Taufkirchen:Die unsterbliche Schlampe

Georgette Dee als Helena

Deutschlands bekanntestes Diseuse Georgette Dee will als geschmähte Femme fatale Helena die Deutungshoheit über die Geschichte gewinnen.

(Foto: Uwe Neumann/oh)

Georgette Dee spielt Helena, die als einstige Schönheit und gealterte Diva mit ihrem Fall hadert.

Von Udo Watter, Taufkirchen

Sie ist die schönste Frau der Welt, eine Ikone, eine Projektionsfläche, Spielball männlicher Macht und Fantasien. Doch als Helena, Tochter von Leda und Zeus, sich einmal, ein einziges Mal entscheidet, ihren Objekt-Status zu verlassen und selbständig zu handeln - im Namen der Liebe - da löst sie den berühmtesten Krieg der Welt aus. Ihre Flucht mit Paris aus Sparta hat bekanntlich die Zerstörung Trojas zur Folge, doch während alle Protagonisten dieses epischen Konfliktes irgendwann unter der Erde landen, bleibt Helena unsterblich. Welche Tragik!

"Ewig leben zu müssen. Nein, das ist nicht reizvoll, wenn man dabei alt wird", erklärt Georgette Dee. Die Berliner Travestie-Ikone spielt in Miguel del Arcos Stück "Helena. Plädoyer für eine Schlampe" die gefallene antike Femme fatale, die 3000 Jahre nach dem Untergang Trojas als gealterte Diva ihre Version der Geschichte in einer Talkshow kund tut. Der Originalmythos in den Worten Homers trifft also auf die modernen Selbstrechtfertigungen einer als Schlampe und Ehebrecherin geschmähten Frau.

Das Kulturzentrum Taufkirchen ist am Samstag, 11. März, Schauplatz dieses "Schlampentribunals", einer Produktion des Theater Wahlverwandte: Georgette Dee gibt in diesem Monolog die einstmals schönste Frau der Welt, die nun als Untote im Hinterhof des Welttheaters dahindämmert, da sie mit Unsterblichkeit geschlagen ist. Ihr Fehler: In einem Moment der Schwäche (oder Stärke) ist sie romantischer Sehnsucht gefolgt. "Es ist furchtbar, wenn man sich vorstellt, dass jemand das Ideal schlechthin ist, zumindest ästhetisch, aber nichts zu melden hat - und dann einmal was tut, was dann falsch ist", erklärt Elias Perrig, Regisseur des Stücks.

Auch bei Dee hat das intensive Leben spuren hinterlassen

Dass sie selber auf ihre eigene Schönheitsvergangenheit zurückblicken muss, ist wohl die höchste Strafe für Helena. Auch deshalb kämpft sie darum, als Mensch mit Persönlichkeit wahrgenommen zu werden. Bezüge zu modernen Casting-Shows und der dort gepflegten Apotheose der Oberflächlichkeit drängen sich auf.

Die Kunstfigur Georgette Dee, die sonst eher auf den Bühnen von Metropolen wie Berlin, Hamburg oder München zu Hause ist, wird in Taufkirchen ihrer Wut auf die Welt und ihrer Depression Ausdruck verleihen - auch singend. 1958 geboren, geht Dee, die als Schauspielerin und Sängerin respektive Chansonnette auf europäischen Bühnen seit vielen Jahren reüssiert, auch schon auf die 60 zu. Auch bei ihr hat das intensive Leben Spuren hinterlassen hat - man kann also durchaus Analogien zur Figur Helena ziehen. "Erinnerung ist eine tückische Sache", konstatiert Dee. Sich schöne Zeiten als atmosphärisches Gefühl ins Gedächtnis zu rufen, das funktioniere. Aber wenn man anfange, sich detaillierter zu erinnern, könne man auch etwas kaputt machen.

Helena will in del Arcos Stück, das 2011 in Spanien uraufgeführt wurde, die Deutungshoheit über die Erinnerung wiedergewinnen: "Ich bin schuld am berühmtesten Krieg der Geschichte. Ich bin also sozusagen eine Massenvernichtungswaffe", heißt es in dem Text. "Obwohl man mich längst verurteilt hat, werde ich mich heute Nacht freiwillig Eurem Urteil unterwerfen. Aber dieses Mal werden es meine Worte sein, die den Hergang der Geschichte beschreiben."

Am Samstag, 11. März, ist freie Platzwahl im Kulturzentrum Taufkirchen. Bestuhlt wird mit je vier Plätzen an runden Tischen, an denen man auch Getränke und Speisen genießen kann. Karten kosten 20 Euro plus Vorverkaufsgebühr und sind unter anderem über Telefon 089/666 722 152, oder -153 oder online über www.muenchenticket.de erhältlich.

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