SZ-Serie "Landmarken":Ewige Ruhe in der Schale

SZ-Serie "Landmarken": Das Konzept das Friedhofes ist es, die Gräber wieder von der Natur übernehmen zu lassen.

Das Konzept das Friedhofes ist es, die Gräber wieder von der Natur übernehmen zu lassen.

(Foto: Catherina Hess)

Der alte Waldfriedhof erzählt ein Stück Gräfelfinger Ortsgeschichte. Gestaltet hat ihn im Jahr 1913 Richard Riemerschmid, der selbst hier begraben liegt - und zurückkehrt in die Natur.

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Der Grabstein ist kaum zu sehen. Efeu hat ihn überwuchert, wildes Buschwerk sprießt zu beiden Seiten, ebenso etliche Ahornsetzlinge, die der Wind ausgesät hat. Nur wer das Efeu zur Seite schiebt, kann den verwitterten Namen auf dem Grabstein lesen: Richard Riemerschmid. Der 1868 geborene Professor für Architektur und Direktor der Münchner Kunstgewerbeschule hat den Gräfelfinger Waldfriedhof gestaltet und verfügt, dass er hier begraben werden möchte. Das ist 1957 so geschehen.

Heute steht der idyllische Friedhof unter Denkmalschutz

Mit seinem Grab ist in den vergangenen fast 60 Jahren genau das geschehen, was Riemerschmids Idee bei der Gestaltung seines Friedhofs war, der heute unter Denkmalschutz steht. Die Toten sollen in den Schoß der Natur zurückkehren. Der Professor hat es seinem überwucherten Grabstein nach fast geschafft.

Der alte Waldfriedhof in Gräfelfing ist weit mehr als ein Ruheort der Toten. Er ist eine idyllische Natur-Oase. Er erzählt ein Stück Ortsgeschichte und die besondere, vom Jugendstil geprägte, architektonische Gesamtanlage lohnt einen Besuch. Im Jahr 1913 wurde der Friedhof nach Entwürfen Riemerschmids fertiggestellt. Die Anlage wurde auf einer Kuppe angelegt, vom Dorf aus, das Gräfelfing damals war, sah man vor allem die Kuppel der imposanten Aussegnungshalle leuchten. Die Gräfelfinger Familien kauften sich hier schon zu Lebzeiten Familiengräber, erzählt Friederike Tschochner, frühere Archivarin der Gemeinde Gräfelfing, während sie über das Gelände spaziert.

Einige Gräfelfinger Honoratioren sind hier zu entdecken

In der Friedhofsanlage spiegelt sich das soziale Gefüge des einstigen Dorfes wieder. Von der Aussegnungshalle aus teilt der breite Hauptweg, an dessen Ende das Hochkreuz die Anlage überragt, den alten Teil des Friedhofs in zwei Hälften: Rechter Hand liegen in kleinen von Buchenhecken umsäumten, geschützten Carrés die "Honoratioren des Bauerndorfes", wie Tschochner sie nennt. Links sind die sogenannten Wechselgräber, kleinere Gräber, die schneller wieder aufgegeben wurden.

Die alteingesessenen, wohlhabenderen Bauernfamilien kauften sich in der rechten Hälfte ein. Bis heute sind die Gräber erhalten, Tschochner kennt sie alle. Die der Familie Weinbuch oder der Familie Klostermeier. Auch der 1914 verstorbene Bürgermeister Max Urban ruht hier. Dazu gesellen sich Architekten der Gräfelfinger Villenkolonie wie Theobald Trenkle oder Ludwig Stadler, auf dessen Grabstein "Schöpfer und Gestalter von Neu-Gräfelfing" steht - heute ist die Villenkolonie das alte Gräfelfing. Es sind zum Teil imposante Grabdenkmäler, die romantisch verwittern, Rosenbüsche blühen üppig und riesige Eichen und Zypressen spenden Schatten.

So hatte es sich Riemerschmid ausgedacht. Es sollte keine eindeutigen Grabumrandungen geben, alles sollte ineinander wachsen. Geschwungene Linien, weiche fließende Übergänge zwischen Gräbern und Wegen, hatte der Professor im Sinn. Nicht alle hielten sich an diese Idee und zirkelten im Laufe der vielen Jahrzehnte ihre Grabgrenzen deutlich ab. Die Gemeinde nimmt es inzwischen hin. In der Friedhofssatzung von 2011 ist das einstige Verbot einer Umrandung aufgehoben. Von einer Riemerschmid-Idee lässt die Gemeinde jedoch nicht ab: Rechts und links vom Hauptgang dürfen die Grabsteine nur liegen, nach außen hin, Richtung alte Friedhofsmauer, müssen sie allerdings stehen. So soll der gewollte Eindruck einer Schale gewahrt bleiben - eine Schale, in der die Toten ruhen.

Noch heute finden Trauerfeiern in der alten Aussegnungshalle statt

Am Kopf des Friedhofs steht die ebenfalls denkmalgeschützte Aussegnungshalle mit dem Arkadengang. Ein Blick nach oben lohnt, sagt Tschochner. Als die Halle vor etwa zehn Jahre restauriert wurde, legte man Teile der feinen Schablonenmalerei im Arkadengang frei. Fehlende Stücke wurden nach altem Vorbild nachgemalt. Auch die Stuck-Ornamente in der großen Kuppel sind neu, aber nach alten Vorlagen angefertigt. Rechter Hand schließt sich der Urnenturm mit Glocke an, der gerade restauriert wird. Auf Wunsch finden noch heute Trauerfeiern in der alten Aussegnungshalle statt, im Freien, aber geborgen unter dem großen Kuppeldach.

Der Friedhof wurde Stück um Stück in alle Richtungen erweitert. Wer mag, sucht die Gräber einiger Berühmtheiten, die im alten und neuen Teil des Friedhofs bestattet sind. Der Schriftsteller Paul Eipper, die Schauspieler Olga Tschechowa, Fritz Rasp, Horst Tappert oder Pierre Brice, der Sänger Ferry Gruber und der Trickfilmregisseur Ferdinand Diehl. Auch der 1950 verstorbene koreanische Schriftsteller Mirok Li ruht in Gräfelfing. Als der Friedhof 1913 fertiggestellt war, muss er noch ziemlich kahl gewesen sein. Erst heute, 100 Jahre später, ist er die eingewachsene, grüne Oase, die Riemerschmid wohl mal vor Augen hatte. Schade, dass er den verwunschenen Ort nicht mehr sehen kann. Er hätte ihm vermutlich gut gefallen.

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