden und Habichten begibt sich der Falkner auf die Jagd. Gemeinden und Städte suchen bei ihm Hilfe. "Kaninchen können zur Plage werden", sagt Schreyer. Auf kleinen Flächen, die sich nicht für die Jagd mit der Waffe eignen, übernehmen Schreyers Vögel die Arbeit. Dabei kommen auch Aron, Franzi, Nelli und Heidi zur ihrem Einsatz. Die vier Frettchen begleiten Schreyer als Jagdhelfer zu seinen Terminen und sind dafür zuständig, dass die Kaninchen aus ihrem Bau hervorschlüpfen. Als Abschreckungsmanöver vertreiben die Vögel bei sogenannten Vergrämungsflügen ungeliebte Gäste wie Möwen in Kläranlagen. Besondere Auftragsarbeiten erwartet die Vögel in Film und Theater: In ZDF-Produktionen wie Forsthaus Falkenau oder in der Jedermann-Inszenierung im Münchner Brunnenhof kommen die Greifvögel zum Einsatz - für Schreyer immer wieder ein besonderes Erlebnis.

Als Landesverbandsvorsitzender des Deutschen Falkenordens muss sich Schreyer auch mit Kritik an der Falknerei und Fragen nach artgerechter Tierhaltung auseinandersetzen. Schwarze Schafe in der Falknerszene beschädigen immer wieder den Ruf der Greifvogelhalter. "In der Falknerei hat sich aber in jüngster Zeit viel getan", sagt er. Konnte vor ein paar Jahren die Falknerprüfung noch unabhängig absolviert werden, ist ihr heute die als schwierig angesehene Jagdprüfung vorgelagert - das schreckt viele ab. "Jetzt sind es nur noch Leute, die es zu 1000 Prozent auch wollen", sagt Schreyer. Zudem überprüft das Veterinäramt unter strengen Auflagen die Unterbringung der Vögel. Ausreichend Platz, genügend Trinkwasser, Witterungsschutz - auch in Unterschleißheim überzeugt sich die Behörde einmal im Jahr von der falknerischen Anbindehaltung. "Es ist die meistkontrollierte Tierhaltung überhaupt", so Schreyer. Ein Zeichen gegen die vorgebrachte Kritik sieht der Falkner auch in der Tatsache, dass die Falknerei 2014 zum Weltkulturerbe ernannt wurde.

Einen Liebling unter den Vögeln hat der Unterschleißheimer nicht. "Die Burgl, meinen Jagdhabicht, habe ich vielleicht ein kleines bisschen lieber", sagt Schreyer. Die sei eine "Granate in der Luft". Die Hingabe zu Tieren macht einen verletzbar - das hat Schreyer am 22. Dezember 2010 erfahren müssen. Damals verschwand kurz vor dem Verladen ein Habicht, den er aus Holland zu sich geholt hatte. Die ganze Familie machte sich auf die Suche nach dem Tier. "Wir dachten, er hat sich losgerissen." Am Ende blieb die bittere Erkenntnis: Auftragsdiebstahl. Der 3000-Euro-Verlust war das eine, die Unwissenheit, was mit dem Tier passiert ist, das andere: "Ich hatte sehr lang daran zu knabbern." Seit dem Vorfall ist der Garten videoüberwacht. "Die Vögel sind eben mein rechter Augapfel."

© SZ vom 04.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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