SZ-Serie "Landmarken":Märchenhaft

In der Unterföhringer Pfarrvilla wohnte einst ein Ziegelbaron. Heute gehört das schönste Gebäude im Ort der Gemeinde, die es anhand der Pläne aus dem Jahr 1899 restauriert.

Von Sabine Wejsada, Unterföhring

Wenn es dunkel ist, dann ist sie besonders schön anzuschauen: die Pfarrvilla von Unterföhring. An der Durchgangsstraße gelegen, in direkter Nachbarschaft zum modernen Bürgerhaus und dem in die Jahre gekommenen Rathaus, ist das Bauwerk wohl das schönste im Straßen- und Mediendorf Unterföhring.

Der Pfarrer wohnt schon lang nicht mehr dort, jetzt wird in der Villa geheiratet

1901 Im Jugendstil erbaut, mit einem verträumten Turm und verschnörkelten Ornamenten, prägt die in Weiß und Rosa gehaltene Villa die nüchterne Umgebung. Nachts, wenn sie durch indirektes Licht illuminiert wird, dürften sie nicht nur Romantiker märchenhaft finden. Aber dann ganz bestimmt, obschon das Haus auch tagsüber als Ort für Liebende dient. In der Pfarrvilla, wie sie die Unterföhringer nennen, obwohl der Pfarrer dort seit langem schon nicht mehr residiert, wird geheiratet. Seit 2013 kann man sich in einem Saal mit seinen sehenswerten Wand- und Deckenmalereien sowie Fresken in festlichem Rahmen das Jawort geben. Das denkmalgeschützte Gebäude ist bei Hochzeitern sehr beliebt.

Die Pfarrvilla, die heute der Gemeinde Unterföhring gehört, hat eine durchaus bewegte Geschichte hinter sich: In der Vergangenheit hatten in dem denkmalgeschützten Haus ein Ziegelbaron und etliche Geistliche gewohnt. Die Initialen unter dem Dach erinnern an ihren Erbauer: "Die Pfarrvilla wurde 1901 von einem Sebastian Beer errichtet", weiß der Unterföhringer Ortschronist Heinrich "Cäsar" Frey zu berichten.

Beer habe damals einiges in Unterföhring besessen: Eine Ziegelei, den Gockel-Wirt sowie den Gorrert-Hof an der Kanalstraße. Noch heute sind auf dem Turm die Initialen BSB angebracht. Frey, ein entfernter Verwandter des Ziegelbarons weiß freilich, wofür die Kombination steht - für Barbara und Sebastian Beer. Über letzteren kann der Ortschronist noch ein paar Geschichten erzählen: "Der Beer hatte ein riesiges Vermögen, das man unmöglich versaufen konnte", sagt Frey. Doch er sei eigentlich ein recht unbedarfter Bauernbub gewesen, der durch Pferderennen in städtische Kreise gekommen sei, "nicht die beste Gesellschaft", wie es geheißen hat damals.

Beer habe sich dann auch einen feudalen Lebensstil angewöhnt, um mitzuhalten. Doch im Ersten Weltkrieg habe er Pleite gemacht, und die Villa sei futsch gewesen. Ein Kaufmann aus München hat sie laut Frey gekauft, aber gewohnt hat er nie in dem herrschaftlichen Haus.

Anfang 2000 kaufte die Kommune das historische Anwesen

Als Unterföhring 1923 eine eigenständige Pfarrei wurde, habe sich die Beer-Villa als Pfarrhaus angeboten. Doch es habe damals ja eine immense Inflation gegeben, berichtet Frey. Damit der Kauf der alten Beer-Villa erfolgreich über die Bühne gehen konnte, hätten sich die Unterföhringer Bauern, die sehr an einer eigenen Pfarrei interessiert gewesen seien, etwas ausgedacht: "Sie übernahmen für den Handel eine Bürgschaft in Höhe des Werts von etlichen Doppelzentnern Weizen." Adolf Pschorr, der erste Unterföhringer Pfarrer, sei dann noch 1923 in das Gebäude eingezogen. Die Nutzung der Villa als Pfarrhaus endete erst im Frühjahr 2003, als das neue katholische Pfarrzentrum am St.-Valentin-Weg eingeweiht wurde.

Nachdem der Pfarrer dorthin übersiedelte, kaufte die Gemeinde das historische Anwesen und investierte kräftig in seine Restaurierung. 220 Arbeiter haben die Villa hergerichtet, die Kommune hat sich dies 1,35 Millionen Euro kosten lassen. Im September 2005 war das Schmuckstück fertig: Eine Kinderkrippe, Kindergruppen der Nachbarschaftshilfe und das Kulturamt konnten ihr neues Domizil beziehen. Mittlerweile beherbergt die Villa auch das Archiv des Heimatvereins Feringer Sach.

Pate standen für die originalgetreue Rekonstruktion der Pfarrvilla Pläne aus dem Jahr 1899. Ein Schindeldach wurde neu eingedeckt, Kastenfenster eingebaut, originale Bodenfliesen und Parkett verlegt. Vor allem die bei der Restaurierung entdeckten Wandmalereien erregten Aufsehen, sie wurden freigelegt und zieren die Räume. Im Inneren des Hauses blieb vieles erhalten, das Treppenhaus etwa, die Türen oder auch das Kämmerchen im Erker oben unterm Dach, wo sich die Räucherkammer der Pfarrvilla befand.

Bei der Restaurierung entdeckte man Wandmalereien

Günther Menarth und Anton Schwilm restaurierten die Deckenmalereien, die sich in jedem Zimmer der Villa befinden. Landschaften hatten sie ebenso aufzufrischen wie florale Jugendstil-, Neu-Barock- oder Neu-Gotik-Muster. Mit Gemälde- und Stuckrestaurierungen war es bei dem mehr als 100 Jahre alten Gebäude aber natürlich nicht getan: Die Fassade wurde erneuert und das Dach mit handgemachten Schiefer-Schindeln neu gedeckt. Außerdem wurden alle Fenster ausgetauscht und eine neue Heizungsanlage verbaut. Im Untergeschoss wurden die kleinen Kellerfenster größtenteils durch normale Fenster ersetzt und eine Fußbodenheizung eingebaut. Auch eine Art Aufzug an der Rückseite der Villa wurde installiert, damit Rollstuhlfahrer problemlos hinein gelangen können. Eine Rampe im vorderen Bereich hatte sich als nicht passend erwiesen.

Wie es sich für ein altes Haus gehört, hat auch die prachtvolle Pfarrvilla ein Geheimnis: Im ersten Stock, wo die Unterföhringer Kulturamtschefin Barbara Schulte-Rief residiert, steht ein großer grüner Tresor. Kein Mensch weiß, was er beherbergt. Der Schlüssel ist verschwunden, und niemand hat sich bislang getraut, das Trumm aufzubrechen oder von einem Fachmann aufsperren zu lassen. Vielleicht liegen ja alte Pfarrunterlagen darin. Oder Liebesbriefe. Eine romantische Vorstellung.

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