SZ-Serie "Landmarken":Besondere Augenblicke

SZ-Serie "Landmarken": Ein Ort der Ruhe: die Kirche St. Ottilie in Möschenfeld.

Ein Ort der Ruhe: die Kirche St. Ottilie in Möschenfeld.

(Foto: Claus Schunk)

An der Wallfahrtskirche St. Ottilie im Grasbrunner Ortsteil Möschenfeld scheint die Welt stillzustehen. Das Gotteshaus steht in enger Verbindung mit St. Michael in der Münchner Fußgängerzone.

Von Christoph Hollender, Grasbrunn

Ein Traktor zieht seine Runden über das in der Sonne gelb-gold strahlende Feld. Am Horizont schimmert die Alpenkulisse. Es ist ruhig auf Gut Möschenfeld in Grasbrunn; nur eine Handvoll Häuser gibt es dort. Und eine Wallfahrtskirche mit einem großen und zwei kleinen Türmen mit dunklen Zwiebelhauben, und einem kleinen Friedhof. Die Fassade ist in blasses Gelb getüncht. Eine kurvige Straße führt zu der Kirche. Sie dürfte zu den schönsten im Umland Münchens zählen, gerade wegen ihrer Abgeschiedenheit.

SZ-Serie "Landmarken": Die Figur der Heiligen Ottilie hält ihre Augen dem Jesuskind hin.

Die Figur der Heiligen Ottilie hält ihre Augen dem Jesuskind hin.

(Foto: Claus Schunk)

Helene Spießl, 80, kümmert sich seit Jahrzehnten um das katholische Gotteshaus, das den Namen der Heiligen Ottilie trägt. Helene Spießl sagt: Die Kirche sei die "kleine Schwester" der St. Michaels Kirche in München. Diese steht zwischen Marienplatz und Stachus. Beide Kirchen seien - so wie sie heute stehen - von den Jesuiten gebaut worden. Der Innenraum sei ähnlich ausgearbeitet, sagt Spießl.

Die Benediktiner aus Ebersberg hatten wohl bereits im 11. Jahrhundert eine der heiligen Ottilie geweihte Kapelle dort errichtet, zu der sich bald eine Wallfahrt etablierte. Die Wallfahrtskirche wurde 1315 erstmals von Benediktinermönchen erwähnt. Im Jahr 1596 ging Möschenfeld an die Jesuiten in München über. Während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) wurde diese beschädigt und 1640 von den Jesuiten neu im heutigen Stil erbaut.

SZ-Serie "Landmarken": Mesnerin Helene Spießl hat hier geheiratet.

Mesnerin Helene Spießl hat hier geheiratet.

(Foto: Claus Schunk)

St. Ottilie ist ein Anlaufpunkt für Besucher, die vor allem eines schätzen: die Ruhe. Helene Spießl sitzt auf einer Holzbank vor der Kirche und genießt die Atmosphäre. Die Kirche und die Umgebung hätten etwas Meditatives, sagt sie. Und tatsächlich wird man ruhig und entspannt, wenn man auf der Holzbank sitzt. Nur die Blätter der Buchen rascheln im Wind. Der Schatten der großen Bäume, die außerhalb des Kirchengrundstücks wachsen, fällt in den Friedhof und an die Mauern der Kirche. Die kleine Sonnenuhr an der Südflanke des großen Kirchturms wird davon halb bedeckt. Ein flackerndes Licht-Schatten-Spiel ziert das Ziffernblatt, das an die Turmwand gemalt wurde.

Gottesdienste gebe es in der Kirche nur noch zu besonderen Festen oder Hochzeiten, erzählt Spießl. Und nur dann habe die Kirche geöffnet. Dennoch kämen viele Besucher außerhalb angekündigter Gottesdienste, um im Garten zu entspannen oder das Gebäude zu bestaunen.

Nicht weit weg von der Holzbank ist der Eingang der Kirche; eine kleine unscheinbare Holztür am Rand eines Anbaus, daneben steht eine Palme. Es ist der Vorraum der Kirche, der irgendwann vor 200 Jahren, schätzt Helene Spießl, angebaut wurde. Ein kleiner Eisenring, leicht angerostet, hängt dort an der Wand, recht unscheinbar. An dem Ring lässt sich noch ablesen, dass früher die Menschen mit Pferden und Kutschen von weit her bis nach Möschenfeld anreisten. Bis von München kamen sie und hängten ihre Tiere an der Kirchmauer draußen - oder wenn es regnete im Vorraum - an den dort in den Stein eingelassenen Ringen an. Einen gibt es noch immer, nur mit Pferden reist heute freilich keiner mehr an. Neben dem Ring befindet sich der Eingang in das Schiff der Kirche; Helene Spießl öffnet das alte Eisengittertor und die Holztüre dahinter. Der Kirchenraum ist hell. Er ist nicht überladen mit Farben oder Prunk, dafür wirkt er edel. Die Tonnengewölbedecke ist mit weißem Stuck dekoriert. Das Außergewöhnliche der Wallfahrtskirche seien die vielen geschnitzten Statuen, sagt Helene Spießl. Die drei Altäre sind größtenteils mit aufwendigen plastischen Figurengruppen versehen; gemalt sei dort fast nichts.

SZ-Serie "Landmarken": Malerisch: die Kirche St. Ottilie in der Außenansicht.

Malerisch: die Kirche St. Ottilie in der Außenansicht.

(Foto: Claus Schunk)

Der Hochaltar ist zweisäulig aufgebaut, der Mittelteil befindet sich zwischen zwei vorgestellten Säulen, die mit Ornamenten verziert sind. Im Zentrum steht die Namensgerberin der Kirche, die Heilige Ottilie. Sie streckt dem Jesuskind, das auf der Hand von Maria sitzt, ihre rechte Hand entgegen. In dieser hält die Heilige zwei weiße Kugeln, die sich bei näherem Hinsehen mit aufgemalter dunkel Iris und Pupille als ihre Augen entpuppen. Einer Legende nach wurde die von Geburt an blinde Ottilie im 7. Jahrhundert von ihrem Vater verstoßen und erlangte mit ihrer Taufe im Alter von zwölf Jahren plötzlich ihr Augenlicht. Sie gründete im Elsass ein Kloster und gilt bis heute als Schutzpatronin der Blinden und Augenkranken.

Helene Spießl schlendert durch den Mittelgang der Kirche, in der Hand hält sie frische rotblühende Blumen, aus dem eigenen Garten, wie sie sagt. Seit 50 Jahren kümmert sich die 80-Jährige gemeinsam mit ihrem Mann Josef um das Wohl der Kirche und schmückt sie für besondere Anlässe. Sie habe selbst hier geheiratet, erzählt sie. Ganz besonders begeistert sei sie von den beiden offenen Beichtstühlen, die links und rechts neben den Holzbänken in die Wände eingelassen sind. Nur ein leichter Vorhang trennt den Pfarrer vom Hauptraum der Kirche bei der Beichte; das sei einzigartig in Bayern, betont Spießl. Sie steckt die roten Blumen in eine große Vase im Altarraum, blickt in die Luft und schließt die Augen; für einen kurzen Augenblick.

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