Serie "Vom Land in den Mund":Süßkartoffeln und Rüben für Katja

Vier Betriebe liefern in Stadt und Landkreis München die Ökokiste aus. Das Sortiment unterscheidet sich kaum von dem, was es auch im Bioladen gibt. Aber zumindest im Sommer kommen Obst und Gemüse fast ausschließlich aus der Region.

Von Claudia Wessel

"Jetzt haben wir die Katja", sagt Joshua Müller. Das klingt, als kenne er die Katja näher, habe sie zumindest schon mal gesehen. Doch das stimmt nicht. Von Katja weiß Joshua Müller nur, dass sie in der Chiemgaustraße wohnt und dass der Schlüssel zu ihrem Haus einen silbernen Anhänger hat. Und dass sie im dritten Stock wohnt und keinen Lift hat. Doch glücklicherweise hat sie keine blaue Kiste bestellt, sondern nur eine grüne, und in der sind gewöhnlich nicht die allerschwersten Dinge, sondern eher ein paar Äpfel und Salat. Joshua springt also mit der Kiste leichtfüßig die drei Etagen hoch durch das etwas enge Treppenhaus. Vor der roten Tür von Katja steht bereits die leere grüne Kiste, ein kurzer Tausch und Joshua ist wieder weg.

Joshua Müller, 35, ist einer der vielen Fahrer, die Woche für Woche in der Region München die Ökokisten ausfahren. Vier Betriebe beliefern München und Umgebung: die Ökokiste Kirchdorf, zuständig für das Gebiet nördlich in und von München, der Amperhof für den Westen, die Tagwerk-Ökokiste für den Osten und das Hofgut Letten für den Süden, angefangen in Thalkirchen und Giesing über Grünwald, Ober- und Unterhaching, Deisenhofen, Straßlach bis Richtung Bad Tölz.

Bad Heilbrunn, Hofgut Letten, Ökokiste,

Jedem seine Ökokiste: Herta Huber packt im Hofgut Letten bei Bad Heilbrunn ein, was die Kunden im Süden von München bestellt haben.

(Foto: Angelika Bardehle)

Unter dem Namen "Ökokiste" haben sich circa vierzig Betriebe in Deutschland zusammengeschlossen, um Bio-Lebensmittel direkt ins Haus zu liefern. Der Unterschied zu unzähligen Lieferservices, die derzeit aus dem Boden sprießen: Mitgliedsbetriebe des Vereins Ökokiste handeln ganzheitlich und nach den Grundsätzen des ökologischen Landbaus, wie Sprecherin Nicole Göhring erklärt. So stammen Obst, Gemüse, Käse, Eier und mehr wenn irgend möglich von Erzeugern aus der Region und wurden nach strengsten Richtlinien produziert - große Teile des Angebots tragen das Siegel eines anerkannten Anbauverbands wie Demeter oder Bioland.

Das Prinzip ist einfach: Unter der Verbandsseite www.ökokiste.de findet man seinen zuständigen Lieferbetrieb, bei dem man dann per Internet oder Telefon bestellt. Dabei entscheidet man sich entweder für eine fertige Themenkiste wie beispielsweise die Regional-, Büro- oder Rohkostkiste, oder aber man stellt sich seine Lieferung selbst zusammen, je nach Bedarf auch jede Woche neu.

Trotz Lieferung steht die Ökokiste übrigens für kurze Wege, versichert Göhring. Gerade mal 2,5 Kilometer legten die Betriebe pro Kunde zurück - verglichen mit marktüblichen Transportwegen verschwindend gering. Um diese Bilanz weiter zu verbessern, fänden einige Verbandsmitglieder zusätzlich alternative Lösungen, wie die Lieferung per Elektrofahrzeug oder sogar mit dem Fahrrad. Die Idee hatten vor 20 Jahren sechs Bio-Landwirte: Sie wollten sich mit ihrem Konzept eines Lieferservices für erntefrisches Obst und Gemüse gemeinsam kundenfreundlich vermarkten. 1996 gründeten sie den Verband Ökokiste und taten sich mit weiteren Bio-Lieferbetrieben zusammen.

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Joshua Müller, 35, ist einer der vielen Fahrer, die Woche für Woche in der Region München die Ökokisten ausfahren.

(Foto: Angelika Bardehle)

Lokaltermin beim Kistenpacken am Hofgut Letten in Bad Heilbrunn, aus dem seit 20 Jahren Ökokisten geliefert werden: Hier sieht es nicht so aus, als ob rund 2400 Kisten pro Woche den Hof verlassen und gut 600 pro Tag gepackt werden. Alles ist sehr aufgeräumt, ruhig und ordentlich. Auf die acht Touren pro Tag weisen nur die in einer Schlange aufgereihten Lieferwagen hin, die jetzt am Nachmittag alle zurückgekehrt sind und ausgeräumt werden. Nur Joshua, der in München wohnt, ist nicht dabei. Denn er darf nachmittags nach Ende seiner Tour in der Stadt bleiben und morgens zum Ausladen wieder kommen. Um 5.30 Uhr startet er mittwochs bis freitags daheim in München, er hat eine Dreitagewoche, denn er arbeitet außerdem noch als Texter fürs Fernsehen und als Wanderführer. Um 7 Uhr früh verlässt er dann den Hof wieder mit einem vollen Lieferwagen, in den alles nach einer genauen Logik eingeräumt ist. Die Kisten für den letzten Kunden stehen ganz hinten.

Wenn Joshua und die Kollegen alle morgens wieder ausgeflogen sind, kommen die Kistenpackerinnen und -packer. Montags bis donnerstags von 9 Uhr an stehen sie an den zwei Stationen für die grünen Kisten, in die die frischen Waren kommen, also Obst und Gemüse. An Station eins werden die schweren Sachen eingepackt, die natürlich unten in den Kisten liegen müssen, sprich Äpfel und anderes Obst. An der nächsten Station kommen etwa Salat oder Kresse dazu. Was in welche Kiste kommen soll, erfahren die Packer auf ihrem Bildschirm, auf dem jeder Kunde mit seinen Wünschen erscheint. Eine Kiste kann man ganz individuell zusammenstellen oder aber eine aus dem Angebot wählen: die Queerbeet-Kiste mit Obst und Gemüse, die Schonkostkiste für Mutter und Kind, die Bürokiste mit Fingerfood oder die Regionalkiste mit Produkten aus heimischem Anbau.

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Möglichst viel davon stammt aus der Gärtnerei des Hofguts, die Michael Holzmann (unten rechts) leitet.

(Foto: Angelika Bardehle)

In einem anderen Raum sind die Packer für die blauen Kisten tätig, in die alles aus dem "Trockensortiment" kommt: Käse, Fleisch, Wurst, Müsli und vieles mehr, einfach alles, was es in einem Naturkostladen auch gibt, erklärt eine der beiden Betriebsleiterinnen, Ursula Fick. Sind die Kisten fertig gepackt, kommen sie in die Kühlung. Hier bleiben sie über Nacht, bis sie am nächsten Morgen von den Fahrern abgeholt werden.

Die digitale Technik ist extrem wichtig für die Ökokiste. Zum einen, um die Bestellung des Kunden anzunehmen und die Kisten entsprechend zu packen. Zum anderen aber auch, damit die Fahrer sie an die richtige Stelle liefern können. Und damit sie dazu die passenden Tipps parat haben.

Auf Joshuas Fahrer-Smartphone, das unter anderem auch mit einem Navi versehen ist, das alle Touren gespeichert hat, findet er nicht nur die Adresse des Kunden, sondern auch allerlei Informationen. Etwa, dass Katja Süßkartoffeln, Mango, Kiwi und Gelbe Rüben bestellt hat. Aber auch den Hinweis bei einer Familie: "Baby schläft, bitte nicht klingeln" oder "Immer klingeln, Kundin ist sehr alt und braucht eine Weile".

Die Regionalkiste

Regional ist bei der Ökokiste alles, was aus einem Umkreis von 200 Kilometern stammt, erklärt Steffi Ortlieb, Betriebsleiterin beim Hofgut Letten. Der Inhalt variiert je nach Angebot. Im Sommer, so Ortlieb, sind auch die anderen Kisten sehr oft fast nur regional bestückt. Zuletzt enthielt die Regionalkiste in der kleinen Version zum Preis von 15 Euro zum Beispiel 0,4 Kilogramm Äpfel Ingol, einen Kopf Blattsalat, ein Stück Pak Choi, 0,35 Kilogramm Strauchtomaten, einen Kohlrabi, einen Bund Salbei. Die mittlere Größe für 20 Euro enthielt 0,6 Kilo Äpfel Ingol, einen Kopf Blattsalat, einen Bund Rucola, ein Stück Pak Choi, 0,6 Kilo Strauchtomaten, einen Kohlrabi und einen Bund Salbei.cw

Die meisten Kunden bekommt Joshua überhaupt nicht zu Gesicht. Da läuft die Kommunikation quasi über die Kisten: steht die leere vor der Tür, weiß er, dass die neue erwartet wird und er kann sie, wenn gerade niemand aufmacht, ruhig mal einfach abstellen. Manche aber, wie etwa die ältere Dame, bei der man unbedingt klingeln soll, freuen sich sehr, dass sie Joshua sehen. Hier gibt es ein Trinkgeld und sehr viel Lob für die Ökokiste.

Eine ältere Kundin kennt nicht jedes Gemüse, das sie bekommt

"Da wenn ich in einen Apfel reinbeiß, weiß ich, dass ich einen Apfel hab", sagt die gehbehinderte Kundin, die selbst nicht mehr einkaufen gehen kann. Sie ist sehr froh, dass es die Ökokiste gibt, die ihr ins Haus geliefert wird. Auch an die Überraschungen in der Kiste - je nachdem, was auf dem Hof erhältlich ist - hat sie sich gewöhnt. "Einmal war da ein Gemüse drin, das kannte ich nicht", gibt sie zu. Und mit Minze konnte sie anfangs auch nicht so viel anfangen. Doch die Nachbarin gab ihr den Tipp, sie in den Joghurt zu mischen.

Wie regional aber sind die Produkte, die vom Hofgut Letten und den anderen Betrieben in die Ökokisten kommen? So regional wie möglich, erklärt Ursula Fick. Bananen natürlich können nie regional sein, Spargel und Erdbeeren nur zu bestimmten Zeiten. Doch im Sommer beispielsweise, da seien fast alle Kisten Regionalkisten, versichert sie. Denn da werden sie fast komplett mit den Produkten aus den benachbarten beiden Gärtnereien gefüllt. Schade sei eigentlich nur, findet sie, dass da sehr viele Kunden in Urlaub sind.

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