SZ-Serie "Sagen und Mythen", Folge 3:Wenn die Drud kommt

Alben oder Drückgeister galten als schier unbezwingbare Dämonen, die den Schlafenden wahre Todesängste einjagen und ganze Ernten vernichten konnten

Von Thomas Daller

Für unsere Vorfahren begannen zur Wintersonnwende am 21. Dezember magische Nächte. Am Vorabend der Thomasnacht, der längsten Nacht des Jahres, musste alles gründlich mit Ritualkräutern durchgeräuchert werden: Haus oder Wohnung, früher auch Felder und Ställe. Damit vertrieb man böse Geister, damit sie nicht die nahende "heilige Zeit" stören. Dann folgten bis zum Dreikönigstag die "Raunächte", in denen man sich Geschichten von winterlichen Unholden und der "Wilden Jagd" erzählte. Es waren Geschichten von der Drud, vom Teufel, von Schlossgeistern, Spuk im Moor oder blutrünstigen Räubern. Die Süddeutsche Zeitung hat mithilfe von Heimatforschern wie Johann Wimmer aus Dorfen diese alten Sagen, Legenden und Anekdoten gesammelt und zusammengefasst - Lesestoff für die langen Winterabende, die noch kommen.

Mitten in der Nacht schreckt man auf, schweißgebadet und nach Luft ringend. Ein Albtraum. Der Begriff stammt aus dem Volksglauben: Alben sind nächtliche Drückgeister, die sich auf die Brust eines Menschen setzen und diesem dadurch die Luft wegbleibt. Im alpenländischen Raum ist das die "Drud", ein geisterhafter und zugleich gestaltwandlerischer weiblicher Dämon, der mit dem Teufel im Bunde steht. "Die Drud dringt durch das Fenster oder das Schlüsselloch herein, überrascht den nächtlichen Schläfer und drückt ihm derart auf Brust und Hals, dass er in Todesängste verfällt", schreibt Hans Baumgartner im Buch "Bayerische Sagen".

SZ-Serie "Sagen und Mythen", Folge 3: Gruselig: Nachtmahr nennt man die Drud außerhalb des Alpenraums, so auch der Titel des Gemäldes von Johann Heinrich Füssli. Repro: oh

Gruselig: Nachtmahr nennt man die Drud außerhalb des Alpenraums, so auch der Titel des Gemäldes von Johann Heinrich Füssli. Repro: oh

Die Begegnung mit einem kopflosen Kutscher und seinen feurigen Pferden soll dem Prasser Toni widerfahren sein, den daraufhin die Drud quälte. Er kam der Legende nach mit seinem Fuhrwerk spät aus München und wollte heim nach Eichenried (Landkreis Erding). Nicht weit vom Lautnerhof bei Freieneck will er sie dann gesehen haben: die Kutsche mit den feurigen Pferden. Auf dem Bock habe eine dunkle Gestalt ohne Kopf gesessen und die Peitsche geschwungen. Knallend hieb der schreckliche Geist auf die Pferde ein und verschwand in der Dunkelheit. Der alte Prasser fuhr schwitzend und zitternd nach Hause, wo ihm aber kein Mensch ein Wort glaubte.

Nachts packte ihn die Drud. Riesige Steine und glühende Räder rasten im Traum auf ihn zu, und er konnte sich nicht bewegen. Zwei Nächte ging das so, bis man in der dritten Nacht den Bader holte. Der brachte von seiner letzten Wallfahrt einen aus Wachs gegossenen Drudenfuß mit und hängte ihn über das Bett des Gepeinigten. "Aber es half nichts", schrieb der Journalist Meinolf Heppekausen, der den Inhalt der Legende vor etlichen Jahren für die SZ recherchierte: "Der Prasser Toni wälzte sich weiter, jammerte und schrie. Da stellte der Bader, der sich in diesen Dingen bestens auskannte, die Pantoffeln des Bauern mit der Spitze nach außen vor das Bett, nahm sein Messer, schlug es mit der Schneide nach oben in den Türbalken und rief ganz laut: ,Drud, drauf kannst jetzt abreiten!' Und wirklich, der Prasser hörte auf, sich herumzuwälzen, das Stöhnen erstarb, schließlich schlief er ruhig und friedlich ein. Seitdem hat ihn die Drud nie wieder besucht und in Angst versetzt. "Aber auch von dem Kutscher mit der Gestalt ohne Kopf und den feurigen Rossen hat er nie wieder erzählt", schließt Meinolf Heppekausen.

Drudenstern

Der Drudenstern wurde in die Tür der Kirche von Gaden eingeritzt.

(Foto: Renate Schmidt)

Zwei Abwehrmechanismen gegen die Drud werden in dieser alten Geschichte genannt: der Drudenfuß, auch als Pentagramm bekannt, und das Messer mit der Klinge nach oben. Das Messer im Türbalken sollte beispielsweise auch Neugeborene in der Zeit bis zur Taufe schützen. Oft hat man das Messer auch ins Schlüsselloch gesteckt, um der Drud den Zugang zum Schlafzimmer zu verwehren. Es gab sogar eigene Drudenmesser, deren Griff aus einem Gamskrickl bestehen musste, in Griff und Klinge waren christliche Symbole eingeritzt. Heimatforscher Johann Wimmer fand Quellen für den Gebrauch von Drudenmessern in Isen, seine Kollegin Angela Greimel beschrieb ihn in ihrem Buch "Lengdorf 1090-1990".

Der Drudenfuß galt ebenfalls als probates Mittel gegen die Drud. Man ritzte den fünfzackigen Stern, eines der beliebtesten magischen Schutzsymbole, meist in den Kopfteil des Bettes. Es verkörpert die vier Elemente Erde, Feuer, Wasser und Luft, die an der Spitze vom Geist, auch Äther genannt, gekrönt werden. Das Pentagramm ist so etwas wie ein antiquierter Türsteher für Dämonen: "Du kommst hier nicht rein."

Aber die Drud hatte es nicht allein auf die Schlafzimmer abgesehen, auch auf den Feldern und in den Ställen war sie zugange. Sie konnte mit Hagelschlägen die Ernte vernichten, Kühe ausmelken, die dann keine oder gar blutige Milch gaben. Die Drud konnte dafür sorgen, dass Kälber verendeten. Und wenn der Rahm nicht zu Butter werden wollte, geriet sie ebenfalls in Verdacht: Man hat dann ein Drudenmesser in den Rahm gehalten, um die Drud zu vertreiben. Half auch das nichts, gab man Weihwasser hinein.

Drudenmesser

Gegenmittel: Drudenmesser dienten der Abwehr in Schlafkammern und Ställen.

(Foto: privat)

Doch manchmal half kein magischer Schutzzauber und die Drud konnte in die Ställe gelangen und dort ihr Unwesen treiben. Eine Sage aus dem Erdinger Moos berichtet von einer Drud, die Pferdemähnen geflochten hat und dabei als Gestaltwandlerin in Form eines dreibeinigen Hundes auftrat. Die Geschichte soll sich auf dem Peterhof bei Finsing ereignet haben. Eine Jahreszahl ist nicht überliefert, wohl aber, dass sie sich im Hochsommer ereignet haben soll. Als der Peterbauer eines Morgens seinen Stall betrat, um anzuspannen und nach Ismaning zu fahren, traute er seinen Augen nicht. Seine vier Pferde standen zitternd und mit den Hufen scharrend in ihren Boxen und waren über und über mit Schweiß bedeckt. Dann stellte er verwundert fest, dass die Schwanz- und Mähnenhaare seiner Tiere geflochten waren. Und zwar so geschickt, dass man glauben konnte, ein Künstler habe seine Hand im Spiel gehabt. Die kleinen Knoten waren exakt aufgereiht wie Perlenreihen. Alle waren gleich groß und ließen sich nur schwer lösen.

Als er noch über dieses seltsame Ereignis nachgrübelte, erschien auf dem Hof sein Nachbar Buchmann und berichtete ratlos und verwirrt, dass sein einziger Schimmel sämtliche Haare verknotet habe. Dabei habe das Tier vor Schweiß nur so getrieft. Als sie dann zusammen fortfuhren, die geflochtenen Zöpfe der Tiere wieder zu lösen, erschien noch ein dritter Bauer und berichtete von seinen Pferden das Gleiche. Auf die Frage, wer da seine Hand im Spiel gehabt haben könnte, wussten alle drei keine Antwort - zumal sich in der letzten Zeit kein Fremder auf den Höfen hatte blicken lassen.

Sagen

SZ-Karte

Endlich beschloss man, eine Nacht lang im Pferdestall Wache zu halten, um diesem seltsamen Geschehen auf die Spur zu kommen. Und so legte sich der Bauer vom Peterhof zu seinen Tieren und lauschte die halbe Nacht auf jedes verdächtige Geräusch. Aber irgendwann überkam ihn die Müdigkeit und als er morgens bei seinen Tieren aufwachte, rieb er sich verwundert die Augen. Seine vier Pferde hatten wieder Mähnen und Schweife kunstvoll verknüpft. Dabei lief ihnen der Schweiß in wahren Strömen über den Rücken. Den Tieren der Nachbarhöfe war es nicht anders ergangen: Alle Tiere trugen geflochtene Zöpfe. Da entdeckte er plötzlich in der hintersten Ecke des Stalles einen hinkenden, dreibeinigen Hund. Als er sich dem Tier näherte, knurrte das Vieh böse und verschwand humpelnd.

Mit seinen Nachbarn kam der Bauer nun überein, einen Ziegenbock zu kaufen. Ein solcher, das wussten die Alten, soll im Stall Glück bringen. Als jedoch der Geißbock die erste Nacht im Stall verbracht hatte, staunte der Peterbauer nicht schlecht: Auch der Bock war über und über nass, und die Pferde hatten wie üblich Mähnen- und Schwanzhaare kunstvoll verknüpft.

Eine ganze Woche ging das geheimnisvolle Treiben im Stall weiter, ohne dass jemand auch nur die Spur eines fremden Eindringlings fand. Ziegenbock und Pferde waren morgens immer so nass, als seien sie ins Wasser getaucht worden, und auch die Haare waren immer verknotet. Da bemerkte der Peterbauer an einem gewittrigen Nachmittag, als er auf dem Hinterhof Holz hauen wollte, wieder diesen fremden dreibeinigen Hund. Er nahm seine Axt und ging langsam auf das Tier los. Die Augen des Hundes funkelten grün, und er knurrte so gefährlich, dass dem Bauer ein kalter Schauer über den Rücken lief. Aber dann fasste er Mut, sprang vor und schlug mit der Axt auf das unheimliche Tier ein. Mit ein paar Hieben hatte er es erledigt. Den Kadaver warf er in eine Grube nahe dem nächsten Feld. Am folgenden Morgen fand der Bauer seine Pferde und auch den Geißbock ohne Zöpfe und Knoten wie ehedem im Stall - so, als sei niemals etwas passiert.

Für die Heimatforscherin Sandra Angermaier, Geschäftsführerin des Erdinger Vereins für Heimatschutz und Denkmalpflege, sind die schweißnassen Tiere und die verknoteten Haare ein häufig zu findendes Motiv der Drudlegenden. Sie könne auch in Tiergestalten schlüpfen und als Hund oder Bock auftreten. Im Stall habe man oftmals Besen oder Rechen verkehrt herum aufgestellt, um die Drud damit abzuwehren. Heutzutage finden sich keine Ställe mehr, die sich gegen die weiblichen Dämonen schützen.

Lediglich der nächtliche Albdruck macht manchen noch immer zu schaffen. Doch das ist dann auch keinen bösen Geistern mehr geschuldet, sondern oftmals nur die bittere Folge zu üppiger Weihnachtsgenüsse.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: