SZ-Serie: "In den Startlöchern":Vor der Kugel kommt der Besenstiel

Lesezeit: 3 min

Hammerwerfen ist technisch anspruchsvoll und gefährlich. Auch der Sauerlacher Jerrit Lipske musste erst die Bewegungen erlernen, bevor er das schwere Sportgerät durch die Luft schleudern durfte.

Von Iris Hilberth, Sauerlach

250 Kilo zerren am Arm des Athleten bevor er den Hammer loslässt. (Foto: Claus Schunk)
Schutz für die Wurfhand des Werfers. (Foto: Claus Schunk)

SZ-Serie "In den Startlöchern"
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Von Iris Hilberth
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Sauerlach - Es beginnt mit einem scheinbar lockeren Kreisen der Eisenkugel am Stahldraht über dem Kopf, doch schon bald nimmt auch der Athlet Fahrt auf. Er rotiert schließlich mit einem solchen Tempo im Wurfkäfig um die eigene Achse, dass man geneigt ist zu befürchten, der Sportler fliegt demnächst seinem Sportgerät hinterher. Sein Schrei hallt aber meist dann durch das Leichtathletik-Stadion, wenn er den Hammer im richtigen Moment loslässt. Mit einem kurzen Tänzeln findet er sein Gleichgewicht wieder. Und man glaubt es Jerrit Lipske aus Sauerlach sofort, wenn er sagt: "Hammerwerfen ist gemeinsam mit Stabhochsprung die technisch anspruchsvollste Disziplin der Leichtathletik."

Der Hammer hatte es ihm genau deshalb seit seiner Kindheit angetan. "Hundert Meter geradeaus laufen kann schließlich jeder", findet er. Nun ist es natürlich in gewisser Weise prägend, wenn der eigene Vater, Joachim Lipske, Bundestrainer des C-Kaders genau in jener Leibesübung ist, bei der schwere Jungs schwere Eisenkugeln durch die Luft fliegen lassen. "Mein Vater hat oft versucht, mich von einer anderen Sportart zu überzeugen", sagt er.

Basketball, Schwimmen, Boxen - all das hat er ausprobiert. Und dann ist er doch wieder bei der Leichtathletik gelandet und für die LG Stadtwerke München in den Wurfring gestiegen. Denn es bestand kein Zweifel: Der Junge hatte Talent, vor allem für das Hammerwerfen. 22 Meter weit flog das Ding beim ersten Mal. Da war er etwa 13 Jahre alt und der Hammer wog drei Kilo. Das Gewicht des Wurfgeräts steigerte sich dann mit zunehmendem Alter, in der Männer-Klasse gilt es, 7,25 Kilo auf Kurs zu bringen. 70,08 Meter weit hat Jerrit Lipske dieses Ding immerhin schon geworfen. Bis man aber tatsächlich die Eisenkugel über den Sportplatz schleudern darf, gilt es, den komplizierten Bewegungsablauf so zu beherrschen, dass der Hammer auch dorthin fliegt, wo er hin soll. Schleuderbälle sind da weniger gefährlich, auch das Üben der Drehungen mit einem Besenstiel gehört zum Repertoire eines Hammerwerfers. Dass ab und zu auch der Draht reißt oder der Griff zerbricht, kommt vor. Verletzungen sind dennoch eher Seltenheit. Eher werden unvorsichtiger Zuschauer zu Leidtragenden dieser Sportart. Es soll schon zu Kieferbrüchen gekommen sein. "Doch wer sich auskennt, dem passiert auch nichts", sagt Lipske, "ein Hammerwerfer wird nie von einem Hammer getroffen werden". Schließlich sei das Gerät nicht windanfällig und fliege stets geradlinig.

Schon 2009 war Jerrit Lipske auf dem Weg an die deutsche Spitze. Doch im Wurfbereich findet der nationale Konkurrenzkampf auf hohem Niveau statt. "Wir sind keine Läufernation, sind aber in den technischen Disziplinen auch im Nachwuchsbereich recht gut", sagt er. Das gilt eben auch für den Hammerwurf, und so scheiterte er damals an den Qualifikationsvorgaben für die Olympischen Jugendspiele, obwohl die Leistung für eine Teilnahme ausgereicht hätte. "Ich habe es versaut", sagt er heute, von den drei besten Nachwuchs-Spitzenwerfern der Welt - die alle drei aus Deutschland kamen - durften nur zwei fahren, er war der Dritte. Heute wirft Jerrit Lipske noch immer den Hammer locker über 60 Meter. In Bayern kann er damit noch ganz gut mithalten, von höheren sportlichen Ambitionen hat er sich inzwischen verabschiedet, irgendwann gingen Ausbildung und Studium vor. Jetzt arbeitet der inzwischen 29-Jährige in Oberhaching als Entwicklungsingenieur und hat natürlich nicht mehr ganz so viel Zeit zum Trainieren wie als Jugendlicher. Die Begeisterung für seinen Sport aber ist ihm geblieben. "Wir sind eine eingeschworene Gemeinschaft", sagt er, das gelte auch für den Rasenkraftsport, bei dem der Hammerwurf mit Gewicht- und Steinstoßen kombiniert wird. So schnürt Lipske nach Feierabend noch immer die Schuhe mit den glatten Sohlen, um im Wurfkäfig zu rotieren und den Hammer bei einer Abwurfgeschwindigkeit von etwa 95 Stundenkilometern rauszulassen: Vier Drehungen gegen den Uhrzeigersinn sind üblich. Im Training drehen sich die Athleten zum Ausgleich regelmäßig in die andere Richtung.

Dem Klischee eines eher bulligen Hammerwerfers entspricht Jerrit Lipske eher nicht. 2,01 Meter ist er groß und bringt 105 Kilo auf die Waage. "Ich habe immer gekämpft, mehr drauf zu bekommen", sagt er. Geklappt hat das nicht, was aber nicht weiter schlimm war, zumal sich das Bild des Hammerwerfers verändert, wie Lipske feststellt: "Weg von klein und fleischig, hin zu groß und athletisch." Der Japaner Koji Murofushi, Olympiasieger im Jahr 2004 in Athen, etwa entspreche seinen idealen Vorstellungen von einem Hammerwerfer. Wichtig seien lange Arme und die Bein- und Bauchmuskulatur. Immerhin zerren 250 Kilo an dem Mann, kurz bevor der Hammer fliegt, "und am Schluss hängt das Gewicht nur noch an den Fingerspitzen".

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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