40 Jahre Gebietsreform:Die reiche Braut ziert sich

40 Jahre Gebietsreform: Das Kunstwerk mit dem Titel "Hösi" sollte die Einheit der Gemeinde symbolisieren - und erregte bei der Aufstellung vor zwölf Jahren prompt Streit.

Das Kunstwerk mit dem Titel "Hösi" sollte die Einheit der Gemeinde symbolisieren - und erregte bei der Aufstellung vor zwölf Jahren prompt Streit.

(Foto: Claus Schunk)

Siegertsbrunn hatte schon vor der Gebietsreform viel mit Höhenkirchen gemeinsam. Trotzdem taten sich die Bewohner des kleineren, wohlhabenderen Ortes vor 40 Jahren schwer mit der Zusammenlegung.

Von Bernhard Lohr, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Für Hans Loidl war es ein Riesenspaß. Er war 1978 beim Faschingszug Hauptdarsteller auf dem Themenwagen der Siegertsbrunner Burschen. Er verkörperte in einem opulenten Clubsessel sitzend das reiche Siegertsbrunn, rührte mit den Händen in Schokotalern und brachte die golden glänzende Süßigkeit unter die Menge. Vor allem warf er einem Spezl Taler zu, der in abgerissenem Gewand Höhenkirchen darstellend hinter dem Wagen hertrottete. Das reiche Siegertsbrunn - das arme Höhenkirchen. So zog man sich kurz vor dem Zusammenschluss der Kommunen am 1. Mai gegenseitig auf.

40 Jahre Gebietsreform: Das Schild mit dem Konsulat von Siegertsbrunn an einem Haus in Höhenkirchen ist eher als augenzwinkernder Kommentar zur Geschichte der Doppelgemeinde zu verstehen.

Das Schild mit dem Konsulat von Siegertsbrunn an einem Haus in Höhenkirchen ist eher als augenzwinkernder Kommentar zur Geschichte der Doppelgemeinde zu verstehen.

(Foto: Claus Schunk)

Siegertsbrunn gab die reiche Braut. Und doch war es der kleinere Ort und stark bäuerlich geprägt. Höhenkirchen war damals die Dominante. Die Ruf Electronics GmbH beschäftigte dort seinerzeit als größter Arbeitgeber im Landkreis München 1200 Menschen. Höhenkirchen investierte mehr in die Infrastruktur und leistete sich Anfang der Siebzigerjahre ein neues Rathaus und nahm Darlehen auf. Die Siegertsbrunner hielten sich da zurück, trugen aber dennoch großes Selbstbewusstsein zur Schau. Bis 1952 besuchten Höhenkirchner Kinder die Schule in Siegertsbrunn. "Alle Bildung habt ihr nur von uns", hieß es da lange.

Seit 1905 wird die Leonhardifahrt wieder gepflegt

An manch amüsante Anekdote erinnert sich Hans Loidl. Er ist als Vorsitzender des Leonhardi-Komittees so etwas wie der Gralshüter der wichtigsten Traditionsveranstaltung in Siegertsbrunn. Bereits im 15. Jahrhundert gab es eine blühende Wallfahrt zu St. Leonhard. 1675 fand der erste Umritt statt. Seit 1905 wird die Tradition wieder gepflegt, die mit den schweren, bunt geschmückten Rössern, den Kutschen, den Trachten und der Heiligengläubigkeit so vieles vereint, was das Bild von Bayern prägt.

40 Jahre Gebietsreform: Das Foto zeigt die Produktionsstätte der Firma Ruf: der Höhenkirchner Friedrich Ruf rief vor 40 Jahren dazu auf, nach vorne zu blicken.

Das Foto zeigt die Produktionsstätte der Firma Ruf: der Höhenkirchner Friedrich Ruf rief vor 40 Jahren dazu auf, nach vorne zu blicken.

(Foto: Claus Schunk)

Im Frühjahr 1978 rumorte es in Siegertsbrunn. Das Gerücht machte die Runde, das Traditionsereignis könnte als Gemeindeprojekt künftig zur Höhenkirchner Leonhardifahrt werden, wenn die Einheitsgemeinde nun mal so heißt. Landrat Joachim Gillessen sah sich damals auf der Bürgerversammlung genötigt, dies als wüste Spekulation und Unsinn zu verwerfen. Es sind alte Geschichten, aus einer anderen Zeit. "Mancher Neubürger versteht das nicht", sagt Loidl.

Dabei lässt solche Schmähung, Eifersüchtelei und Verletzbarkeit auch tief blicken. Beide Orte pflegten ein spezielles Verhältnis, das aus der räumlichen Nähe genährt wurde und seine besondere Würze bezog. Der Faschingszug im Jahr 1978 nahm schon vor der Vereinigung den Weg von Siegertsbrunn nach Höhenkirchen und zurück. Auch wenn es heute im Straßenbild überhaupt nicht mehr erkennbar ist: Viele Höhenkirchner wissen genau, dass das Gymnasium auf Höhenkirchner Flur steht, auch wenn es jenseits der Bahn liegt.

Genauso wie das Firmengelände der ehemaligen Ruf GmbH, das ein Außenstehender mitten in Siegertsbrunn verorten würde. Und wehe, jemand verpflanzt den Turm von St. Peter nach Höhenkirchen oder den von Mariä Geburt nach Siegertsbrunn. Die Höhenkirchner Feuerwehr trägt das Gemeindewappen auf ihrer Uniform, das von der früheren Gemeinde Höhenkirchen übernommen wurde, den Siegertsbrunnern würde so etwas nie einfallen. Sie tragen die bayerischen Rauten weiß und blau. Die Orte lagen in der Mitte einer Rodungsinsel und grenzten aneinander. Zum Ausdruck kam das für alle erkennbar, als die 1905 eröffnete Bahnstation an der neuen Strecke München-Aying den Doppelnamen Höhenkirchen-Siegertsbrunn erhielt, was in die Zukunft weisen sollte.

Günther Schmid war geschäftsleitender Beamter und Kämmerer der Gemeinde Höhenkirchen und wirkte dann in derselben Funktion in der Einheitsgemeinde Höhenkirchen-Siegertsbrunn. Er bereitete mit seinem Kollegen Andreas Hafner im Siegertsbrunner Rathaus die Verbindung vor und stellte den ersten gemeinsamen Haushalt auf. Es seien schon zwei ganz unterschiedliche Gemeinden gewesen, sagt er, mit Blick auf die Verwaltungspraxis. Aber mit seinem Kollegen habe er gut zusammengearbeitet.

Alles ganz sachlich, ganz unaufgeregt. Vieles funktionierte auch wegen der Nähe richtig gut: "Der Vorteil war, dass das sehr kleinräumig war", sagt Schmid. Alles war fußläufig erreichbar: das Rathaus in Höhenkirchen, in dem die Gemeinderäte nach dem Mai 1978 tagten, war für den Siegertsbrunner nicht aus der Welt. Doch im Siegertsbrunner Gemeinderat rang man schwer mit sich, als der Zusammenschluss anstand. Schmid erinnert sich, dass letztlich der Staatszuschuss über 250 000 Mark den Ausschlag gegeben habe. Den abzulehnen, das hätte man als unverantwortlich angesehen.

Vielleicht bekommt "Hösi" doch noch ein Zentrum

Jemand, der sich richtig schwer tat, war Hans Loidls Vater. Hans Loidl senior rückte im Mai 1978 auf den Posten des Zweiten Bürgermeisters der Einheitsgemeinde auf. Bürgermeister war der Höhenkirchner Willy Reitmeier. Loidl senior betonte stets die Eigenständigkeit. Der Unternehmer Friedrich Ruf war als Höhenkirchner manchmal sein Gegenspieler. Ruf führte den größten Betrieb am Ort und war 20 Jahre lang bis 1990 Gemeinderat. Er rief vor 40 Jahren dazu auf, nach vorne zu blicken. Höhenkirchen stand damals vor Problemen wie heute die Doppelgemeinde.

Die Firma Ruf brauchte Arbeitskräfte, es ging um eine gute Verkehrsanbindung und Wohnraum. 150 Betriebswohnungen ließ Ruf errichten, und in Zuge dessen wurde das Kanalsystem ausgebaut. "Wenn es in unserem Umfeld einen vernünftigen Grund gegeben hat, Gemeinden zusammenzulegen, dann war das bei Höhenkirchen und Siegertsbrunn", sagt der 90-jährige Ruf heute. Und als wäre er noch aktiv in der Politik, nennt er es bedauerlich, dass man vor Jahrzehnten die Chance verpasst habe, die Bahnhofstraße tieferzulegen. Heute sei das Terrain bebaut und das Verkehrsproblem zementiert. Das sind die Dinge, die Ruf immer noch bewegen.

Als verbindendes Zukunftsprojekt zeichnet sich ab, dort, wo 1905 der Name Höhenkirchen-Siegertsbrunn aus der Taufe gehoben wurde, ein Zentrum von "Hösi" zu entwickeln, wie Bürgermeister Reitmeier kurz nach der Vereinigung die neue Gemeinde bezeichnete. Die Gemeinde hat am Bahnhof mit dem früheren Betriebsareal der Firma Guggenberger ein Grundstück gekauft, auf dem einmal ein neues Rathaus errichtet werden soll. Ein verbindender Akt also in der geografischen Mitte der Gemeinde: "Das ist schon auch die Idee dahinter", sagt Bürgermeisterin Ursula Mayer (CSU). Mit dem Rathaus würde dann vielleicht vollendet, was die Bildhauerin Waltraud Kurz vor Jahren anzustoßen versucht hat. Sie stellte als Sinnbild für "Hösi" am Bahnhof ein Kunstwerk auf - zwei Figuren, die Rücken an Rücken zueinander stehen.

Das Kunstprojekt zeigte aber zunächst nur, was für ein Aufreger-Potenzial die Zusammenlegung noch im Jahr 2006 bot. Ein erbitterter Streit entbrannte um die fünf Meter hohe Hösi-Skulptur, die manche als Alu-Monster oder "Blösi" verunglimpften. Auch dass beide Figuren sich den Rücken zukehren, fand mancher symbolträchtig. Fotomontagen wurden angefertigt, auf denen die Skulptur fast so groß wirkte wie die Leonhardikirche. Über sowas schaut Hans Loidl hinweg. Der Hösi "kommt gut an", sagt er, "der passt dort gut hin." Neben das Gymnasium - ins Herz der modernen Gemeinde.

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