Unterföhring:Katzbuckeln an der Grenze zum Irrsinn

Unterföhring: Das Dienstmädchen Anna (Șahika Tetik) zeigt als einzige so was wie Rückgrat - im Gegensatz zu Biedermann (Olaf Gottschalk), der aus Kleinmut und Angst vor der Außenwirkung die Augen verschließt.

Das Dienstmädchen Anna (Șahika Tetik) zeigt als einzige so was wie Rückgrat - im Gegensatz zu Biedermann (Olaf Gottschalk), der aus Kleinmut und Angst vor der Außenwirkung die Augen verschließt.

(Foto: Robert Haas)

Regisseurin Anschi Prott inszeniert mit ihrem Ensemble "Tim - Theater ist mehr" in Unterföhring Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter" mit grotesken Elementen und auf beängstigend aktuelle Weise

Von Franziska Gerlach, Unterföhring

Eigentlich hätte nur noch gefehlt, dass Biedermann die grünen Benzinfässer am Mittwochabend eigenhändig auf die Bühne im Bürgerhaus Unterföhring rollt. Am Ende wird es lichterloh brennen, denn so handhaben es die Brandstifter seit Wochen. Sie klingeln, nisten sich bei braven Bürgern auf dem Dachboden ein, und zack, ehe man sich's versieht, steht das ganze Haus in Flammen. Gottlieb Biedermann, erfolgreicher Haarwasserproduzent, weiß doch, wie das läuft - und trotzdem reicht er Schmitz und Eisenring, den beiden Brandstiftern, sogar noch bereitwillig die Streichhölzer.

Max Frisch, im Jahr 1911 geboren, hat der Welt mit "Biedermann und die Brandstifter" einen Klassiker hinterlassen. Die Unterföhringerin Anschi Prott hat diesen vor drei Jahren mit dem von ihr gegründeten Ensemble "Tim - Theater ist mehr" auf beängstigend aktuelle Weise inszeniert: Im Grunde geht es in dem Stück darum, aus Feigheit oder Gutmütigkeit oder schlichtweg aus Angst um die eigene Außenwirkung die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Dabei sei diese, so hatte Brandstifter Wilhelm Eisenring (Katharina Laskowsky) gerade mit gleichmütiger Miene dem Biedermann erklärt, die beste aller Tarnungen überhaupt. "Die glaubt einem niemand!"

Mit einem erhobenen Zeigefinger wollte Max Frisch vermutlich niemandem kommen, zum Nachdenken anregen aber wohl durchaus. Mehrere Jahre hatte er an dem Theaterstück geschrieben, ehe "Die Brandstifter" im März 1958 erstmals in Zürich aufgeführt wurde. Ein "Lehrstück ohne Lehre" - so pflegte Frisch, der selbst in einem eher spießbürgerlichen Umfeld aufgewachsen sein soll, sein Drama zu nennen. Ob er damit gemeint hat, dass Herr Biedermann und seine Frau Babette nichts aus der Sache gelernt haben?

Nun, in Unterföhring mag es allenfalls einem Ignoranten erster Güte gelungen sein, diese ausgemachte Unfähigkeit zur Reflexion auszublenden. Dafür hat nicht zuletzt Regisseurin Prott gesorgt: Requisiten werden in ihrer Fassung nämlich nur sparsam eingesetzt, Benzinfässer, ein Sessel, nichts, was ablenken könnte von der Auseinandersetzung mit diesem großartigen Bühnenstoff, der die Charakterschwäche selbst zum Inhalt erhebt. Da ist es gewiss kein Zufall, dass ausgerechnet das Dienstmädchen Anna (Șahika Tetik) Rückgrat zeigt - und sich im Verlauf gewissermaßen befreit aus den klebrigen Fängen des sich anbiedernden Spießbürgertums.

Wenn die Figuren lachen, tun sie das stets haarscharf an der Grenze zum Irrsinn, die wie bei Pantominekünstlern weiß geschminkten Gesichter der Schauspieler betonen die überzogene Mimik und das Clowneske noch, etwa die stummen Schreie, wenn Biedermann (Olaf Gottschalk) mit weit aufgerissenem Mund einen Kanal sucht, um sein Entsetzen abzuleiten. "Nur durch das Groteske kann man das Stück richtig annehmen", sagt Anschi Prott im Foyer. Um sie herum steht eine Gruppe Zuschauer. Sie sind der Einladung der Unterföhringer Regisseurin und Theaterpädagogin gefolgt, nach der Aufführung noch über das Stück zu diskutieren. Max Frisch, sagt sie, sei es dabei auch weniger um Antworten gegangen. Er habe Fragen aufwerfen wollen. Den Menschen dazu anregen, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Mit dem Bild, das man nach außen abgibt. Und jenem, das man in sich trägt.

Auf der Bühne führen die Sätze, die Frisch seinem Protagonisten in den Mund geschrieben hat, zu einem nicht enden wollenden Tanz zwischen Gut und Böse. "Ich bin einfach zu gutherzig!", sagt Biedermann in einem Moment. Doch dann: "Aber diesem Knechtling werde ich den Hals schon noch umdrehen." Äußerlich findet diese Ambivalenz ihren Ausdruck darin, dass Biedermann zwar Haarwasser herstellt, aber eine Glatze hat. Und er kann die zehn Gebote auswendig herunterleiern, kündigt aber seinem Mitarbeiter Knechtling, obwohl dieser zu Hause eine kranke Frau und drei Kinder zu versorgen hat. In der Annahme, das Unglück durch Sympathiehascherei vielleicht doch noch abwenden zu können, katzbuckelt Biedermann vor den Brandstiftern wie ein Großer. Eine graue Masse ohne Konturen (gut gespielt von Olaf Gottschalk), die nach allen Seiten ausfranst, sich immer mehr verliert in der Gefallsucht und dem Zwang, sich seinem Gegenüber anzupassen.

"Seien wir doch mal ehrlich! Herr Biedermann tut doch nur, was wir alle tun!", hatte Anschi Prott zu Beginn dem Publikum erklärt, die zwischen den Akten immer wieder als "Verfasser" auf die Bühne trat, eine Rolle, die übrigens bereits in der Hörspiel-Version vorkommt, aus der Frisch später das Theaterstück entwickeln sollte. Es ging auch gar nicht so sehr um die Erkenntnis. Biedermann gleich jedermann - das kennt man schon. Sondern eher um den Umgang mit dem biedermännischen Anteil, den wohl ein jeder in sich trägt. Ließ sich die Geschichte um die fehlgeleitete Gutmütigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg noch als Parabel auf das nationalsozialistische Mitläufertum verstehen, geht es in der Inszenierung der Unterföhringerin mitnichten darum, irgendwen oder irgendwas zum Feindbild zu degradieren.

Ist es der Populismus oder die AfD, Söder und das Polizeiaufgabengesetz, ist es der Politikverdruss, ein genereller Verlust an Zivilcourage in unserer Gesellschaft, oder ist man es am Ende sogar selbst, mit dem man nicht klar kommt? In welcher Gestalt einen die Brandstifter heimsuchen, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Protts Hinweis, dass sich eine solche Katastrophe wie bei Frisch in jeder x-beliebigen Gemeinde ereignen könne - auch in einer solchen, die "eher reich als arm" ist, darf gewiss dennoch als Aufforderung verstanden werden, sich öfter mal an die eigene Nase zu fassen.

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