Geothermie Unterhaching:Der Spaltpilz

Geothermieanlage in Unterhaching, 2010

Die Geothermieanlage in Unterhaching produziert nicht nur Wärme, sondern auch Strom. Manche halten genau das für den Geburtsfehler.

(Foto: Angelika Bardehle)

Die einst als Gelddruckmaschine gefeierte Geothermie-Anlage ist in Unterhaching hoch umstritten.

Von Michael Morosow

Dass der Erfolg des Unterhachinger Geothermie-Projekts vor zwölf Jahren die ganze Branche im Land befeuert hat, wird von niemandem bezweifelt. Wie Pilze schossen danach die Bohranlagen aus dem Boden, allzumal im Landkreis München, zum Beispiel in Grünwald. Ausgerechnet im Lager der Pioniere kühlt nun die anfängliche Begeisterung für die Strom- und Fernwärme-Anlage bei einigen Gemeinderäten spürbar ab. Grund für den Stimmungswechsel: Das einstige Vorzeigeprojekt hängt immer noch am Tropf der Gemeinde und verschlingt Jahr für Jahr Millionenbeträge, und das selbst nachdem sich die Gemeinde Grünwald 2014 mit 23,5 Millionen Euro bei den Unterhachingern eingekauft hatte und diese somit den Schuldenberg verringern konnten.

Es sei in nichtöffentlicher Sitzung bereits davon die Rede gewesen, das ganze Projekt für einen Euro herzugeben. Der Deal mit der Nachbargemeinde ist währenddessen im Grünwalder Gemeinderat zum Zankapfel geworden. Man habe sich über den Tisch ziehen lassen, beklagen die Sprecher mehrerer Fraktionen.

Herbst 2004: Die ganze Geothermie-Welt blickt nach Unterhaching. An jenem denkwürdigen 27. September schießt am Bohrplatz neben dem Grünwalder Weg thermisches Wasser, begleitet von einer mächtigen Dampfwolke und dem Hurra der Bohrmannschaft, aus 3446 Metern Tiefe nach oben. Heißer als erhofft, in viel größerer Menge, als die kühnsten Optimisten erwartet hatten. Von allen Seiten prasselte danach Lob und Anerkennung ein auf die Unterhachinger Pioniere. Sie hatten es allen Zweiflern und Zauderern gezeigt. Der damalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin rühmte das innovative Projekt gar als "mustergültiges Vorhaben im Sinne der Energiepolitik der Bundesregierung" und machte 4,8 Millionen Euro staatlichen Zuschuss locker. Von einem Meilenstein für die Geothermie war die Rede. Und als der Initiator des gewagten Projekts, der damalige Bürgermeister Erwin Knapek, sich am Tag nach dem Hurra für die Fotografen in einem mit heißem Tiefenwasser befüllten Bassin rekelte wie Dagobert Duck im Geldbad, gab dies das passende Bild zur Metapher einer "sprudelnden Einnahmequelle."

1 Euro

Für einen Euro bekommt man für gewöhnlich einen Schokoriegel, eine Boulevardzeitung oder circa fünf Kilowattstunden Strom. Aber gleich ein ganzes Geothermie- Unternehmen mit Millionen-Umsätzen? In einer nicht-öffentlichen Sitzung, so beteuern es zumindest Mitglieder des Unterhachinger Gemeinderats, soll Bürgermeister Wolfgang Panzer kurz angemerkt haben, im Notfall würde er die Geothermie-Anlage auch für den symbolischen Betrag von einem Euro veräußern. Panzer will das Gerücht weder bestätigen noch dementieren. Der Käufer würde für einen Euro neben dem Unternehmen freilich auch dessen Verbindlichkeiten übernehmen.

Knapek sprach damals gerne auch von einer "Gelddruckmaschine". Mehr als elf Jahre später machen in nicht-öffentlichen Sitzungen des Unterhachinger Gemeinderats andere Metaphern die Runde: "Millionengrab", "Fass ohne Boden", "Sorgenkind des Gemeindehaushalts". Die Euphorie hat sich wie die Dampfwolke am Bohrplatz verflüchtigt, Kassandrarufe machen stattdessen die Runde wie auch das Gerücht, Bürgermeister Wolfgang Panzer und die Mehrheit des Gemeinderats würden lieber heute als morgen das einstige Vorzeigeprojekt loswerden, notfalls für einen symbolischen Euro. Wolfgang Geisinger, Geschäftsführer der Unterhachinger Geothermie-Gesellschaft, will zu diesem Gerücht kein Wort verlieren: "Das ist Sache der Gesellschafter." Dieses Gerücht lasse er so stehen, wenn das so wäre, dann müsste eh der Gemeinderat entscheiden", sagt Bürgermeister Wolfgang Panzer. Die Klage aus Grünwald, man sei über den Tisch gezogen worden, bezeichnete Panzer als politisches Geplänkel. Mit den Millionen aus Grünwald konnte sich die Gemeinde in jedem Fall Luft verschaffen, dafür aber gehört ihr nur noch das Netz allein, die Produktionseinnahmen muss sie seither mit Grünwald teilen, was die auf 15 Jahre angelegte Amortisation in die Länge zieht. Geisinger rechnet inzwischen mit 20 Jahren.

Der Gemeinderat Unterhaching ist in punkto Geothermie gespalten. Zu Stellungnahmen erklärt man sich nur ohne namentliche Nennung einverstanden. "Es kann nicht sein, dass der ganze Landkreis bohrt, und wir geben auf", heißt es von der einen Seite. "Er ist in der Welt unterwegs mit der Geothermie, und wir dürfen den Scheiß ausbaden", von der anderen Seite. Mit "Er" ist Altbürgermeister Erwin Knapek gemeint, der seit Jahren Präsident des Bundesverbandes Geothermie (GtV) ist. "Das Erbe, das Herr Dr. Knapek hier hinterlassen hat, ist eine große Belastung für die Gemeinde und keine - wie von ihm propagierte - Gelddruckmaschine", hatte bei den jüngsten Haushaltsberatungen Christian Dollinger (CSU) gesagt. Wie er betrachtet es die gesamte CSU-Fraktion nachträglich als Fehler, neben einem Fernwärmenetz auch eine Stromgewinnungsanlage gebaut zu haben. "Im Gemeinderat herrscht die Meinung vor, je schneller wir das Ding loswerden, umso besser", sagt ein anderer CSU-Vertreter.

Nach Darstellung von Erwin Knapek funktioniert diese Kalina-Anlage hingegen ausgezeichnet. So gut wie alle bisherigen Störungen hätten nicht mit der Kalina-Technik zu tun, so auch der jüngste Störungsfall im vergangenen Sommer, durch den die Anlage vier Monate stillstand und ein Einnahmeverlust von 1,2 Millionen Euro entstand. Es sei der Auffangbehälter für Ammoniak implodiert, nachdem ein Ventil falsch gedreht worden sei, erklärt Knapek den Schadensfall.

Was aber am meisten nerve, so ein Gemeinderat, das seien die Auftritte von Geschäftsführer Wolfgang Geisinger. "Jedes Mal hören wir von ihm, dass dies und das gemacht wird, und nichts trifft ein. Und am Ende kommt er dann mit neuen Hiobsbotschaften daher. Das ist eine Katastrophe." Die ursprünglichen Planzahlen würden nie erreicht, klagt ein anderes Mitglied des Gemeinderats.

Es sitzen nicht mehr viele im Gremium, die der eigenen Geothermie trotz aller Rückschläge bedingungslos weiter die Stange halten. Wie die FDP zum "Sorgenkind Geothermie" steht, das hat Peter Hupfauer schon mehrmals dargestellt. "Weitere Investitionen in die Geothermie lehnt die FDP - wie auch in den letzten Jahren - strikt ab", sagte er etwa bei den jüngsten Haushaltsberatungen.

Eine Frage der Rentabilität

Hat sich die Gemeinde Grünwald von ihrem Nachbarn Unterhaching beim Einstieg in deren Geothermie-Unternehmen über den Tisch ziehen lassen, wie mehrere Grünwalder Gemeinderäte behaupten? Oder hat sie dabei selbst einen "guten Schnitt gemacht", wie aus Unterhachinger Kreisen verlautet? Tatsache ist, dass die Erdwärme Grünwald GmbH (EWG) zum Preis von 23,5 Millionen Euro zu 50 Prozent an der Geothermie Unterhaching Produktions GmbH beteiligt ist. Dazu zählen alle technischen Anlagen, die der Stromproduktion dienen.

Das Netz verbleibt dagegen im alleinigen Besitz der Unterhachinger. Von den Einnahmen durch die Einspeisung des erzeugten Stroms ins Netz kassiert die EWG die Hälfte. Nach dem Energieeinspeisegesetz werden pro eingespeiste Kilowattstunde 16 Cent vergütet, dank ihrer Kraft-Wärmekoppelung und eines Frühbucherrabatts kassiert Unterhaching 23 Cent. Im Jahr 2014 floss bei einer Strommenge von insgesamt 8,825 Millionen Kilowattstunden also circa eine Million Euro in die Kassen. Das wäre also eine halbe Million Euro für die Grünwalder EWG gewesen.

"Es wurden Gewinne prognostiziert, Verluste sind die Realität", klagt dagegen ein Grünwalder Gemeinderatsmitglied und nennt als Beispiel dafür ein Ausbleiben von für Ende 2015 vereinbarten Zahlungen von Zins und Tilgung durch die Unterhachinger. Der Betrag sei bis ins Jahr 2017 ausgesetzt worden, nachdem durch den Ausfall der Stromerzeugung die Produktions GmbH für vier Monate keine Einnahmen hätte generieren können.

Bis auf die CSU-Fraktion, die in Grünwald allerdings die absolute Mehrheit hat, stoßen sich alle anderen Fraktionen an den Millionenausgaben und der ausbleibenden Rendite. In Unterhaching sieht man die Dinge anders. "Grünwald wollte die Beteiligung und hat dafür auch gute Bedingungen ausgehandelt, zum Beispiel sehr gute Zinsen", sagt ein Gemeinderat. Außerdem habe die Nachbargemeinde mit dem Geld auch ein sehr großes Mitbestimmungsrecht erworben. Fazit des Unterhachinger Gemeinderats: "Grünwald hat durch seine Investition nicht nur Unterhaching den A. gerettet, es hat dadurch auch selbst viele Vorteile erworben." mm

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