Flüchtlinge aus Afghanistan:Leben in ständiger Angst

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Seit 2011 ist Naiem Mahmodi bei seiner Familie in Deutschland. In dem kleinen Lebensmittelgeschäft der Eltern hilft er aus. Doch jetzt droht ihm wie vielen Afghanen der Verlust der Arbeitserlaubnis und die Abschiebung in die alte Heimat. (Foto: Angelika Bardehle)

Flüchtlinge aus Afghanistan sollen konsequenter abgeschoben werden - so wollen es Politiker in Berlin und München. Was das im Einzelnen bedeutet, zeigt der Fall von Naiem Mahmodi.

Von Lea Frehse, Taufkirchen

Ganz gleich wie es ausgeht: Naiem Mahmodi wird immer mit sich tragen, was ihm noch nie vergönnt gewesen ist. Der Name Naiem kommt aus dem Arabischen und bedeutet "der Friedvolle". Bloß: Wie sich das anfühlt, in Frieden zu leben, hat Naiem noch nicht erfahren. Erst war da der Krieg, dann die Duldung, immer Angst.

Naiem Mahmodi wurde vor 29 Jahren in Afghanistan geboren. 2011 floh er nach Deutschland. Er war der letzte der Mahmodis, der ankam, seine Eltern und Geschwister sind schon lange hier, haben sichere Aufenthaltsgenehmigungen. Nur Naiem nicht. Er war schon volljährig, als der Vater die kleineren Kinder nach Deutschland holen konnte. Als er später auf eigene Faust floh, wurde sein Asylantrag abgelehnt. Weil Deutschland ihn aber ins Kriegsland Afghanistan nicht zurückschicken konnte, erhielt er immer wieder ein Bleiberecht auf Zeit. Naiem Mahmodi war in Deutschland "geduldet". Bis der Brief kam.

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Lebensmittelpunkt der Familie Mahmodi ist ein kleiner Supermarkt in der Taufkirchner Eschenpassage, den der Vater betreibt. Naiem verkauft an der Fleischtheke Rind und Lamm - halal, also nach islamischen Vorschriften geschlachtet. Er ist seit Jahren regulär angestellt, zahlt Steuern und Sozialabgaben. Dann aber kam Anfang 2016 ein Schreiben vom Landratsamt: Mahmodi werde aufgefordert, Deutschland umgehend zu verlassen. Arbeiten dürfe er als "Ausreisepflichtiger" nicht. In Bürokratendeutsch also die Drohung: Der 29-Jährige soll nach Afghanistan abgeschoben werden.

Inzwischen sind viele Schriftstücke hin und her gegangen, Naiems Furcht aber bleibt immer gleich konkret. Erst diesen Freitag erreichte seine Anwältin Anna Toth die Nachricht, der nächsten Abschiebeflieger nach Kabul gehe am 22. Februar. Keiner weiß genau, wer dann auf der Passagierliste stehen wird. Doch ist nicht ausgeschlossen, dass Naiem Mahmodi darunter sein wird, fürchtet Toth: "Fälle wie seiner stehen auf der Abschiebeliste."

Die Akte Mahmodi gleicht denen von Tausenden Afghanen, deren Asylanträge zurzeit abgelehnt werden. Wie es für sie weitergehen soll, darüber tobt in Berlin und München erbitterter Streit. Die Bundesregierung, angeführt von CDU und CSU, will abgelehnte Asylbewerber schneller abschieben, auch nach Afghanistan. Zwar herrsche dort vielerorts Krieg, doch gebe es Orte wie die Hauptstadt Kabul, in denen es sich sicher leben lasse, argumentiert sie.

Mitte Dezember schickten deutsche Behörden das erste Mal seit zwölf Jahren wieder ein größeres Flugzeug mit Abgeschobenen nach Afghanistan. Experten und Flüchtlingsräte widersprechen der Regierungsdarstellung. Nicht nur wüte im verarmten Afghanistan flächendeckend Gewalt, auch habe sich die Sicherheitslage erst im vergangenen Jahr noch einmal deutlich verschlechtert. Um für Klarheit zu sorgen, erbat die Bundesregierung zuletzt eine unabhängige Analyse zur Lage in Afghanistan vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Das Ergebnis des Berichts: Kein Land für Rückkehrer. Abgeschoben werden soll im Wahljahr 2017 trotzdem.

Politiker stehen schließlich vor der Frage, wie sie glaubhaft der Unzufriedenheit von Teilen der Bevölkerung über die Zahl der Flüchtlinge begegnen sollen. Die Mahmodis fragen sich, wie lange ein Mensch so leben kann - ohne Sicherheit, ob er morgen noch hier sein darf. So ein Interessenskonflikt lässt sich schwer bemessen. Für Naiem ist er fünf Stockwerke hoch, so wie das Mietshaus in Ottobrunn, in dem die Familie wohnt. Bevor man ihn in den Flieger nach Kabul setze, werde er springen.

Der für den 22. Februar geplante Flug wäre erst der dritte seit Dezember. "Die absoluten Abschiebezahlen sind nicht wirklich hoch", sagt Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat, "aber die Angst hat sehr viele Afghanen in Bayern ergriffen". Während einige Bundesländer sich weigern, Afghanen abzuschieben, zöge Bayern die Abschiebungen nämlich rigoros durch. Über die Hälfte der Abgeschobenen kamen aus dem Freistaat. Deutschlandweit hat es mehrfach Demonstrationen gegen die Abschiebungen gegeben. An diesem Samstag sind wieder Kundgebungen angemeldet, auch in München.

Hier ist das Tauziehen um Asylfragen derzeit besonders konkret: Die Entscheidung in Aufenthaltsangelegenheiten wie die von Mahmodi oblag bislang den Landratsämtern. Seit vergangenem Herbst aber zieht die Regierung von Oberbayern sukzessive Fälle an sich. So landete Mahmodis Akte beim Innenministerium - und der Ausreisebescheid im Briefkasten.

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Denkt er an Afghanistan, sagt Mahmodi, werde es dunkel in seinem Kopf. Deutschland hingegen sei licht. Das klingt merkwürdig an einem grauen Januartag zwischen Taufkirchens grauen Betonbauten aus den Siebzigerjahren. Mahmodi sagt, übersetzt von seiner Schwägerin: "Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel Licht da ist, wenn plötzlich nicht mehr überall der Tod wartet." Bevor Naiem Mahmodi Afghanistan verließ, habe er mit seinem Bettengeschäft gut verdient, erzählt er. Dann aber seien er und sein Partner von Milizionären erpresst worden. Sein Freund überlebte das nicht, Mahmodi nahm Reißaus und floh über die Türkei und den Balkan bis nach Deutschland.

Von den Asyldebatten hier versteht er nicht viel. Erstens reicht sein Deutsch noch nicht. Zweitens geht es für ihn eben nicht um Analysen und Prinzipien, sondern um seine Existenz. Um sein Leben mit Familie, Arbeit, Freunden in Taufkirchen. Und um sein Leben an sich. Zurück in Afghanistan, sagt Mahmodi, wäre er sofort tot.

Mahmodis Anwältin versucht nun, sein Asylverfahren neu aufzurollen. Die Ablehnung damals sei nicht richtig gewesen. Vor allem aber erlaube die Situation im Land keine Rückkehr mehr. Ihr wichtigstes Beweismittel ist der UNHCR-Bericht. Hat der Antrag Erfolg, könnte Naiem vorläufig einen sicheren Aufenthaltstitel bekommen und später beantragen, dauerhaft in Deutschland bleiben zu dürfen. Solche Anträge und Klagen reichen engagierte Asylanwälte derzeit im ganzen Land ein. Ob sie Erfolg haben, ist fraglich, doch man müsse eine Zeichen setzen, sagt Anna Toth. Gegen das ganze Schauspiel um die Angst. Vorerst naht der 22. Februar - und auch wenn Mahmodi dann nicht ausgeflogen wird, bleibt erst mal nur Furcht.

Solange aber der Antrag läuft, arbeitet Mahmodi weiter legal. "Das ist mein Leben", sagt Mahmodi. Fiele es ihm nur nicht immer schwerer, diesem Sog zu widerstehen, einfach nicht mehr aufzustehen anstatt jeden Tag aufs Neue alle Kraft zusammenzunehmen, die schwarzen Gedanken zur Seite zu schieben. Der junge Mann, dessen viele graue Haare ihn deutlich älter aussehen lassen als 29, leidet an einer schweren Depression und den Folgen der Traumata in der Heimat und wird psychologisch betreut. An einzelnen Tagen hat er es trotzdem nicht geschafft aufzustehen, erzählt sein Bruder. Dann habe er nur da gesessen mit leerem Blick.

Zum Glück im Unglück sind da Unterstützer wie Udo Schindler. Den 79-Jährigen nennen sie in Taufkirchen nur den "Bürgermeister der Eschenpassage", weil er auf die vielen Familien mit Fluchtgeschichte hier zugeht und aushilft, wo er kann. Schindler hat Mahmodi einen Therapeuten besorgt, Deutschunterricht und Fahrstunden. Im Helferkreis sammeln sie jetzt Unterschriften gegen die drohende Abschiebung. "Den Naiem lassen wir nicht fallen!", sagt Schindler.

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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