Taufkirchen/München:Vereinsheim statt Hightech-Studio

Lesezeit: 3 min

Josua Schmidt aus Taufkirchen kam von Trendsport Cross-Fit zum traditionellen Gewichtheben. Inzwischen stemmt er 110 Kilo im Reißen und 140 Kilo im Stoßen.

Von Bernhard Lohr, Taufkirchen/München

Es ist neun Uhr in der Früh, an einem dusteren Tag. Wer nicht zur Arbeit muss, könnte versucht sein, im Bett zu bleiben. Doch in dem flachen, einstöckigen Bau der Kraftsportabteilung des SC München von 1906 brennt lange schon Licht. Im Radio dudelt leichte Popmusik, als Josua Schmidt, 27, in voller Sportlermontur durchschnauft und sich erst einmal setzt, als wäre er ein Arbeiter, der sich zur verdienten Brotzeit niederlässt. Schmidt ist hellwach, er hat einige Trainingseinheiten hinter sich. Ein Handtuch hängt über dem Trimm-dich-Rad nebenan. Der Mann ist auf Betriebstemperatur.

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Die Statur verrät es. Der Taufkirchner hebt seit seinem 14. Lebensjahr Gewichte. Er surfte lange auf der Fitness-Welle und ist heute Trainer in einer Kampfsportschule und in einem der Cross-Fit-Center, die auch in München aus dem Boden schießen. Cross-Fit ist ein Trendsport, bei dem es um breit angelegtes Kraft- und Konditionstraining geht. Wobei man sich abheben will von der Hochglanzwelt der Fitness-Bewegung. Zurück zu den Wurzeln, heißt es stattdessen. Zurück zu alten Sportarten, zurück auch zum Gewichtheben. Spartanisch eingerichtet sind die angesagten Cross-Fit-Boxen, die mehr Werkstätten ähneln als Wellness-Tempeln. Dass Josua Schmidt irgendwann vom Cross-Fit den Schritt zum traditionellen Gewichtheben machen würde, war nur konsequent.

Sein kleiner, spartanisch anmutender Trainingsraum beim SC München von 1906 könnte eine Cross-Fit-Box sein. Anfangs lupften bei dem Verein in Obergiesing nahe dem Ostfriedhof die starken Männer große Steine und Fässer. Später bezogen sie das Häuschen, das aus zwei Räumen besteht. In dem einen stehen Fitnessgeräte, in dem anderen gibt es außer einer Bank nur Hanteln in verschiedenster Ausführung. Die Vereinsfahne hängt in einem Glasschrank und die Wände zieren Bilder von starken Männern früherer Zeiten. Außer Josua Schmidt ist an diesem Tag Frühaufsteher Johann Sigl schon da. Der 87-Jährige war 55 Jahre Mitglied des Vorstands, war Gewichtheber und Ringer. Er trainiere heute nicht, sagt er fast entschuldigend, weil er erkältet sei. Dann holt er aus und erzählt und erzählt - unter anderem, wie er Ende der Sechzigerjahre mit anderen das Vereinsheim vor dem Verfall gerettet habe.

Es ist unverkennbar: Es menschelt beim SC 1906, Josua Schmidt hat das Fitnessstudio mit dem Vereinsleben getauscht. Und er findet es okay. In Kürze will er sich sogar für den Vorstand in die Pflicht nehmen lassen. Er und ein Kumpel, sagt er, hätten sich auf einer Mitgliederversammlung dazu bereit erklärt. Das Gewichtheben hat durch Leute wie Schmidt und die Cross-Fit-Bewegung etwas von dem verstaubten Image abgelegt. Die Szene sei überhaupt nicht konservativ, sagt Schmidt. Wie es beim Gewichtheben zugeht, hat er selbst gemerkt, als er spontan vor zwei Jahren bei den offenen Münchner Meisterschaften in Aubing mitwirkte und direkt einen ersten Platz holte. Eine "geile Veranstaltung" sei das gewesen, mit großartigen Leuten. Das Gewichtheben hält Schmidt für einen kompletten Sport. Eine Sportart, die aus zwei Bewegungen bestehe, und doch hochkomplex sei. "Man könnte 40 Jahre Gewichtheben und hätte immer noch nicht ausgelernt", sagt Schmidt.

So trainiert er auch. Mal schwitzt er morgens um 8 Uhr, mal abends. An bis zu sechs Tagen sportelt er bis zu drei Stunden. Er beginnt mit einem Lauftraining auf dem Sportplatz nebenan, auf dem Franz Beckenbauer als Kind das Fußballspielen lernte. Er läuft ein paar Runden und legt Sprints ein, um warm zu werden. Manchmal strampelt er auf dem Fitness-Rad einige Kilometer runter. "Dann geht es an die Stange", sagt Schmidt. Er trainiere immer kleine Einheiten, um sich zu verbessern. Das sei Millimeterarbeit. "Du darfst keine Schwachstellen haben."

Nur so zur Demonstration legt Schmidt 70 Kilo auf. Er geht zum Magnesium-Topf, reibt sich die Hände ein, in deren Innenflächen sich rissige Stellen auftun. Um die Handgelenke legt er sich zwei Schlaufen und umfasst die rauen Griffflächen der Stange. Mit einem Reißen zieht er sie in einer Bewegung über seinen Kopf. Schmidts Oberschenkel sind dick wie Baumstämme und doch zittern sie unter der Belastung. Auch Schnellkraft zählt. Dazu kämen ein flexibler Rücken und flexible Gelenke, wie Schmidt hinterher sagt. Spitzenathleten diverser Sportarten trainierten in den USA im Gewichtheben Schnelligkeit, Kraft, Koordination und Beweglichkeit.

Selbst Josua Schmidts kräftige Oberschenkel zittern unter der Belastung. (Foto: Claus Schunk)

In der Mannschaft tritt Schmidt beim ESV Freimann in der Gewichtsklasse 86 bis 94 Kilo an, und ist dort mit seinen 110 Kilo im Reißen und 140 Kilo im Stoßen eine Stütze. Beim Stoßen wird die Stange erst auf Höhe der Schulter gebracht, um sie dann in einer zweiten Bewegung mit gestreckten Armen über den Kopf zu bringen. Bei seinem ersten Gewichtheber-Wettkampf habe er "mit mehr Glück und Kraft als Verstand" gewonnen, sagt er. Nun peilt er im Herbst mit verbesserter Technik die Deutschen Meisterschaften an und hat sich als Ziel 135 Kilo im Reißen und 165 Kilo im Stoßen gesetzt. Damit wäre er im oberen Drittel in Deutschland angelangt.

© SZ vom 18.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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