SZ-Adventskalender:Die Burg als neue Heimat

Auf Schwaneck in Pullach leben seit Oktober minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Die Betreuer versuchen, den jungen Männern und vier Mädchen eine halbwegs normale Jugend zu ermöglichen. Auch die Bürger engagieren sich für die Bewohner

Von Konstantin Kaip

Worüber reden jugendliche Flüchtlinge miteinander? Manchmal genau über das, worüber sich auch die anderen Teenager im Landkreis derzeit so unterhalten. Den Eindruck bekommt man jedenfalls, wenn man an diesem Dezembervormittag vor der Burg Schwaneck den Jugendlichen zuhört, die um den Aschenbecher neben dem Eingang beim Rauchen stehen. Auch wenn man die Sprache, die sie sprechen, nicht versteht, kann man doch immer wieder einzelne Wörter erkennen: "Facebook" etwa und "Whatsapp".

Weil die minderjährigen Flüchtlinge auch ein paar Brocken Deutsch und ziemlich passabel Englisch sprechen, klärt sich schnell auf, worum es geht. Einer von ihnen hat vor ein paar Tagen sein Handy verloren und muss sich nun über die Geräte seiner Freunde in die sozialen Netzwerke einloggen. Vier Tage noch, sagt er, dann bekomme er endlich wieder sein wöchentliches Taschengeld von zehn Euro und kann sich eine neue SIM-Karte holen. Ein normales Teenagergespräch also, so normal wie die Jeans, Daunenjacken und Turnschuhe, die die Buben tragen. So ähnlich hätten es auch vor ein paar Monaten an demselben Ort Schüler führen können, die in der Burg Schwaneck gerade ein paar Besinnungstage verbracht oder ein Tutorenseminar besucht haben. Nur eben nicht auf Paschtu. Das nämlich, klären die Jungs auf, sei die Sprache, die man gerade gehört hat. Sie kommen alle aus Afghanistan.

Jugendliche Flüchtlinge leben seit Oktober in der Burg Schwaneck, 55 sind es derzeit. Sie teilen sich Viererzimmer im Neubautrakt. Unter anderem kommen sie aus Eritrea, dem Sudan, Irak, Syrien, Somalia und Nigeria. Betreut werden sie von der Diakonie Oberbayern, die bereits in München für zahlreiche ähnliche Einrichtungen verantwortlich ist. Nach Unterzeichnung des Vertrags, der bis Ende Juni 2017 läuft, sind die Sozialpädagogen der Diakonie gleich mit sämtlichen 20 jungen Flüchtlingen aus einer Containerunterkunft in Garching nach Pullach gezogen. Die anderen Burgbewohner hat dann das Kreisjugendamt zugeteilt, manche kamen aus der Bayernkaserne in München, andere direkt vom Hauptbahnhof. Aus der Jugendherberge wurde eine "Clearingstelle", wie es im Jargon der Sozialpädagogen heißt. Hier sollen jugendliche Flüchtlinge, nachdem sie eine amtliche Alterseinschätzung durchlaufen und einen gesetzlichen Vormund erhalten haben, mit Pädagogen und Psychologen klären, welchen Betreuungsbedarf sie haben, um dann in Wohngruppen mit acht bis zehn Personen untergebracht zu werden. Soweit die Theorie. Bei der derzeitigen Lage sei das aber "utopisch", sagt die Bereichsleiterin der Diakonie Laura Heckert. Die meisten werden wohl deutlich länger auf der Burg bleiben als die anfänglich vorgesehenen zwei bis drei Monate, schätzt sie.

Heckert hatte gerade eine Teambesprechung im Keller und sitzt nun in einem kleinen Büro im ersten Stock. Zehn Bezugsbetreuer arbeiten aktuell mit den drei Gruppen, die in der Burg leben. Dass nicht alle 116 Schlafplätze belegt sind, wie es eigentlich bis Ende des Jahres vorgesehen war, liege "ganz klar am Personal", erklärt Heckert. "Wir versuchen, unsere Qualität in der Betreuung beizubehalten." Deshalb wolle man erst neue Mitarbeiter anstellen, bevor die Einrichtung neue Jugendliche aufnehme. Dafür fänden derzeit wöchentlich Vorstellungsgespräche statt.

Die 30-jährige Diplom-Pädagogin arbeitet seit zwei Jahren mit jugendlichen Flüchtlingen, angefangen hat sie in der Bayernkaserne. "Wir haben uns als Team ganz gut eingespielt", sagt sie über die ersten zwei Monate in Pullach. Die Zusammenarbeit mit den eigentlichen Burgherren, dem Kreisjugendring München-Land (KJR), der weiterhin die Küche, Reinigung und Haustechnik betreibt, aber auch das Freizeitangebot und die Deutschkurse im Haus organisiert, funktioniere gut, sagt Heckert. Überrascht habe sie das ungewöhnlich große Engagement der Pullacher Bürger, den Neuankömmlingen zu helfen. Heckert erzählt von der wichtigen Hausaufgabenbetreuung, die Pullacherinnen ehrenamtlich übernommen haben, aber auch von problematischen Spenden. So ergebe es etwa wenig Sinn, einzelnen Jugendlichen Fahrräder schenken zu wollen. "Das macht was mit der Gruppendynamik."

Die Hauptaufgabe der Betreuer beschreibt Heckert so: "Die Jugendlichen so zu integrieren und zu erziehen, dass sie auch langfristig in Deutschland überleben können". Dazu gehört auch, dass sie ihre Zimmer selber sauber halten und lernen, wie man S-Bahn fährt oder alleine zum Arzt geht. Und scheinbare Selbstverständlichkeiten, die viele aus ihrem Kulturkreis einfach nicht gewohnt seien: Etwa dass man klopfe, bevor man das Zimmer betrete. Während sie erzählt, kommt ein junger Afghane ins Zimmer, der zur Schule muss und eine Flasche Wasser mitnehmen möchte. "Halt", sagt Heckert bestimmt, aber mit einem Lächeln. Und der Bub erinnert sich an die Regel, dass er seinen Namen erst mit einem Filzstift auf die Flasche schreiben muss, um sie mitnehmen und später gegen eine neue austauschen zu können. "Danke", sagt er schließlich und verabschiedet sich mit einem Grinsen. Auch das gehört zu den Lektionen, die die Jugendlichen auf der Burg vom ersten Tag an lernen: Dass eine blonde junge Frau, die Jeans trägt und ein Lippenpiercing hat, als Leiterin des Teams das Sagen im Haus hat. Auch wenn das in den Heimatländern einiger Jugendlicher unvorstellbar sein mag, stört das auf der Burg Schwaneck niemanden. Die Buben, das merkt man schnell, mögen Heckert und haben Respekt vor ihr.

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Dass in der Pullacher Unterkunft auch schon vier Mädchen leben, sei eher Zufall, erzählt Heckert. Eines Tages sei dem Haus versehentlich ein Mädchen zugewiesen worden. Daraufhin habe man schnell drei weitere angefordert, damit die Jugendliche nicht allein unter Jungen sei. Die vier Mädchen leben nun im dritten Stock, nachts bewacht ein eigens abgestellter Security-Mitarbeiter ihre Türen, "damit nichts passiert", sagt Heckert. Die Erfahrungen im Zusammenleben seien jedoch gut. "Am Anfang haben ein paar Jungs nach dem Abendessen versucht, sich die Tische von den Mädchen abräumen zu lassen", erinnert sich Heckert und lächelt. "Aber die haben gleich gesagt: Das könnt ihr selber machen." Bald soll es auf der Burg eine komplette Mädchengruppe geben, sagt die Bereichsleiterin.

Die jugendlichen Burgbewohner wollen erst einmal vor allem eines: Deutsch lernen. Das sagt auch der Mann der Security-Firma "Jonas better Place", die stets mit sechs Mitarbeitern präsent ist. "Die Jungs sind schon in Ordnung", fügt er hinzu. Um auch die zu unterrichten, die noch keine Schule oder Kurse in der Stadt besuchen, hat der KJR zwei Honorarkräfte engagiert, die im Haus Deutsch als Fremdsprache unterrichten. Und er kümmert sich auch um das Freizeitangebot, zusammen mit dem Helferkreis und Vereinen aus Pullach. Es gibt bereits regelmäßige Lauftreffs, Fußball, Taekwondo und einen Tanzkurs, demnächst sollen weitere Angebote folgen, etwa ein Trommelkurs mit der Musikschule Pullach. Auch werde man, zusammen mit der Sixt-Stiftung, zwei Räume umgestalten, sagt der Leiter der Burg, Andreas Bedacht. So sollen die Jugendlichen bald einen Fitnessraum bekommen, auch ein Gebetsraum sei im Gespräch. "Die jungen Flüchtlinge brauchen Angebote und etwas Verbindendes wie andere Jugendgruppen auch", sagt Bedacht.

Zum Auftrag der Einrichtung gehört zudem, dass die Schutzbedürftigen wieder normale Jugendliche sein können. Auch wenn die Betreuer natürlich wissen, dass es nicht leicht ist, in der Pubertät in einem Viererzimmer zu leben, ohne jede Privatsphäre. Und dass sich ihre Schützlinge in einer Lage befinden, die weit weg ist von jeglicher Normalität: Zwischen traumatischen Erlebnissen mit Krieg und Verfolgung in ihrer Heimat, Gefahren auf der Flucht und einer ungewissen Zukunft. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint, gibt es einen fundamentalen Unterschied zu den Herbergsgästen von früher: Die neuen Burgbewohner tragen Erlebnisse mit sich herum, die die Vorstellungen der meisten Teenager in Deutschland übersteigen. "Viele können nachts nicht schlafen", sagt Heckert. Daher gibt es im Haus vier Psychologen, die mit den Jugendlichen Einzelgespräche über ihre traumatischen Erlebnisse führen.

Heckert würde den Jugendlichen gerne etwas schenken, das über den anerkannten Bedarf hinausgeht - "eine Silvesterparty". Eine Dolmetscherin aus Eritrea habe angeboten, mit den Jugendlichen Zutaten für ein typisches Essen zu kaufen und gemeinsam zu kochen, um ein Stück Heimat nach Pullach zu bringen. Für viele Jugendliche wäre das auch eine Art Geburtstagsparty, sagt Heckert. Schließlich hätten einige vom Amt pauschal den 1. Januar als Geburtsdatum vermerkt bekommen. Und es gebe manche, die gar nicht wissen, dass man Geburtstage feiert. Es wäre also nicht nur ein gemeinsames Erlebnis, bei dem die Burgbewohner ihre Sorgen mal vergessen könnten, sondern auch eine kulturelle Bildungsmaßnahme.

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