Tag des Ehrenamts:Schnell mal ein bisschen helfen

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Das Sozialkaufhaus "Klawotte" ist nur eine der Wirkungsstätten von Walter Hartl. Für die Nachbarschaftshilfe kümmert er sich auch um Senioren. (Foto: Claus Schunk)

Walter Hartl ist das Musterbeispiel eines Ehrenamtlichen. Seit zehn Jahren engagiert er sich in vielen Bereichen bei der Arbeiterwohlfahrt in Ottobrunn. Doch solche Menschen werden selten. Der Trend geht laut dem Experten des Landratsamts zum spontanen, kurzfristigen Einsatz.

Von Anna Reuß, Ottobrunn

Obwohl er es acht Jahre lang kommen sah, war es ein Schock für Walter Hartl, als man ihn im März 2015 anrief und sagte, dass Herr M. tot sei. Zweimal in der Woche hatte er ihn besucht. Anfangs machte er mit ihm noch Sprachübungen, später las er ihm vor. Irgendwie verstanden die beiden sich auch ohne viele Worte. Ohne Leute wie Walter Hartl, die in ihrer Freizeit anderen helfen, würde vieles nicht funktionieren. Um dieses Engagement zu würdigen, riefen die Vereinten Nationen 1985 den Internationalen Tag des Ehrenamtes am 5. Dezember ins Leben.

Wie viele Ehrenamtliche es im Landkreis gibt, ist schwer zu sagen. Und das hat einen einfachen Grund: Während die klassischen Ehrenamtlichen im Sportverein oder in der Kirche einfach zu beziffern sind, wird jemand nicht erfasst, der manchmal einem Nachbarn etwas vom Supermarkt mitbringt oder Kindern im Ort Nachhilfe gibt. Philippe Ludwig ist seit diesem Jahr beim Landratsamt München zuständig für das bürgerschaftliche Engagement und hat die Aufgabe, Strukturen für das Ehrenamt im Landkreis schaffen und herauszufinden, wo es Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Und die gibt es durchaus.

Das Ehrenamt ist "anlass- und projektbezogener"

Jede einzelne Stunde ist gut investiert

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(Foto: prvat)

Sonja Rauschendorfer, Leiterin des Fachbereichs Ehrenamt bei der Arbeiterwohlfahrt: Wir verfügen über mehr als 70 Einrichtungen im Landkreis München, von der Kita über die Schulbegleitung bis zur Wohnungsnotfallhilfe. Im Kreisverband zählen wir derzeit mehr als 500 Ehrenamtliche und sind stolz auf dieses großes Engagement. Auch die Investition einer Stunde Freizeit kann sehr viel helfen. Es ist nicht immer notwendig, sich auf Wochen hinaus für einen regelmäßigen Termin zu verpflichten. Projektarbeit ist meistens zeitlich begrenzt, aber eine gewisse Verbindlichkeit ist schon nötig. Den Kindern in den Kitas ist schon durch eine Vorlesestunde geholfen, die Jugendlichen aus der Mittagsbetreuung freuen sich über ein Bastelangebot oder einen Schiedsrichter beim Fußballspiel. Je nach Einrichtung und Interesse findet sich für jeden etwas.

Ludwig spricht von strukturellen Problemen. Das Engagement verändere sich: Wer sich früher für eine ehrenamtliche Tätigkeit in der Kirchenverwaltung oder im Sportverein entschieden hat, blieb in der Regel jahrzehntelang dabei. Heute passt sich der Einsatz für die Gesellschaft der Lebensrealität der Bürger an. Und die sieht anders aus als noch vor 30 Jahren: Das Ehrenamt sei deutlich "anlass- und projektbezogener". Menschen helfen dort, wo sie aktuell Handlungsbedarf sehen. Zum Beispiel als 2015 innerhalb weniger Tage eine große Anzahl Geflüchteter kurzfristig untergebracht werden musste und sich spontan Helferkreise formierten. Das Ehrenamt im Verein, so Ludwig, müsse attraktiver werden. Dass junge Leute fehlen, die sich langfristig für ein Amt verpflichten, ist laut Ludwig eine Herausforderung für viele gemeinnützige Organisationen.

Walter Hartl gehört eher zum alten Schlag: Seit fast zehn Jahren ist er bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) engagiert. Bis vor sieben Jahren war er 38 Jahre lang im Klinikum Harlaching beschäftigt. Als er in Altersteilzeit wechselte, begann der 70-Jährige mit der ehrenamtlichen Arbeit. "Bevor ich gelangweilt umeinander sitze, fange ich lieber etwas mit der Zeit an, dachte ich mir", sagt er. In der Zeitung hat er damals gelesen, dass Leute in der Nachbarschaftshilfe gesucht werden.

Seitdem half der Ottobrunner, den Seniorentreff Kaiserstiftung einzurichten und für den "Ottobrunner Tisch" bei Supermärkten unverkäufliches Essen einzusammeln. "Jeden Freitag habe ich mit einem 7,5-Tonner palettenweise Waren vom Großhandel geholt", erzählt er. Außerdem kaufte er für "ältere Herrschaften" ein, wie er sagt. Manche haben die Bilder aus den Werbeprospekten ausgeschnitten und auf einen Einkaufszettel geklebt. Andere benötigten jemanden, der sie zum Arzt bringt, denn viele Taxifahrer weigerten sich, kurze Strecken zu fahren. Ohnehin sei Taxifahren für die meisten Senioren viel zu teuer, sagt Hartl. Deshalb bietet die Awo einen Fahrdienst an.

Geplant ist eine Freiwilligenmesse

Die Nachbarschaftshilfen hätten in ihm nun jemanden, der ihre Bedürfnisse "aus der Vogelperspektive" betrachtet, sagt Philippe Ludwig. Denn bei einem Anliegen konnten sie sich bisher nur an die jeweilige Kommune wenden. Alle sechs Wochen treffen sich Vertreter der Nachbarschaftshilfen im Landratsamt - für einen direkten Draht in die Verwaltung. "Um auch ihnen langfristig Nachwuchs zu sichern, ist möglicherweise eine öffentlichkeitswirksame Kampagne das richtige Mittel", sagt Ludwig. Die Nachbarschaftshilfen seien in der öffentlichen Wahrnehmung nicht ausreichend verankert. "Dabei leisten sie wertvolle Arbeit und übernehmen wichtige Aufgaben." Ziel müsse es werden, nicht nur denjenigen zu mobilisieren, der gerne mit Kindern oder Senioren arbeitet, sondern zum Beispiel auch jemanden mit IT-Kenntnissen, der bei technischen Fragen hilft. Deshalb plant der Landkreis eine zentrale Info-Plattform, auf der man sich über Möglichkeiten informieren kann. Eine Freiwilligenmesse ist daher für 2018 geplant.

Bei der Nachbarschaftshilfe Ottobrunn begann Walter Hartl nebenbei auch in der "Klawotte" zu arbeiten. Im Landkreis gibt es insgesamt sieben dieser Sozialkaufhäuser der Awo, in denen es zum Beispiel Kinderkleidung ab 50 Cent gibt. Freitagnachmittag ist hier viel los. Alle paar Minuten kommen Kunden herein. Er begrüßt viele von ihnen persönlich. Wenn jemand einen Kinderwagen spendet, legt Hartl den Preis fest, zu dem er in der "Klawotte" weiterverkauft werden soll. Hier können Kunden nicht nur gebrauchte Skianzüge oder Bücher für einen Euro pro Kilogramm kaufen, sondern auch die Gelegenheit nutzen, bei Kaffee und selbstgebackenem Kuchen mit anderen ins Gespräch zu kommen.

Etwas für andere tun, aktiv bleiben, Spaß haben: Er und seine Frau sind jede Woche viele Stunden für die Awo auf den Beinen. "Wenn wir mal nicht können, fragen die Kinder schon, ob uns etwas passiert ist", sagt er. "Helfen macht Freu(n)de" heißt der Slogan, mit dem die Awo Ehrenamtliche für die Nachbarschaftshilfe sucht - auf Walter Hartl trifft er wohl zu. Er will ehrenamtlich arbeiten, bis es seine Gesundheit einmal nicht mehr zulässt.

© SZ vom 05.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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