Unterhaching:Wache mit Hellebarde

700 Jahre Sankt Korbinian: Die Geschichte der ältesten Kirche von Unterhaching ist geprägt von lebenslustigen Gottesmännern, marodierenden Schweden, einer Bruderschaft, einem wundertätigen Gnadenbild und einem verschwundenen Kripperl

Von Michael Morosow, Unterhaching

Nur gut, dass in diesem Moment kein Polizist aus einem Fenster der Inspektion an der Ottobrunner-Straße geschaut hat. Er hätte den Unterhachinger Heimatpfleger Günter Staudter vorbeiradeln gesehen - die linke Hand am Lenkrad, mit der rechten den langen Schaft einer Hellebarde umklammernd, einer mittelalterlichen Hieb- und Stichwaffe, mit der man die Gegner wahlweise spalten oder aufspießen kann. Staudter freilich war keineswegs in kriegerischer Absicht unterwegs, sondern brachte das gute Stück zurück an seinen angestammten Platz im Unterhachinger Heimatmuseum. Er hatte sich die Waffe nur ausgeliehen für seinen Auftritt im bis zum letzten Platz gefüllten Kirchenschiff von Sankt Korbinian, wo er zusammen mit Georg Neumann die 700-jährige Geschichte des Unterhachinger Gotteshauses Revue passieren ließ. "Kirchengeschichte(n) aus 7 Jahrhunderten" lautete der Titel der Veranstaltung, einer von vielen im Jubiläumsjahr. Dabei spannten Staudter und Neumann einen Bogen zwischen den Anfängen und der Gegenwart der ältesten Kirche Unterhachings, wobei Neumann die Rolle des Erzählers inne hatte, während der Heimatpfleger in Erscheinung trat, wenn es etwas aus alten Aufzeichnungen oder Heimatbüchern zu zitieren gab.

Unterhaching: Zwei Zentner wiegt die Madonna, die hier mit Hilfe von Günter Staudter und Franz Trost ins Heimatmuseum umzieht.

Zwei Zentner wiegt die Madonna, die hier mit Hilfe von Günter Staudter und Franz Trost ins Heimatmuseum umzieht.

(Foto: Claus Schunk)

Die Hellebarde stellten Neumann und Staudter den circa 130 Besuchern als "Kirchenwachter-Spieß" vor, mitsamt der Geschichte, die dahinter steckt. Im ausgehenden 13. Jahrhundert also, Niederhaechingen war noch nicht urkundlich erwähnt, bildeten etwa 30 Anwesen das Dorf. Eine kleine Holzkirche zum gemeinschaftlichen Gebet stand wahrscheinlich bereits, der Pfarrer aber saß in Oberhaching, sodass sich zu den Sonntagsgottesdiensten das ganze Dorf dorthin auf den Weg machte. Des Kirchenwächters Aufgabe war es deshalb unter anderem, die vorübergehend verwaiste Ansiedlung gegen Diebesgesindel oder sonstigen unerbetenen Besuch zu schützen. Dass im Mittelalter der Kirchenwächter zu den "unehrlichen Berufen" zählte wie etwa der Abdecker, Henker, Kesselflicker, Müller, Bader, Schäfer, Totengräber und Türmer, erfuhren die Zuhörer zudem.

Unterhaching: 700 Jahre ist die Kirche alt.

700 Jahre ist die Kirche alt.

(Foto: Claus Schunk)

Auf ihrer Reise durch sieben Jahrhunderte beziehungsweise 25 Generationen machten sie Begegnungen mit mehreren prägnanten Ereignissen und den Menschen, die dabei eine wichtige Rolle spielten. Dazu zählen zweifelsohne die vielen Benefiziaten, die das kirchliche Leben im Ort aufrecht hielten, in der großen Mehrzahl kreuzbrave Diener Gottes, die gut gelitten waren im Hachinger Tal. Freilich gab es auch Kirchenmänner mit irdischen Lastern. Etwa den Benefiziaten Nikolaus Zellermair, der um 1600 seelsorgerisch wirkte, in einer Zeit also, die von der Gegenreformation bestimmt war. Die Jesuiten, die 1592 das benachbarte Taufkirchen als "Hofmark" erhielten und sich auch im Hachinger Tal um den "rechten Glauben" kümmerten, sind bei ihren "Visitationen" auf Zellermair gestoßen und auf dessen Einstellung zur Reformation - und auf dessen sechs Kinder, die aus einem eheähnlichen Verhältnis hervorgingen. Zellermair war von 1580 bis 1614 Pfarrer in Oberhaching. 1597 wurde er mit einer Geldstrafe belegt. Die Mutter seiner Kinder traf es noch viel härter, sie landete im Gefängnis und wurde zudem mit Landesverweisung bestraft. 1613 stand er abermals vor einem Richter. Die Anklage: "Sein unpriesterlicher Handl und Wandl, indem er stets dem Trunk ergeben, in solchem zänklich und poldersch seye." Dennoch: Von den 28 aufgebotenen Zeugen aus der Pfarrgemeinde belastete kein einziger den Pfarrer, weil er aber nach Meinung des Gerichts "die Wochenmessen gar unfleißig verrichte, besonders, wenn kein Gesellenpriester vorhanden sei", musste er sein Pfarramt aufgeben, durfte aber als Benefiziat in Unterhaching bleiben, wo er 1616 starb. Seine Grabplatte aus Rotmarmor ist in Sankt Korbinian am Chorbogen angebracht.

Unterhaching: Die Gemeinde Unterhaching hat ihre heutige Größe auch dem Kirchenleben in und um Sankt Korbinian zu verdanken.

Die Gemeinde Unterhaching hat ihre heutige Größe auch dem Kirchenleben in und um Sankt Korbinian zu verdanken.

(Foto: Claus Schunk)

Hatten die Unterhachinger den Benefiziaten Zellermair trotz oder gerade wegen seiner menschlichen Schwächen ins Herz geschlossen, ist ihnen wenige Jahrzehnte danach das Zanken und Poltern des Benefiziaten Wilhelm Stropp dann doch über die Hutschnur gegangen. Der Oberhachinger Pfarrer, dem am 2. April 1642 zusätzlich das Benefizium in Unterhaching übertragen wurde, "schien eine etwas gewalttätige Natur gewesen zu sein, der die Wirtshäuser auch gerne von innen sah", wie Staudters Vorgänger Rudolf Felzmann in seinem Heimatbuch formulierte. Die Klagen über ihn häuften sich, die gesamte Nachbarschaft zu Unterhaching wendet sich an das Geistliche Gericht in Freising, das eine letzte Warnung aussprach: "Wenn er fürderhin die Wirtshäuser nicht meidet, hat er eo ipso die Pfarrei verwirkt." Wenige Tage darauf, im Oktober 1642, hatte der allzu grobe Geistliche sein Leben verloren. Er war wohl nach einem Wirtshausbesuch nachts auf dem Heimweg, als er in Unterhaching erschlagen wurde, wahrscheinlich von Oberhachinger Bauern.

Unterhaching: In der Ausstellung ist auch eine Reihe historischer Fotos zu sehen, etwa von alten Votivtafeln.

In der Ausstellung ist auch eine Reihe historischer Fotos zu sehen, etwa von alten Votivtafeln.

(Foto: Claus Schunk)

Die Derbheit der Menschen damals, selbst mancher Pfarrer, war dabei nicht etwa eine Unterhachinger Eigenart, sie war allerorten anzutreffen in dieser verrohten Zeit, die unter dem Joch des Dreißigjährigen Krieges stand und furchtbares Unheil über das Land brachte. Der Dreißigjährige Krieg habe für Unterhaching wohl die schlimmste Zeit in seiner Geschichte gebracht, sagte Erzähler Neumann und gab weiter an Zitierer Staudter, der die entsprechende Stelle in Karl Hobmairs "Hachinger Heimatbuch" vortrug: "Der Krieg beginnt für unser Gebiet mit dem Einzug der Schweden in München am Montag, den 17. Mai 1632. Vom Lager der Schweden am Giesinger Berg gehen die Raubzüge hinaus ins Land. Raubmord und Brand sind an der Tagesordnung. Bauerngut ist Soldatengut ist der Wahlspruch der Soldateska. Die Bauern fliehen mit ihrem Vieh in die Wälder. Bei plötzlichen Überfällen suchen sie Zuflucht im Kirchturm, um wenigstens das Leben zu retten. Im Turm und Kirchboden hat man auch Getreide gelagert, um wenigstens für die Aussaat noch etwas zu retten." Hobmairs Schilderung bezog sich zwar auf die Sankt-Stephankirche in Oberhaching, in Niederhechingen verhielt es sich jedoch nicht anders. Die Erneuerung des Dachstuhls im Jahr 1641 lasse vorangegangene Beschädigungen, wahrscheinlich durch Soldaten, vermuten, sagte Georg Neumann.

Unterhaching: Für seinen "unpriesterlichen Handl und Wandl" stand Pfarrer Zellermair 1613 vor Gericht.

Für seinen "unpriesterlichen Handl und Wandl" stand Pfarrer Zellermair 1613 vor Gericht.

(Foto: Claus Schunk)

Die mordlustigen Schweden, aber auch die Pest, die 1635/36 das halbe Dorf auslöschte, rissen große Lücken in die 24 Bankreihen der Unterhachinger Kirche. Das Hachinger Tal und seine Ortschaften standen kurz vor der Entvölkerung. Zur Jahrhundertmitte sei nur noch ein Drittel der Bevölkerung übrig geblieben, berichtete Neumann, und Staudter zitierte dazu einen gewissen Georgen Pünder, der 1673, also 25 Jahre nach dem furchtbaren Krieg, bei einem Verfahren über die Verrichtung von Gottesdiensten aussagte: "Seye wahr, dass nach dem ersten Schweden und nach dem Sterb gar wenig leith zu Tauffkirchen und yberall daherumb yberbliben: seyen iezt in ainem Dorff mehr leith als damahlen in der ganzen Pfarr."

Unterhaching: In der Ausstellung darf die Heilige Familie nicht fehlen.

In der Ausstellung darf die Heilige Familie nicht fehlen.

(Foto: Claus Schunk)

Es hat also wahrscheinlich gar nicht viel gefehlt zur kompletten Entvölkerung des Hachinger Tals. Und es ist wohl keineswegs sehr abwegig zu behaupten, dass insbesondere die Gemeinde Unterhaching ihre heutige Größe und Bedeutung zu einem Großteil dem neu aufkeimenden Kirchenleben in und um Sankt Korbinian zu verdanken hat. Georg Neumann: "Erstaunen darf, dass sich unser Dorf schon eine Generation nach Kriegsende wieder erholt hatte. Ja mit der Gründung der Jesus-Maria-Joseph-Bruderschaft, mit der Anfertigung des auch künstlerisch hochwertigen Gnadenbildes, mit der Organisation des Wallfahrtswesen, mit dem Druck des Gnadenbüchels, der Anschaffung der ersten Orgel 1685, einer berühmten beweglichen Krippe strahlt Unterhaching geradezu Zuversicht und Tatkraft in geistlichen und weltlichen Dingen aus."

5 Heilige

sind neben vielen anderen Exponaten in der Sonderausstellung "700-jährigen Kirchengeschichte von St. Korbinian" im Heimatmuseum (Hauptstraße 51; Telefon: 625 1420) zu sehen.

Die geschnitzten Figuren stellen dabei jene Heiligen vor, die seit jeher in der ältesten Unterhachinger Kirche verehrt werden. Die Heilige Barbara etwa wurde bei Fieber und Pest um Heilung gebeten, die Hl. Katharina bei Kopfschmerzen, der Hl. Sebastian bei Wundschmerzen und Pest, der Hl. Leonhard bei Geisteskrankheit und der Hl. Georg bei Ausschlägen und Schlangenbiss. Die Geschichte der Kirche wird außerdem auf zwölf Schautafelnd umfangreich dargestellt.

Die Jesus-Maria-Joseph-Bruderschaft, das Gnadenbild, die Wallfahrt, das Gnadenbüchel, die Orgel, das bewegliche Kripperl - diese sechs Gründungen und Anschaffungen haben Sankt Korbinian zur Keimzelle des kirchlichen und dörflichen Lebens werden lassen, das sich von nun an heiterer und wohlgefälliger anfühlte als in den düsteren Kriegsjahren. Es versteht sich, dass Neumann und Staudter diese sechs Anziehungspunkte nur streiften. Über jeden einzelnen ließe sich wohl abendfüllend referieren.

Die Jesus-Maria-Joseph-Bruderschaft: Am 1. Juli 1669 bat die Pfarrgemeinde den Bischof "das im Gotteshaus zu Niderhäching eine St. Josephi-Bruderschaft aufgerichtet werden derffte". Im Hachinger Tal, in dem traditionell die Zimmerleute stark vertreten waren, wurde unter dem damaligen Pfarrer Homayr diese Gemeinschaft zur "Jesus-Maria-Joseph-Bruderschaft" erweitert, die 1676 bereits 1600 Mitglieder stark war. In heutiger Zeit wäre die Bruderschaft eine Stiftung oder Genossenschaft, mit entsprechendem Kapital. Daraus wurden insbesondere Hilfen in Notlagen finanziert, aber auch die Dorfschule am Laufen gehalten. Das Vermögen der Bruderschaft speiste sich unter anderem aus Erbschaften und Kapitaleinzahlungen. Für eine weitere Einnahmequelle, eine üppig sprudelnde gar, sorgte die Stiftung mehr zufällig als gewollt durch die Finanzierung des Altarbildes "Heiliger Wandel", das von "einem berühmten Münchner Maler" für den damaligen linken Seitenaltar gefertigt wurde und Unterhaching zu einem Wallfahrtsort werden ließ. Es zeigt Maria, den Jesusknaben und Josef, darüber den Heiligen Geist in der Gestalt einer Taube und Gottvater. Eigentlich kein Aufsehen erregendes Kunstwerk, wenn nicht die Gottesmutter die Gesichtszüge der damaligen Kurfürstin Henriétte Adelaide trüge und man seinerzeit nicht Jesus als den siebenjährigen Prinz Max Emanuel und Joseph als Kurfürst Ferdinand Maria zu erkennen geglaubt hätte. Nachdem 1972 die beiden Seitenaltäre bei Umbauten entfernt worden sind, schmückt dieses Bild vom "Heiligen Wandel" seither den Hochaltar.

Das Bild wirkte Wunder. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde darüber im ganzen Land. Das gerade einmal 200 Seelen zählende Dorf wurde im 17. und 18. Jahrhundert an Fronleichnam und anderen Wallfahrtstagen regelrecht überrannt von Pilgern. Im ganzen Ort ging es sprichwörtlich zu wie am Stachus, wenn Wallfahrer aus der näheren Umgebung, aus dem Voralpenland und nicht zuletzt aus München eintrafen. Wie an vielen Wallfahrtsorten üblich, wurde eine Kopie des Gnadenbildes im Außenbereich angebracht, um eine Art Public Viewing möglich zu machen. Der Unterhachinger Lehrer Maurer schreibt 1845: "An jedem der Festtage der Hl. Familie sind oft 1000 Wallfahrer zur Kommunion gegangen. Acht bis neun Priester standen für die Beichte zur Verfügung. Die Wallfahrer kamen bis zu sieben Stunden weit her. Bekannt ist auch, dass das bayerische Herzogshaus des öfteren nach hier wallfahrtete und jährlich sieben Gulden Für das Kripperl stiftete. Schon nach acht Jahren (1679) konnte Pfarrer Homayr ein Büchlein über die Gebetserhörungen herausgeben und drucken lassen. Von den 'etlich tausend Wundergnaden' wählte er 147 Gebetserhörungen heraus." Dieses ,,Mirakelbuch" ist im Original in der Bayerischen Staatsbibliothek erhalten (Bavar. 1113), sein Nachdruck für zwei Euro bei der Kirchenverwaltung zu erstehen. Heimatpfleger Günter Staudter zitierte als Beispiel die Gebetserhörung einer Adeligen aus München: "Ein adeliges Fräulein aus der churfürstlichen Haupt- und Residenzstadt München bezeugt und lässt öffentlich von der Kanzel zu großem Lob und Ehre von Jesus, Maria und Josef verkünden, dass sie fünf Wochen schwer und gefährlich krank gelegen und unaussprechliche Schmerzen hatte, obwohl sie den Rat und die Mittel der Herren Doktoren genügend probiert hätte, da kam ihr in den Sinn, dass zu Heching, als sie zu Weyhnachten dass schöne mit Wasserwerk und anderen künstlichen Sachen gezierte Kripplein, zu welchem auch von hohe Persone und vornehme Leithe ein grosse Fahrt und Zugang ist. Sie machte eine Fußwallfahrt, opferte ein Wachsbild, ließ eine heilige Messe lesen und schrieb sich in die Bruderschaft ein. Darauf ging es ihr an den nächsten drei Tagen besser und war bald völlig und beständig "restituieret". Zur Danksagung hat sie noch vielmals Jesus, Maria und Josef besucht."

Vom Hachinger Kripperl, das durch die Kraft des Hachinger Baches in Bewegung gesetzt worden war, fehlt bis heute jede Spur. Es verschwand in den Jahren der Säkularisation, wie auch die wirtschaftliche und allmählich auch die religiöse Bedeutung der Jesus-Maria-Joseph-Bruderschaft abnahm, bis sie nach dem Ersten Weltkrieg in der Bedeutungslosigkeit unterging. Geblieben sind die Figuren der Heiligen Familie, die eine neue Bleibe im Heimatmuseum gefunden haben.

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