SZ-Serie "In den Startlöchern":Das Lächeln gehört dazu

SZ-Serie "In den Startlöchern": Die 14-jährige Cornelia Dechant ist ein Ausnahmetalent. Sie liebt die Wettbewerbe, in denen sie zeigen darf, was sie kann.

Die 14-jährige Cornelia Dechant ist ein Ausnahmetalent. Sie liebt die Wettbewerbe, in denen sie zeigen darf, was sie kann.

(Foto: Claus Schunk)

Cornelia Dechant trainiert beim TSV Haar Rhythmische Sportgymnastik. Dafür eigne sich nicht jedes Mädchen, sagt Trainerin Natalia Hahner. Denn bei aller Zierlichkeit spielen auch Kraft und Zielstrebigkeit eine Rolle.

Von Claudia Wessel, Haar

Den Ball in den nach hinten gebeugten Rücken klemmen und sich sanft und harmonisch mit gestreckten Beinen rückwärts darüber biegen, bis man wieder auf den Beinen steht. Den Ball hinter den Kopf legen, über diesen rollen lassen und vorne wieder auffangen. Den Ball auf einem Finger drehen lassen. Den Ball hinter sich auf die Beine legen und ihn mit den Unterschenkeln über den Kopf werfen. Den Ball werfen, während er fliegt Handstand machen, und ihn dann mit den Unterschenkeln auffangen.

Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, während Cornelia Dechant, 14, in einer Gymnastikhalle des TSV Haar im Höglweg die Choreographie vorturnt, mit der sie beim Bundescup am 17. Juni im Gerätefinale mit dem Ball auf dem fünften Platz landete. Die Mädels von der Rhythmischen Gymnastik des TSV Haar waren alle gut, die Gesamtplazierung beim Bundescup war der 14. Platz. Doch "Cornelia ist eine Ausnahme in unserem Verein", sagt ihre Trainerin Natalia Hahner. "Das können wenige. Ich denke mir etwas aus, und sie setzt es um." Doch auch Cornelia selbst habe Ideen für ihre Choreographien, versichert Hahner.

Manche Kunststücke werden tausendfach geübt

Wie schafft man nun so schwierige Übungen? "Wenn ich etwas Neues machen will, taste ich mich langsam ran", erklärt Cornelia, die dreimal die Woche zwei bis drei Stunden lang trainiert. "Irgendwann schaffe ich es dann so halb, und dann bin ich irgendwann zufrieden." Die Sache mit dem Handstand und dem "verdeckten" Auffangen des Balles mit den Beinen, also außerhalb des Blickfeldes, sagt Cornelia, habe sie "bestimmt 1000 mal geübt", bis sie zufrieden und sicher war, dass es auch beim Wettkampf zu 99 Prozent klappen würde. "Das tückische eine Prozent aber bleibt", sagt Natalia Hahner, also schiefgehen kann dennoch immer etwas.

Apropos Wettkampf: Ist das nun Stress für die Sportlerin? Sie lächelt. "Der Wettkampf macht sie glücklich", verrät Mutter Olga. Und Cornelia ergänzt: "Ja, endlich mal zeigen, was man kann." Klar habe sie Herzklopfen, kurz vorher, und habe dann "immer ein Schweißtuch dabei". Ein aufregender Moment sei, wenn sie auf die Fläche gehe und all diese Menschen rundherum sehe. "Wenn aber dann die Musik losgeht, dann vergesse ich all das um mich herum und mache einfach meine Choreographie." Inklusive natürlichem Lächeln, denn "die Ausstrahlung wird sehr hoch bewertet", sagt die Trainerin.

Ist das schwierig, bei so komplizierten Übungen auch noch zu lächeln? "Ich fand das anfangs schon schwierig, dass das Lächeln natürlich und nicht verkrampft aussieht", verrät Cornelia, die mit vier Jahren angefangen hat. Diese Sportart hat ihr gleich gefallen, vor allem "die vielen Geräte". Geturnt wird mit Ball, Seil, Reifen, Keule und Band. Ganz entspannt und natürlich zu lächeln, hat Cornelia erfahren, das klappt erst dann, wenn man alles richtig beherrsche.

Ball und Keule

Die leichteste Olympia-Teilnehmerin 2016 im deutschen Team in Rio de Janeiero ist eine Sportgymnastin: Sina Tkaltschewitsch, 46 Kilo. Rhythmische Sportgymnastik ist eine reine Frauensportart. Zu Musikbegleitung bewegen sich die Athletinnen mit einem Handgerät auf einer 13 mal 13 Meter großen Bodenfläche und reihen dabei gymnastische und tänzerische Elemente aneinander. Seil, Reifen, Ball, Keule und Band gilt es bei den fünf Übungen zu beherrschen und dabei noch möglichst anmutig extreme Körperbeherrschung, Gleichgewichtssinn und Rhythmusgefühl zu demonstrieren. Die Schwierigkeiten sind unterteilt in die Bereiche "Sprünge", "Drehungen" und "Stände". Angesiedelt ist die Rhythmische Sportgymnastik im Deutschen Turnerbund und seit 1984 olympisch. hilb

Trainerin Hahner, die in ihrer Kindheit und Jugend vom Alter von sieben bis 17 auch rhythmische Sportgymnastik gemacht hat, hat diesen Sport im Jahr 2000 im TSV Haar eingeführt. Sie erinnert sich, als sie damals den Abteilungsleiter fragte, ob dies möglich sei, "da wusste er nicht mal, was das ist". Natalia Hahner, gebürtige Russin, erklärte ihm: "In Russland ist rhythmische Sportgymnastik für Mädchen eine Nationalsportart, wie es hier in Deutschland Fußball für die Jungs ist." Sie erinnerte ihn auch an einen Ausspruch von Juan Antonio Samaranch, einst Präsident des Internationalen Olympischen Komitees. Samaranch hatte über die rhythmische Sportgymnastik gesagt, sie sei "der charmanteste und fraulichste Sport". Seit 1984 ist er auch eine olympische Sportart.

Eine gewisse Frustrationstoleranz gehört dazu

Als Hahner die rhythmische Sportgymnastik anbot, meldeten sich sofort viele Mädchen beziehungsweise deren Eltern. Letztere wunderten sich darüber, dass die Trainerin die Kinder erst mal testen wollte, um zu sehen, ob sie dafür geeignet sind. Hahner nimmt die Sache nämlich sehr ernst. "Es ist nun mal ein Wettkampfsport", sagt sie. Ein Mädchen, das geeignet ist, sollte gelenkig und möglichst zierlich, aber auch kräftig sein, eine sehr seltene Mischung, so die Trainerin. Mitmachen können die Kinder ab vier Jahren. Einer der ersten Hinweise auf die Begabung ist die Fähigkeit zum Spagat. Cornelia konnte diesen sofort, allerdings den seitlichen. Den anderen erlernte sie aber sehr schnell. Wichtig ist auch, dass die Mädchen bereit sind, bei Wettkämpfen mitzumachen. "Sie sind Pflicht", so Hahner. Auch mitunter ein Extratraining vorher.

Um an Wettkämpfen teilzunehmen, muss man natürlich eine gewisse Frustrationstoleranz haben. "Es gibt Mädchen, die hören auf, weil sie schlechte Platzierungen haben", so Hahner. Cornelia ist da ein ganz anderer Typ. Sie macht weiter. Und übt immer weiter. Auch gerne 1000 mal. Der Erfolg, gerade in diesem Jahr, belohnt sie.

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