SZ-Adventskalender für gute Werke:Schreien aus Einsamkeit

Ute Gronau, Sebastian-Pöttinger-Weg 2 in Ottobrunn
BITTE DIESEN NAMEN NICHT VERWENDEN; WIRD IM ARTIKEL VERAENDERT

"Ich habe wohl zwei Gesichter", sagt Esther Krombach. Sie fühlt sich oft so unausgeglichen und einsam und hat dann regelrechte Wutausbrüche.

(Foto: Florian Peljak)

Esther Krombach leidet unter Depressionen und kann sich ohne Hilfe "zu nichts aufraffen". Die Betreuung im Sozialpsychiatrischen Dienst in Ottobrunn verhilft der 69-Jährigen wieder zu angenehmen Erlebnissen. Vor allem Gespräche tun ihr gut.

Von Laura Zwerger, Ottobrunn

Erzählt sie von Ausflügen an die Nordsee oder gemeinsamen Stunden mit der Familie, dann schleicht sich ein schelmischer Ausdruck voller Lebensfreude in ihre Gesichtszüge. Kehrt sie wieder zurück in ihre Wohnung, dann findet sie sich an dem kleinen Küchentisch wieder, an dem sie auf einem der sonst leeren vier Stühle sitzt. Jeden Tag, jeden Monat, wohl auch im neuen Jahr.

Esther Krombach (Name von der Redaktion geändert) ist depressiv, seit zwei Jahren ist sie beim Sozialpsychiatrischen Dienst in Ottobrunn Klientin. Berichtet sie von ihrem Leben, schildert sie eine einzige, andauernde Traumatisierung: "Von meinem Vater habe ich als Kind sehr viele Schläge bekommen, dann habe ich einen trinkenden und schlagenden Ehemann gefunden - ich habe ein Trauma entwickelt, das sich immer mehr verstärkt hat." Heute, mit 69 Jahren, hat sie resigniert und verspürt keinen Antrieb mehr, aus dem Haus zu gehen, oder sich mit Leuten zu verabreden. "Ich kann mich einfach nicht aufraffen, etwas zu machen", erzählt sie. "Mir fehlt der Ansporn."

Nach ihrer Scheidung von ihrem Mann vor mehr als 30 Jahren war Krombach bereits viele Jahre in Therapie, um mit ihrer gewaltvollen Vergangenheit und ihrer Depression zurecht zu kommen. Seit einigen Jahren macht ihr nun aber vor allem eines zu schaffen: Einsamkeit. Als sie wegen einer Aneurysma-Operation arbeitsunfähig wurde und in Frührente gehen musste, hat sich ihre Welt stark verändert. "Es hat sehr wehgetan, auf einmal alleine zu sein", erzählt sie.

Sie hat ihr Leben lang als Verkäuferin gearbeitet, die letzten Jahre davon in einer Rewe-Filiale im Arabellapark. "Es war so schön mit den Leuten dort, alles ist so gut gelaufen", sagt sie. Als die Berufsunfähigkeit sie zwang, fünf Jahre früher in Rente zu gehen, habe das einen schweren Einschnitt für sie bedeutet: "Dass man sich plötzlich alleine nur um sich kümmern muss, hat auch viel psychisch bei mir ausgemacht." Nun fühle sie sich von ihren Emotionen in ihrer Wohnung gefangen. "So lange ich einsam bin, bin ich nur traurig", erzählt sie. "Es tut alles in mir weh und die Tränen laufen."

"Es ist`, als würde ich durchdrehen."

Das Einzige, was ihrem Tag einen Sinn gebe, sei ihr Sohn Martin. Mit ihm lebt sie gemeinsam in der Zwei-Zimmer-Wohnung; kommt der 46-Jährige abends von seiner Arbeit bei einem Hausmeisterbetrieb nach Hause, dann kocht sie für ihn und sie sitzen noch gemeinsam in der Küche. "Ich bin eigentlich ein Familienmensch", sagt Krombach. "Wenn ich meinen Sohn nicht hätte, bräuchte ich einen Strick." Sie hat zwei weitere Söhne, zu einem hat sie immer wieder Kontakt, während sie zu ihrem dritten Sohn kaum mehr eine Beziehung hat.

Martin, der bei ihr wohnt, fährt sie zu wichtigen Arztterminen und sie besuchen gemeinsam die St.-Matthäus-Kirche am Sendlinger Tor, in der sie regelmäßig ehrenamtlich bei Gottesdiensten oder in dem Bistro aushelfen. "Ich bin dort hingegangen, um Leute kennen zu lernen", erzählt Krombach. "In der Sonntagabendkirche ist es wie in einer Familie, dort fühle ich mich wohl."

Doch sitzt sie wieder alleine in der kleinen Wohnung, dann überkommt sie ein Gefühl, das sie nur schwer zu beschreiben vermag: "Ich habe immer wieder psychische Phasen, in denen sich bei mir sozusagen alles aushängt", so die Seniorin. "Es ist, als würde ich durchdrehen." Es staue sich dann etwas in ihr an und sie werde plötzlich aggressiv, ohne es wirklich steuern zu können. "Aggressivität ist meine Spezialität", sagt sie, einen gewissen Sarkasmus in der Stimme. "Entweder ich schreie dann ganz laut - oder ich weine."

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Sie wird für eine böse Frau gehalten

In ihrem Haus werde sie deshalb bereits für eine böse Frau gehalten, doch böse möchte sie eigentlich niemandem gegenüber sein - dafür schätze sie den wenigen Kontakt mit anderen Personen zu sehr. Viel mehr ist sie böse auf ihr Leben und alles, was dazu beigetragen hat: "Ich schreie aus Verzweiflung und Wut, dass alles so komisch läuft", beschreibt sie. "Wieso ist so vieles so negativ?", fragt sie mehr sich selbst, als eine Antwort erwartend.

Lässt sie ihrer Wut freien Lauf, empfindet sie kurzzeitig Erleichterung, bevor sich dann alles wieder sehr schnell anstaut. Selbst beim Wäscheaufhängen, wenn ihr dabei etwas herunterfällt oder nicht so klappt, wie sie es möchte, fängt sie wieder zu schreien an. "Es ist in diesem Moment eine Wut und etwas in mir, das ich nicht definieren und auch nicht steuern kann." Selbst einen Neurologen habe sie bereits aufgesucht, um diese plötzlichen Ausbrüche organisch erklären zu können, doch bisher ohne Erfolg. "Ich habe wohl doch zwei Gesichter", sagt die Seniorin. "Ein lachendes und ein weinendes."

Längerfristige Erleichterung bringen ihr aber Gespräche, in denen sie ihre Einsamkeit vergessen kann. "Wenn ich unter Leuten bin, dann bin ich immer glücklich." Während ihrer Wohnungssuche vor ein paar Jahren ist sie mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst in Ottobrunn in Kontakt gekommen, seitdem geht sie alle paar Wochen zu Einzelgesprächen mit den Pädagogen. "Ich brauche nicht einmal ein großes Thema, nur von Zeit zu Zeit etwas Ansprache." Mit Britta Depkat, der stellvertretenden Leiterin und einer der Pädagoginnen des Dienstes habe sie "richtig reden können", berichtet sie. "Es sind Pädagogen, aber mir geht es dort besser als beim Psychologen."

Dass das Angebot des Dienstes kostenlos ist, ist für sie dabei ein wichtiger Punkt. Ihre Rente fällt klein aus und auch die Wohnung, die sozial begünstigt ist, könne sie sich nur gemeinsam mit ihrem Sohn leisten. Auch an Trommelkursen in der dortigen Tagesstätte habe sie teilgenommen und an einer Gruppensitzung zum Umgang mit psychischen Erkrankungen. "Aber besonders die Gespräche helfen mir - viel mehr braucht es gar nicht."

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