Typologie des Prostens:"Schwoab ma's obe"

"Salut i força al canut!" oder einfach nur "Proooooooooost": In den Münchner Kneipen hat sich eine Reihe von Trinksprüchen etabliert. Hinter jedem Spruch steckt ein besonderer Typ.

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Sekt zum Silvester

Quelle: dpa

Zum Jahreswechsel prosten sich die Menschen wieder besonders intensiv zu. Doch der alte Spruch "Prosit" - "es möge nützen" - dürfte höchstens noch unter den Alten Herren in Studentenverbindungen geläufig sein. In den hiesigen Kneipen und Bars hat sich längst eine ganze Reihe von mehr oder minder geistreichen Trinksprüchen und Anstoßritualen etabliert. Und ob es sich nun um den weitgereisten Trinker handelt, der gerne in geselliger Runde seine Fremdsprachenkompetenz zur Schau stellt, oder den Rotweinkenner, der seine Tischgesellschaft mit demonstrativem Unterstatement beeindrucken will, fest steht: Hinter jedem Spruch steckt ein besonderer Typ.

Der Verniedlicher

Statt "Passt schon" sagt er "Okidoki", statt "Servus" meist "Tschüssi" - und statt "Prost" gerne "Stößchen". Beim Bäcker oder auf dem Amt kommt der Verniedlicher damit ungeschoren davon, abends in der Kneipe eckt er an. Wer mit seinem Glas Champagner gegen das des Gegenüber klirrt und dabei beschwipst-beschwingt "Stößchen!" ausstößt (das ö gedehnt sprechen, das ch nicht verschlucken), erntet zumindest einen grantigen Blick, der besagt: "Ja, Herrschaftszeiten, hat der noch alle beinanda?" Und damit ist er noch glimpflich davongekommen. Stößchen ist in Sachsen als Trinkspruch gebräuchlich, in Dortmund bezeichnet es ein 0,1 Liter fassendes Biergläschen. Von einem Münchner würde man dies nie hören. Nur eines ist noch schlimmer; wenn jemand anstößt und sagt: "Prostata!"

Text: Lisa Sonnabend

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Typologie des Prostens:Der Schnösel

ProWein Messe

Quelle: dpa

Er trägt gerne eng geschnittene Anzüge von Paul Smith.In seiner herrschaftlich restaurierten Altbauwohnung im Lehel, wo er Freunde mit teuren Weinen bewirtet, stehen Designerstühle mit schwarzem Lederbezug; die George-Clooney-Maxi-DVD-Kollektion und die Fotos vom letzten Tauchurlaub an der australischen Westküste liegen griffbereit. Dieser Typ, der neuerdings in angesagten vietnamesischen Lokalen in Schwabing und nicht mehr beim Schnösel-Italiener in Bogenhausen verkehrt, sagt oft gar nichts, wenn er mit Frauen anstößt. Er schaut ihnen tief in Augen! Manchmal stößt er gar nicht an, sondern hebt nur leicht das bauchige Riedel-Glas. Dann lässt er ein ironisches "Cheers!" fallen, wobei er versucht, die an sich freudig gemeinte Formel möglichst blasiert und unterkühlt hinzuhauchen: Cheers. Auf der Wiesn würden sie jetzt proletarisch zurückgröhlen: "Prost, du Sack!"

Text: Christian Mayer

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Typologie des Prostens:Der Kosmopolit

Cocktail

Quelle: iStockphoto

Schniekes Hemd, Wachs im Haar, ein Lächeln. Der Kosmopolit, im Schuhmann's oder im Brenner, kommt sich weltmännisch vor. Um zu zeigen, wie weit gereist er ist, haut er mit seinem Cosmopolitan in der Hand einen fremdländischen Trinkspruch nach dem anderen raus. Dabei nimmt er keine Rücksicht, er denkt ja sowieso, dass ihn niemand versteht. Der spanische Toast Arriba abajo al centro pa dentro! ("Nach oben, nach unten, zur Mitte und rein damit!") ist ein bisschen versaut, der französische Spruch à nos amours, qu'elles soient nombreuses et courtes! ("Auf unsere Liebschaften, die zahlreich und kurz sind!") spielt auf die Qualitäten als Liebhaber an. Der katalanische Toast "Salut i força al canut!" ist auch doppeldeutig: "Canut" bedeutet "Geldbörse" und umschreibt das männliche Geschlechtsteil. Darüber lacht sich der Kosmopolit stundenlang schlapp. Die anderen eher weniger.

Text: Beate Wild

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Typologie des Prostens:Der Rundum-Proster

Hände mit Biergläsern Bier

Quelle: dpa

Mit diesem Typen kann es unglaublich anstrengend werden. Sobald nur einer in der Runde das Glas hebt, um zu trinken, fordert er alle auf anzustoßen - ohne Kompromisse. Der Reihe nach muss man dann die Gläser zum Klingen bringen und sich geduldig lächelnd in die Augen schauen, bis man endlich seine Kehle befeuchten darf. Bevorzugt ist man solchen Ritualen in Kneipen wie dem Klenze17 oder dem Netzer unterworfen, aber auch in bayerischen Traditionsgaststätten wie dem Andechser am Dom sieht man es. Das Spiel geht den ganzen langen Abend so. Spätestens nach dem zehnten Mal Zuprosten ist man ermattet und genervt. Versucht man heimlich, einen Schluck von seinem Weißbier zu nehmen, ohne die ganze Prozedur über sich ergehen zu lassen, ertappt einen der Rundum-Proster sofort und ruft: "Nur ein Schwein trinkt allein!" Dann geht es wieder von vorne los, ohne Gnade.

Text: Beate Wild

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Typologie des Prostens:Der Betrunkene

Barman's 2009 International Drinks Fair Held In Tel Aviv

Quelle: David Silverman/Getty Images

Er nähert sich schwankend, plötzlich reißt er die Arme auseinander, ein Schluck Wodka schwappt aus dem Glas, er ist ganz nah, umarmt einen unsanft und brüllt: "Prooooooooooost!" Die beiden Konsonanten am Anfang des Wortes bewirken, dass einen feuchte Kleckse treffen. Die vielen "O's", dass ein stechender Schmerz im Ohr zurückbleibt. Dann lässt er ruckartig los und steuert den nächsten Gast an, der soeben den Raum betritt. Einen Prooooooooooost-Sager gibt es in jedem Lokal - ob im Pilspub Hoppala, in der Favorit Bar oder im Schumann's. Er ist der Betrunkenste von allen. Die Silvesternacht verbringt er mit der immer gleichen motorischen Bewegung: Opfer anvisieren, umarmen, brüllen. Bis ihm mit seinem alkoholbedingt auf ein Wort geschrumpften Wortschatz auch dieses eine Wort nicht mehr einfällt und er nach Hause geht - oder er plötzlich umfällt.

Text: Lisa Sonnabend

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Typologie des Prostens:Die Tussi

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Quelle: AP

Hört man Cin Cin und danach Gläserklirren, ist drum herum garantiert alles lang und schmal: die Sekttulpe, mit der angestoßen wird, die Fingernägel und Hände, die den Stiel halten, die Absätze der Pumps und wahrscheinlich auch das Persönchen darin. Cin Cin sagen nur Frauen, die das beim letzten Shoppingtrip nach Mailand gelernt haben; als Mann macht man sich mit diesen beiden Silben lächerlich. Nein, da zählt auch nicht das Argument, dass das halt italienisch sei, italienische Männer tragen auch Haarreifen und sehen damit passabel aus, das sollte man nördlich der Alpen nicht versuchen. Cin Cin hört man in München oft. Die Stadt wird auch 2011 versuchen, Italien zu sein, wo doch Spritz jetzt der neue Asti ist, und billiger Sekt fast wie Champagner schmeckt, wenn man ihn nur Prosecco nennt.

Text: Judith Liere

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Typologie des Prostens:Der Alternative

Themendienst Essen & Trinken: Hochprozentiger Genuss aus Mexiko

Quelle: ddp

Manche Menschen finden ja grundsätzlich alles, was grundsätzlich alle machen, blöd. Diese Menschen haben einen Geldbeutel vom Flohmarkt, oder sie haben ihn aus alten Weinflaschen selbst geblasen. Sie haben ein uraltes Siemens S45-Handy, rauchen indische Zigaretten und hören selbstgemachte Musik. Hitparade kommt überhaupt nicht in Frage, das wäre ja noch schöner. Solche Menschen stoßen nicht einfach wie jeder andere mit jemandem an. Sie wären dann ja wie alle anderen. Nur: Das Prost-Prozedere zu verweigern, das fiele auf. Die Alternative der Alternativen: durch Übertreibung relativieren und distanzieren. Sprich: Mit "Superprost", "Chillicheers" oder einer anderen spontanen Kreation glauben sie das Problem der Mainstreamfalle zu umschiffen - halten dabei jedoch einen Aperol Sprizz oder Sour in der Hand.

Text: Philipp Crone

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Typologie des Prostens:Die Spaßbremse

Cognac

Quelle: iStockphoto

Die Spaßbremse liebt "Dinner for one". Das ist lustig, das schaut sie jedes Silvester. Besonders dieser Admiral von Schneider. Schlägt immer so zackig die Hacken zusammen, wenn er Miss Sophie zuprostet, dann streckt er die Brust raus und brüllt "Skol!". Aber eigentlich ist es natürlich nur Butler James, der den Admiral und die anderen Gäste nachmacht. Das macht die Spaßbremse an Silvester dann auch, weil sie das ja so lustig findet, und tut dabei so, als würde sie über einen Tigerkopf hüpfen. Weil jeder selbst schon einmal "Dinner for one" gesehen hat, und die Einlage deshalb wenig originell findet, steht die Spaßbremse um Mitternacht immer alleine herum. Sie prostet sich deshalb mit einem Glas Cognac selbst zu und murmelt traurig "Skol". Dann stellt sie sich vor, wie es mit Miss Sophie auf dem Zimmer wäre.

Text: Florian Fuchs

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Typologie des Prostens:Der Exil-Norddeutsche

ASTRA NEUER HAUPTSPONSOR DES FC ST. PAULI

Quelle: DPA

Im Exil besinnt man sich ja oft plötzlich auf die Heimat - umso mehr, je größer die Unterschiede zwischen neuem und altem Wohnort sind. Der Norddeutsche hat es in Bayern nicht leicht, er versteht das Idiom nicht, nirgends gibt es Aalbrötchen, und dieses Bier, das nur in übertriebenen Maßeinheiten ausgeschenkt wird, macht ihn viel schneller betrunken. Deshalb liebt der Exil-Norddeutsche das Café Kosmos, da gibt es Astra. Dass dies schmeckt, als hätte man die Reste aus den übriggebliebenen Kästen der letzten Party Wochen später zusammengeschüttet und wieder mit einem Kronkorken verschlossen, ignoriert er - es kommt aus St. Pauli, das reicht. Und wenn er an Silvester schon nicht auf der Reeperbahn nachts um halb eins sein kann, dann ruft er wenigstens, was man in seiner Heimat ruft: "Nich lang schnacken, Kopp in Nacken!" Auch wenn's zum Bier statt Korn nur Obstler gibt.

Text: Judith Liere

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Typologie des Prostens:Der Kettenraucher

Wiesnbierprobe in München, 2010

Quelle: Alessandra Schellnegger

Die Raucherlunge hat es nicht leicht. Die Zigaretten werden nicht billiger, und seit dem Sommer gibt es auch noch dieses Rauchverbot, zum Kotzen ist das. Und dann ist das Rauchen ja auch nicht gerade gesund. Seit ein paar Monaten ist der Husten schlimmer geworden. Der Arzt hat gesagt: "Wenn Sie nicht aufhören, kann ich für nichts garantieren." Dabei will die Raucherlunge überhaupt keine Garantie. Die Raucherlunge will einfach ein bisschen Spaß im Leben, wenigstens das. Deshalb ja auch das Rauchen, das entspannt. Kein Grund also, was zu ändern im neuen Jahr. Sollen doch die anderen gute Vorsätze machen und sie wieder brechen. "Schwoab ma's obe", sagt die Raucherlunge um Mitternacht in der Giesinger Boazn an der Ecke, den ganzen Ärger runterspülen. Dann stößt sie an mit dem Franz und der Ursula, nimmt einen Schluck Helles - und steckt sich noch eine an.

Text: Florian Fuchs

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Typologie des Prostens:Der Penetrante

Fasching in München, 2009

Quelle: Alessandra Schellnegger

Der penetrante Proster braucht keine Worte: Sein Kommunikationsmittel beim Zuprosten - gerne mit Schnaps - sind Zeige- und Mittelfinger, die auf die Augen des Gegenüber deuten. Der penetrante Proster ist einer aus der Untergruppe Klugscheißer, der bevorzugt in Gruppen aktiv wird. Er hält sich beim wahllosen Anstoßen zurück, blickt zunächst seinem Nebenmann in die Augen, prostet ihm zu. Dann beobachtet er, wer seinen Anstoßpartnern während der Berührung der Gläser nicht in die Augen geschaut hat. Nun weiten sich die Pupillen des penetranten Prosters. Mit aufgerichtetem Oberkörper, hervorquellenden Augen und den ausgestreckten Fingern spießt er den Gegenüber mit seinem Blick auf, bis der ihn ansieht. Man kann ihn im Zoozies treffen, auf keinen Fall im Johanniscafé.

Text: Philipp Crone

© SZ vom 31.12.2010/zinn/tob
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