Umstrittene Wacht:Die bösen Buben kommen nur nachts

Umstrittene Wacht: Die Sicherheitswachtler sind in Uniform, haben aber geringe Befugnisse.

Die Sicherheitswachtler sind in Uniform, haben aber geringe Befugnisse.

(Foto: Claus Schunk)

Seit einem Jahr gehen Bettina Hanekop und Werner Fouss für die Sicherheitswacht in Ottobrunn auf Streife - immer ein paar Stunden am Tag

Von Christina Hertel, Ottobrunn

"Grüß Gott", sagt Bettina Hanekop in den nächsten zwei Stunden um die 20 Mal. Zu jedem, dem sie begegnet, hauptsächlich alten Menschen. Viele grüßen zurück, manche gucken bloß verwundert. Andere sprechen Bettina Hanekop an. "In der Nacht müssten sie hier sein", sagen sie. Und meinen: Wenn es dunkel ist. Wenn die bösen Buben kommen. Aber das darf Bettina Hanekop nicht.

Hanekop arbeitet bei der Sicherheitswacht in Ottobrunn. Zweimal die Woche läuft sie ein paar Stunden durch den Ort, immer tagsüber, egal ob bei 30 Grad im Sommer oder bei Schnee und Eis im Winter. Streifgänge in der Nacht möchte die Polizei nicht, weil das zu gefährlich sein könnte. Hanekop hat Pfefferspray bei sich, aber keine Handschellen und auch keine Pistole. Sie trägt eine blaue Jacke, die nach Polizei aussieht, bloß, dass auf dem Rücken in weißen Buchstaben "Sicherheitswacht" steht.

Verbrecher sollen sie nicht jagen

Hanekop soll die Polizei unterstützen, aber keine Verbrecher jagen. Wenn sie auf ihrer Streife einen Einbruch beobachtet, ruft sie 110 - wie es jeder Mensch tun sollte. Wenn sie einen Fahrraddieb auf frischer Tat ertappt, kann sie ihn festhalten - aber auch das darf jeder, selbst wenn er keine Uniform anhat. Ansonsten darf Hanekop Personalien aufnehmen und Platzverweise erteilen, aber das hat sie in dem ganzen Jahr, seit es die Sicherheitswacht in Ottobrunn gibt, noch nie gemacht.

Schon seit 20 Jahren gehen in Bayern Menschen wie Bettina Hanekop auf Streife. Auch in anderen Bundesländern wie Baden-Württemberg, Hessen und Sachsen gibt es das Konzept schon seit Langem. Aber erst in letzter Zeit ist das Thema wieder präsent. Die Menschen, heißt es, würden sich immer unsicherer fühlen. Die Politik müsse sich um dieses Gefühl kümmern, sagt CSU. Dabei ist Bayern das sicherste Bundesland. Nirgendwo sonst in Deutschland ist das Risiko, dass ins Haus oder die Wohnung eingebrochen wird, so gering.

Trotzdem hat das Bayerische Innenministerium beschlossen, die Sicherheitswacht aufzustocken - von 800 Freiwilligen auf 1500. In Ottobrunn gründete sich vergangenes Jahr die Sicherheitswacht. Vor kurzem beschloss der Gemeinderat, dass sie auch in Zukunft patrouillieren soll. Sonst sind im Landkreis in Unterhaching, Haar und Taufkirchen Hilfspolizisten unterwegs. Aber können sie Verbrechen überhaupt verhindern? Oder sind sie nur für eines da: für ein besseres Gefühl?

Bettina Hanekop, 52, blond, sieht aus, als könnte sie guten Apfelkuchen backen, aber auch einen Fahrradreifen flicken. Sie kommt ursprünglich aus Niedersachsen, lebt aber schon seit 30 Jahren im Raum München und artikuliert jeden Buchstaben. Einmal die Woche geht sie mit ihrem Mann auf Streife, Werner Fouss, 60. Sie ist Hausfrau, er Frührentner.

Beide tragen Turnschuhe, sie pinke, er neongelbe. Hanekop erzählt, dass sie sich im Winter Fäustlinge kaufen musste und im Sommer ein Käppi. Und man fragt sich, warum tun sich die beiden das an? Warum gehen sie nicht in die Berge wandern oder zum Tanzkurs oder zum Sprachkurs in der Volkshochschule? Warum marschieren sie lieber stundenlang durch Ottobrunn?

Umstrittene Wacht: Werner Fouss und Bettina Hanekop gehen stets ein paar Stunden in der Woche in Ottobrunn auf Streife.

Werner Fouss und Bettina Hanekop gehen stets ein paar Stunden in der Woche in Ottobrunn auf Streife.

(Foto: Christina Hertel)

10.30 Uhr, ein Mittwoch. Die Sonne scheint, es ist vielleicht einer der letzten schönen Tage in diesem Jahr. Ihre Route beginnt an der Polizeiinspektion in Riemerling, dort, wo Gewerbegebiet und Wohnsiedlung ineinander übergehen. Hanekop und Fouss laufen die Rosenheimer Landstraße entlang, vorbei an Asia-Laden und Apotheke, Tankstelle und Friseur-Salon. Hanekop erzählt, dass die Leute sie oft für ihre Arbeit loben würden. "Schön, dass Sie das machen, sagen sie."

Aber nicht alle finden das Konzept gut. Sogar der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft in Bayern, Hermann Benker, sagte einmal, das Geld für die Sicherheitswacht sei völlig falsch investiert. Tatsächlich laufen die Sicherheitswachtler nicht umsonst. Sie bekommen acht Euro in der Stunde. Fouss und Hanekop aber sagen, dass sie etwas Sinnvolles tun wollen - für die Gesellschaft.

Nicht mal einen Fahrraddieb haben sie auf frischer Tat ertappt

Aber das könnten sie doch auch als Helfer im Altenheim oder bei der Nachbarschaftshilfe? Hanekop zögert ein bisschen. Bei der Sicherheitswacht sei es möglich, sich die Zeit frei einzuteilen. Sie sagt der Polizei nur kurz Bescheid. Sie ist an der frischen Luft. Und sie kann mit den Leuten reden, denen sie auf der Straße begegnet.

Die Menschen hätten weniger Hemmungen, ihr etwas anzuvertrauen, als sofort die Polizei anzurufen. "Eine Frau hat uns mal gesagt, dass ihr Gartentürchen aufgebrochen wurde." Andere hätten erzählt, dass Autos mit ausländischen Kennzeichen in der Straße umherfuhren. "Viele wissen gar nicht, dass sie die Polizei auch anrufen können, wenn ihnen etwas komisch vorkommt und nicht nur, wenn es um Leben und Tod geht."

Hanekop und Fouss haben in dem vergangenen Jahr noch nichts Spektakuläres erlebt, nicht mal einen Fahrraddieb auf frischer Tat ertappt. Einmal, erzählt Hanekop, seien vier junge Männer vormittags durch ein Wohngebiet gelaufen. "Ohne Ziel." Das sei ihr seltsam vorgekommen. "Wir haben sie dann angesprochen und gefragt, ob sie etwas suchen." Und? "Die Beethovenstraße, sagten sie." Eigentlich sei das Ganze nicht suspekt gewesen, sagt Werner Fouss. Aber ein bisschen komisch, sagt seine Frau.

Die beiden laufen durch Straßen mit großen Häusern, großen Gärten, großen Bäumen. Hier wohnen entweder sehr alte oder sehr reiche Menschen. Viele sind wahrscheinlich beides zusammen. Eine ältere Dame zieht ihre Mülltonne in die Garage. "Kann ich helfen?", fragt Fouss. Hilfe braucht sie keine. "Sie kommen zu spät", sagt die Frau im braunen Hosenanzug mit Tuch und weißen Haaren. "Letztes Jahr hätten Sie da sein müssen." Und dann beginnt sie zu erzählen. Zweimal sei bei ihr eingebrochen worden innerhalb eines Monats. Wertvoller Schmuck weg, das Haus verwüstet. Früher in Berlin sei manchmal die Polizei durch die Straßen gelaufen. Und heute? "Man sieht ja nirgends mehr Polizisten."

Robert Fritsch, der stellvertretende Dienststellenleiter, sitzt in einem kleinen Besprechungsraum in der Ottobrunner Polizeistation. "Wir haben eine Streife. Die fährt von Neubiberg bis Aying durch sieben Gemeinden." Etwa 71 000 Menschen leben in diesem Gebiet, für sieben Gemeinden sind die Polizisten der PI 28 verantwortlich. Irgendwie klar, dass die Polizisten da nicht durch Wohngebiete spazieren gehen. Aber könnte man das Geld, das der Freistaat für die Sicherheitswacht ausgibt, nicht besser investieren? In mehr Stellen, bessere Ausrüstung? Selbst wenn die Sicherheitswacht abgeschafft würde, sagt Fritsch, würden deshalb nicht mehr Polizisten eingestellt werden. Aber klar sei: "Die Sicherheitswacht kann keinen Polizisten ersetzen." Sie schadet nichts, bringt aber auch nicht viel, so klingt das. Außerdem lassen sich gar nicht genug geeignete Leute finden. Zehn Stellen sind für die Sicherheitswacht in Ottobrunn vorgesehen, aber nur vier besetzt. "Wenn die Leute schon in die Bewerbung schreiben, dass sie in ihrem Viertel endlich mal aufräumen wollen, kommen die für uns nicht infrage", sagt Fritsch.

Werner Fouss und Bettina Hanekop wirken nicht so. Fouss weiß, dass es Anfang der Neunzigerjahre mehr Mord und Totschlag gab in Deutschland und auch mehr Einbrüche. Er sagt: "Uns geht es doch eigentlich gut." Warum haben die Menschen trotzdem ein anderes Gefühl? "Vielleicht liegt es an den Medien", sagt Fouss. Ständig höre man von so viel Schlechtem auf der Welt. "Dabei gab es Krieg, Flüchtlinge und Verbrechen schon immer." Der Unterschied sei: "Heute bekommt man das alles live aufs Handy."

Inzwischen riecht es aus einigen Häusern nach Mittagessen. Fouss und Hanekop gehen durch den Hasenweg zur Polizeistation. Sie sperren ihre Jacke in den Spind und radeln nach Hause. Zwei Stunden laufen macht hungrig.

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