SZ-Serie: "Macht hoch die Tür":Sprung des Nichts ins Sein

"Die kleinste Bühne der Welt" zeigt Schöpfungsmythen aus allen Kontinenten.

Von Udo Watter, Pullach

Ein Geheimnis zu lüften, ist nie ganz ungefährlich. Und eine Geburt ist nie ganz schmerzfrei, besonders wenn es sich um die Geburt der Welt handelt. Hedwig Rost und Jörg Baesecke wagen es trotzdem. Sie öffnen langsam das rote Seidenband, das die schwarze Mappe zusammenhält und heraus rollt ein würfelartiges Konstrukt aus Papier.

Wie entsteht etwas aus nichts? War alles schwarz, bevor es Raum und Zeit gab? Woher kommen wir? Wer hat uns erschaffen? In ihrem aktuellen Stück "Wie die Welt auf die Welt kam" präsentieren Rost und Baesecke, die beiden Objekttheater-Macher aus Pullach, die auch unter dem Titel "Kleinste Bühne der Welt" firmieren, Schöpfungsgeschichten aus aller Herren Länder. Es sind Ursprungslegenden von der Genesis über Erzählungen aus Westafrika, Finnland oder China bis zur naturwissenschaftlichen Big-Bang-Theory. Sie machen das mit Hilfe von Alltagsgegenständen und einfachen Materialien erfahrbar: Schere, Stein und Papierobjekte, Geige, Küchenrolle und Seidenfahnen entführen den Zuschauer auf Expeditionen zu den Ursprüngen. An einem schwarzen Bühnenprospekt hängen, magnetisch fixiert, verschiedene Klappen, die geöffnet werden können und auf vielfältige Weise Mythen versinnbildlichen. Eine Adventskalender-Ästhetik.

Die Geschichte kommt aus Neuseeland

Die Geschichte, die Rost und Baesecke in der eingangs beschriebenen Szene visualisieren und erzählen, kommt aus Neuseeland, es ist eine Ursprungssage der Maoris: Während der Vorstellung nehmen sie die Mappe ab und öffnen sie. Das rote Seidenband ist das Blut, das fließt bei der Loslösung der im Papierwürfel symbolisierten Kinder von den göttlichen Eltern. Nun kann die Schöpfung in Gang kommen, und - sapperlot - wie sie das tut. Hedwig Rost drückt die elastische Papier-Halbkugel nach unten und lässt sie zackig nach oben hüpfen. Gleichsam das vulkanisch stoßende Verlangen nach Leben.

Premiere hatte die Produktion bereits im Frühjahr 2017 in der Münchner Schaubühne. Doch seit Baesecke und Rost die Schaubühne im Juli mit dem Ende der Intendanz von George Podt nach mehr als 25 Jahren verlassen mussten, sind sie als Künstlerpaar quasi heimatlos - und dabei, eine mobile Fassung zu entwickeln. "Wir mussten einiges ausprobieren, etwa ein neues Lichtkonzept entwickeln, damit wir wieder diese Lichtmagie herstellen können", sagt Rost. Mit einer sehr hellen Taschenlampe und vier Scheinwerfern statt der 20 Schweinwerfer in der Schauburg soll das gelingen.

Das Stück über die Schöpfungsmythen liegt ihnen am Herzen

Auch die Dramaturgie und den Umgang mit den Requisiten mussten die beiden, die auch an ihrem Wohnort Pullach immer wieder kleinere Produktionen wie "Märchenrunde zur Dämmerstunde" zeigen, den veränderten Produktionsbedingungen anpassen. Von 2018 an werden sie mit ihrer mobilen Bühne wieder auf Tournee gehen, Ende Januar steht etwa ein Auftritt beim Bayerischen Kinder-und Jugendtheaterfestival in Nürnberg an. Das Stück über die Schöpfungsmythen liegt den beiden, die aus dem Straßentheater kommen, sehr am Herzen. "Es ist eine Reflexion unserer Arbeit", erklärt Baesecke. Es ist für Kinder und Erwachsene gleichermaßen gemacht, gerade das jüngere Publikum ist aber auf eine besondere Weise interessiert: "Kinder haben eine starke spirituelle Seite", sagt Rost.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: