Studentin auf Wohnungssuche:Die WG-Odyssee

"Was machst du, wenn du nachts einen von uns betrunken in der Küche findest?" In München ist bezahlbarer Wohnraum knapp. Wer eine WG sucht, braucht Schlagfertigkeit - und Durchhaltevermögen. Unterwegs mit einer Studentin.

Isabel Meixner

Die Wohnung liegt in der Nähe der Hackerbrücke. Johanna Schwarz aus dem unterfränkischen Wonfurt ist im Internet auf sie aufmerksam geworden. Nun klingelt die 20-Jährige an dem Schild, an dem anstelle eines Namens groß "WG" steht. Den Aufkleber haben die zwei Bewohner angebracht, damit die Bewerber wissen, wo sie klingeln müssen.

WG-Suche München

Wieder nichts: Johanna Schwarz, 20, hat bereits zahlreiche Zimmer besichtigt, steht aber immer noch ohne Wohnung da. Im Wintersemester beginnt die Unterfränkin ihr Bauingenieursstudium.

(Foto: Isabel Meixner)

Die 20-Jährige hat keine großen Ansprüche an ihr zukünftiges Zimmer: Es soll maximal 400 Euro kosten, Lage und Größe sind für sie zweitrangig. Bei mehr als 15 Wohngemeinschaften (WG) hat sich Johanna, die im Wintersemester ein Bauingenieurwesen-Studium beginnt, vorgestellt - bislang ohne Erfolg. Und mittlerweile drängt die Zeit: Das Studium geht los, und pendeln kommt für Johanna nicht in Frage: "Ich brauche vier Stunden mit dem Zug nach München." Notfalls könnte sie bei ihrer Patentante unterkommen, die aber nur ein Einzimmer-Appartement hat.

Mit ihrem Problem steht Johanna nicht alleine da: In München herrscht Wohnungsmangel. Vor allem zu Beginn dieses Wintersemesters suchen besonders viele Studenten eine neue Bleibe. An der LMU gibt es fünf Prozent mehr Studienanfänger, an der TU sogar 15 Prozent.

Für Johanna hat dies Folgen: Die Unterfränkin musste sich teilweise mit mehreren Studenten gleichzeitig vorstellen. "Das war seltsam." Ein Teil der Bewerber sei in der Küche gegessen und habe mit einem Bewohner gesprochen, während die anderen die Wohnung anschauten. Bei anderen Terminen habe es mit den Mitbewohnern nicht gepasst, manchmal war auch das Haus alt und heruntergekommen. "Einmal habe ich eine Wohnung besichtigt, in der die Dusche in der Küche. Da wollte ich dann nicht einziehen."

Bei der Dreier-WG, die sie jetzt besichtigt, hofft sie auf mehr Glück. Nach kurzem Warten öffnet eine etwa 20-Jährige die Tür und stellt sich als "Gabi" vor. Mit einem "Komm rein" winkt sie die Besucherin in den Flur. Die WG ist frisch geweißelt und riecht noch nach Farbe. Ein paar Umzugskartons stehen herum, ansonsten ist sie leer.

"Wir haben die Wohnung erst seit ein paar Tagen, deshalb sieht es hier so aus", entschuldigt sich Gabi und führt die 20-Jährige in das erste Zimmer. Es ist das größte der etwa 60 Quadratmeter großen Wohnung. Noch. Denn hier soll eine Wand eingezogen werden, die den Raum in zwei Hälften teilt: Die eine soll das Wohn- und Durchgangszimmer zur Küche werden, die andere das Zimmer des dritten Mitbewohners, Gabis Bruder Timo. Er sitzt gerade auf dem Boden und schraubt einen Stuhl zusammen.

Johanna schaut sich den Raum an, der die Küche werden soll. Auch er ist leer. "Die Küche wird leider erst in vier Wochen geliefert. Bis dahin müssen wir so auskommen", erklärt Timo. Nur eine Kaffeemaschine ist bereits aufgebaut. "Willst du einen Kaffee?", fragt Timo. Die Geschwister wollen Johanna besser kennenlernen, dazu bleibt ihnen eine halbe Stunde Zeit. Dann kommt der nächste Bewerber.

Fragen nach dem Sternzeichen oder Lieblingsgetränk

"Was machst du, wenn du nachts einen von uns beiden betrunken in der Küche findest?", möchte Gabi wissen. Sie lehnt an der Wand, weil es nur einen einzigen Stuhl gibt - und den besetzt ihr Bruder. Johanna runzelt die Stirn und dreht unbeholfen ihre Kaffeetasse in der Hand. "Stell dir einfach mal vor, der Timo kommt von einer Party und versucht, sich betrunken etwas zu kochen", sagt Gabi, woraufhin sich ihr Bruder scherzhaft beschwert: "Na toll, jetzt diene ich wieder als Paradebeispiel, oder was?" Johanna lacht, und genau das ist ihre Antwort auf die Frage: "Ich würde wahrscheinlich lachen." Timo findet das originell und meint: "Ja, das ist wahrscheinlich das Beste."

Die nächste Frage ist die nach Johannas liebstem alkoholischen Getränk. "Da kann mal viel draus lesen", erklärt Gabi. Mit der Antwort "Malibu Kirsch, Cocktails im Allgemeinen" scheint die Bewerberin den Geschmack Gabis getroffen zu haben: "Ja, das trinke ich auch am liebsten." Es ist nicht das erste Mal, dass Johanna solche Fragen hört. Bei anderen WG-Castings wurde sie etwa nach ihrem Sternzeichen oder ihrer Lieblingsteesorte gefragt.

Eine Weile plaudern die drei weiter. Ob sie ordentlich sei, möchte Timo wissen, welche Sportarten sie macht oder ob sie gerne weggeht. Ein lockeres Gespräch entwickelt sich nicht, auch wenn sich beide Seiten bemühen. Als die Kaffeetasse leer ist, geht die WG-Führung weiter. "Das hier wäre das Zimmer", sagt Gabi. Johanna sieht sich den länglichen Raum, der ihr neues Zuhause werden könnte, genauer an: Er ist mit neun Quadratmetern der kleinste in der Wohnung. Dafür liegt der Mietpreis von 330 Euro warm in dem finanziellen Rahmen, den sich Johanna gesetzt hat. Durch das Fenster blickt sie auf einen Hinterhof und auf die Wand des Nachbarhauses.

"Für ein großes Bett ist kein Platz, aber mit einem Stockbett müsste das schon gehen", meint sie. Das Zimmer gefällt ihr, von der Lage her wäre es optimal. Doch wie bei den anderen Terminen ist sie bei weitem nicht die einzige Bewerberin. An diesem Tag kommen noch zehn weitere Studenten vorbei, sagt ihr Timo. Auch Johanna muss zu einem anderen Besichtigungstermin. "Wir entscheiden uns übermorgen. Wir werden nur die Person, die wir nehmen, anrufen, sonst schreiben wir eine E-Mail", sagt Timo zum Abschied

Zwei Tage später: Johanna wartet auf den Anruf - vergeblich. Schließlich kommt die E-Mail mit der Absage. Sie hätten sich für jemand anderes entschieden, heißt es. Dabei hatte die 20-Jährige ein gutes Gefühl. Woran es bei ihr gelegen hat, erfährt Johanna nicht. Sie weiß nur soviel: dass mit Beginn ihres Studium die Suche nach einer Wohnung noch nicht beendet ist.

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