Tanzprojekt :Eine Frage der Haltung

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Alan Brooks bringt Achtklässler dazu, ihre Scheu zu überwinden und öffentlich zu tanzen. (Foto: Claus Schunk)

In einem außergewöhnlichen Tanzprojekt lernen Taufkirchner Realschüler und Unterhachinger Gymnasiasten, sich mit ihrem Körper auszudrücken. Dazu müssen sie erst einmal ihre Hemmungen überwinden.

Von Iris Hilberth, Taufkirchen/Unterhaching

Die Aufforderung zum Tanzen löst bei 14-jährigen Buben meist eher Fluchtgedanken aus, vielleicht auch Gekicher und die feste Behauptung: "Ich kann nicht tanzen!" Befinden sich diese 14-Jährigen aber mit dem Londoner Tänzer und Tanzpädagogen Alan Brooks in der Schulsporthalle, nützen diese Ausflüchte gar nichts. Dann steht fünf Tage lang gemeinsam mit den Mädchen Tanz auf dem Stundenplan, und am Ende sind alle stolz, dass sie dabei waren. Dass sie Mut bewiesen haben, konzentriert und voller Energie vor Mitschülern und Eltern zu tanzen - und sie finden das auch gar nicht mehr peinlich.

"Ich bin kein Hip-Hopper und gar nicht cool"

Alan Brooks hat nicht nur diese beneidenswerte Körperbeherrschung eines Tänzers, die bei jeder banalen Alltagsbewegung Selbstbewusstsein und eine ungeheure Präsenz vermittelt. Der charismatische Brite versteht es auch, die Achtklässler so zu packen, dass alle ernsthaft mitarbeiten. Dabei ging es bei dem einwöchigen gemeinsamen Projekt der Walter-Klingenbeck-Realschule Taufkirchen und des Lise-Meitner-Gymnasiums Unterhaching gar nicht mal um das Einstudieren lässiger Tanzsequenzen. "Ich bin kein Breakdancer und kein Hip-Hopper", kokettierte er bei der abschließenden Aufführung in der Realschulturnhalle ein wenig mit seiner Wirkung auf die Zuschauer. "Und ich bin gar nicht cool."

Die Aufmerksamkeit war ihm sicher, und die brauchte Brooks, um auch beim Publikum die richtige Haltung für sein Tanzprojekt herauszukitzeln. "Ich will aktive Zuschauer, die nicht dasitzen, als würden sie in Barbados am Strand rumhängen", sagte er, "die Leute hier haben so hart gearbeitet, sie haben Respekt verdient." Und genau das ist der Kern dieses Projekts. "Das ist kein Ballettstück mit vorgegeben Schritten, sondern zeitgenössischer Tanz, bei dem es vor allem um Körpersprache geht", so Brooks. Die eigene Haltung ist wichtig, aber auch der Zusammenhalt. "Du bist mit deinem schlimmsten Feind auf der Bühne, aber wir stehen zusammen", wird den Schülern mit auf den Weg gegeben.

Die eigene Haltung ist wichtig, aber auch der Zusammenhalt. (Foto: Claus Schunk)

Geübt wurde jeden Tag drei Stunden in zwei gemischten Gruppen mit jeweils 15 Realschülern und 15 Gymnasiasten. "Es ist egal, von welcher Schule man kommt, es geht darum, als Mensch akzeptiert zu werden, seinen Körper für etwas Positives einzusetzen und Selbstvertrauen zu fassen." Dass das vor allem in diesem Alter erst mal nicht leicht ist, weiß Brooks auch. Schließlich arbeitet er seit 20 Jahren als Tanzpädagoge mit den verschiedensten Schulen und allen erdenklichen Konstellationen von Gruppen zusammen.

Selbstvertrauen durch Körperarbeit

Er schafft es dabei, die Kinder und Jugendlichen zu motivieren, ohne sie zu schonen. "Ich bin allergisch gegen nett", sagt er. Das heißt: Am ersten Tag geht es in seinem Training ums "Überleben", wie er sagt, und macht allen klar: Schlimmer wird es nicht mehr. Klar sind drei Stunden Tanz auch körperlich anstrengend, die eigentliche Herausforderung ist aber die Aufgabenstellung für Pubertierende, die es nicht gewöhnt sind, sich vor den kritischen Augen ihrer Mitschüler mit dem Körper auszudrücken.

Der Londoner Alan Brooks sagt von sich selbst: "Ich bin allergisch gegen nett." (Foto: Claus Schunk)

"Am Schlimmsten ist für sie das Solo", weiß Brook. Aber er kann hinterher auch sagen: "Sie haben es alle geschafft, 99 Prozent springen auf den Zug auf." Er arbeite gerne mit Achtklässlern, "die sind auf der Kippe von Kindern zu jungen Erwachsenen und noch nicht so cool, sondern meist total ehrlich". Dabei sind es nicht nur die Jungs, die sich anfangs zieren. "Sie stehen vor einer riesigen Wand. Aber wenn die dann fällt, wartet dahinter die totale Freiheit." Auch die Mädchen seien nicht frei von Ängsten, "die sorgen sich vor allem um ihr Aussehen, ob sie hier oder da zu dick sind", sagt Brooks. Bei den "Ladies", wie er sie nennt, beschreibt er die Entwicklung so: "Sie gelangen schnell durch die erste Wand, denn die ist hauchdünn. Doch dann kommen noch viele solcher Wände." Und so lange müsse man ihnen sagen: "Come on, zeig', wer du bist, ich will dich sehen."

Lehrer und Betreuer wünschen sich eine Wiederholung

Brigitte Grams-Loibl, Schulleiterin des Lise-Meitner-Gymnasiums, die das Projekt angeschoben hat, ist begeistert: "Es ist beeindruckend zu sehen, wie die Schüler über die Woche ihre Körperhaltung verändert haben", sagte sie. Ebenso wie ihr Kollege von der Realschule, Gerald Faißt, weiß sie, dass die Schüler wohl keine Tänzer werden, findet aber, dass sie gelernt haben, wie wichtig es ist, im Leben aufmerksam und überzeugend präsent zu sein. Auch Projektbetreuerin und Sportlehrerin Christine Franzlik betont: "Ich wünsche mir, dass diese Haltung und der Respekt im gesamten Schulalltag Einzug findet." Schulleiter Faißt ist jedenfalls überzeugt: "Das Projekt hat sich für unsere Schülerinnen und Schüler gelohnt." Gerne würde er es wiederholen. Diesmal hatte das Kultusministerium die Stunden bei Alan Brooks finanziert. Das nächste Mal, so signalisierte Taufkirchens Bürgermeister Ullrich Sander, könnte eventuell der Zweckverband einspringen.

© SZ vom 19.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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