Taufkirchen:Unterschiedliche Blickwinkel

Taufkirchen: Maike Vatheuer-Seele hat den Verein mitgegründet.

Maike Vatheuer-Seele hat den Verein mitgegründet.

(Foto: oh)

Der Verein "Demokratie-Verstärker" setzt auf Überparteilichkeit und Meinungsvielfalt

Von Cristina Marina, Taufkirchen

Es war bei einem Ramadama im Frühjahr 2016: Maike Vatheuer-Seele, die im Asylhelferkreis aktiv ist, wollte gemeinsam mit einigen Flüchtlingen Müll sammeln, die Straßen Taufkirchens ein wenig aufräumen. Die Aktion hatte sie anfangs für eine "schöne Sache" gehalten, doch sie wurde überrascht. Denn in den wenigen Stunden, in denen sie mit den schwarzen jungen Männern unterwegs war, wurde sie dreimal von unbekannten Menschen beschimpft. Zum Beispiel als "Negerfotze".

So erzählt es Vatheuer-Seele beim Stammtisch des Vereins "Demokratie-Verstärker". Die 46-Jährige hat den gemeinnützigen Verein im vergangenen Jahr gegründet. Sie will erreichen, dass "man wieder ins Gespräch miteinander kommt". Denn damals beim Ramadama habe keiner der Schimpfenden auf ihre verdutzte Nachfrage reagiert, erzählt Vatheuer-Seele. Alle seien unbeirrt weitergelaufen: der Mittdreißiger genauso wie die etwa 50-jährige Frau und die Frau über 70.

Vatheuer-Seele drückt sich eloquent aus, die große, blonde Frau mit kurzen Haaren hat Politik und Soziologie in Berlin und Hannover studiert. Sie könne gut nachempfinden, wenn es einem angesichts der "übelsten Beleidigungen", wie man sie auch vermehrt im Internet zu lesen bekomme, die Sprache verschlage. Aus diesem Motiv heraus habe sie beschlossen, sich erstmals in ihrem Leben politisch einzubringen.

Unter den Mitgliedern des Asylhelferkreises fand sie Mitstreiter für die Vereinsgründung, denn es zeigte sich, dass auch andere Taufkirchner seit der Unterbringung der Flüchtlinge in der Traglufthalle für sich festgestellt hatten, dass da "Dinge laufen, die man früher so nicht vermutet hätte", wie Thomas Bonz es formuliert. Bonz sitzt nun im Vorstand der "Demokratie-Verstärker".

Der Verein will bei den Taufkirchnern eine bewusste Auseinandersetzung mit verschiedenen Meinungen anstoßen und so die Demokratie und das Grundgesetz stärken. Denn die damals Schimpfenden, so erinnert sich Vatheuer-Seele, seien "Leute wie du und ich" gewesen. "Es kommt einem so vor, als wären heute viele nicht mehr fähig, ruhig zuzuhören und den anderen ernst zu nehmen." Gerade wenn man wisse, das jemand sich in einer Partei politisch engagiere, sei es mit dem Zuhören und der sachlichen Diskussion schnell vorbei. Weil das Vertrauen in die Politiker zuletzt gesunken sei, werde demjenigen oft unterstellt, er würde immer nur die Ideologie seiner Partei "verkaufen". Der echte Mensch mit seiner echten Meinung bleibe so auf der Strecke. Das wollen die "Demokratie-Verstärker" ändern: "Fast das Wichtigste an dem Verein ist unsere Überparteilichkeit", sagt Bonz. Drei Vereinsmitglieder haben kein Parteibuch, die restlichen vier gehören SPD, FDP, Grünen und Freien Wählern an. Entsprechend lebhaft fallen die Stammtisch-Gespräche auch aus. "Oft werden für meine Begriffe alle Meinungen vertreten", sagt Maike Vatheuer-Seele, "manchmal sehr leidenschaftlich sogar - aber ohne dass man sich gegenseitig beleidigt". Denn darauf werde Wert gelegt: Die Stammtisch-Gäste dürften alles sagen, solange sie "keinen der anderen Gäste ausgrenzen oder seine Meinung lächerlich machen".

Diese Grundsätze sagen auch Herbert Heigl zu. Der CSU-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat nimmt schon das zweite Mal am Stammtisch teil - diesmal gemeinsam mit seiner Frau. Besonders schätze er die vielen Blickwinkel, die zum jeweiligen Diskussionsthema eingebracht werden. Auch wenn er sich manchmal "am Ende mehr Ergebnisse" wünschte, wisse er, dass solche - gerade auch bei den extrem komplexen Fragestellungen - nicht an einem einzigen Abend erwartbar seien.

Am Stammtisch wird schon einmal für den schnellen Faktencheck das Handy gezückt oder ein Tablet eingeschaltet, um seine eigene Meinung zu untermauern. Und immer werde die Quelle genannt und gemeinsam hinterfragt, fügt Vatheuer-Seele hinzu. Bislang habe kein Vertreter der AfD an den Runden teilgenommen. Und leider auch keine Gäste mit Migrationshintergrund. Noch nicht. Denn der Verein, seit September vergangenen Jahres aktiv, stehe erst am Anfang. Dem Stammtisch an jedem dritten Mittwoch im Monat soll Weiteres folgen. Auch wenn freilich nichts über Nacht geschehen wird: "Wir hoffen, dass das auf Dauer etwas bringt", sagt Bonz.

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