"Stadt-Land-Rock"-Festival:Schule fürs Selbstbewusstsein

Startklar: Zum siebten Mal verschafft das "Stadt-Land-Rock"-Festival auf Tollwood jungen Münchner Bands ein großes Publikum.

Nina Himmer

Zur Unterhaltung Reste von gestern zu präsentieren, mag verrückt, ja unverschämt klingen. Wenn es sich dabei aber eigentlich um musikalische Leckerbissen von morgen handelt, sieht das Ganze gleich etwas anders aus. Tatsache ist: Die Münchner Band Reste von Gestern ist nur eine von zwölf Gruppen, die am Wochenende beim Stadt-Land-Rock-Festival auf dem Tollwood rocken werden. Bereits zum siebten Mal geben die Jugendseite der Süddeutschen Zeitung und das Sommer-Tollwood dort jungen Musikern eine Plattform, sich vor großem Publikum zu präsentieren.

Jugendseite

Die Talking Pets sind eine von zwölf Bands, für die sich die Jury entschieden hat. Sie stehen am Freitag beim "Stadt-Land-Rock-Festival" auf der Bühne der Tollwood-Tanzbar.

(Foto: lkz)

Für die Bands bedeutet das: Eine Bühne, 60 Minuten Spielzeit, jede Menge Aufmerksamkeit und viele neue Zuhörer - schließlich ist der Eintritt beim Newcomerfestival frei. Und schon die Tatsache, dass sie es bis hierher geschafft haben, darf den Nachwuchsmusikern mit Fug und Recht Auftrieb geben. Etwa 100 Bands hatten sich beworben und mussten sich der kritischen, mit Musikern, Redakteuren und Musikmanagern bestückten Jury stellen.

Denn mit dem Festival wollen die Veranstalter mehr Leben in die Münchner Musikszene bringen und den Nachwuchs an Bass, Gitarre und Co. fördern. Ein ambitioniertes Ziel, für dessen erfolgreiche Umsetzung das Stadt-Land-Rock-Festival 2008 mit dem Bayerischen Rockpreis ausgezeichnet wurde.

Nach hunderten von Songs, mindestens ebenso vielen Diskussionen und Unmengen Kaffee erkor die Jury zum Beispiel Flüsterton. Die Hip-Hop-Formation hat es erfolgreich vermieden, sich in irgendeine Schublade stecken zu lassen und kombiniert munter verschiedene Stile. "Reggae, Ska, Funk, Pop - wir lassen uns da nicht festlegen", sagt Bassist Axel Winter, der im Tollwood-Publikum eine Herausforderung für seine Band sieht: "Da sind ja sehr unterschiedliche Leute vertreten, und viele werden uns noch nicht kennen."

Die Chance, das zu ändern, ist allemal gegeben. Das gilt auch für die Mädchenband The Coxx, die für die Bewerbung ihre Bandbeschreibung deutlich entschärfte und bezüglich ihres Bandnamens brave Ahnungslosigkeit mimt. Von "brav" sind die fünf Mädchen freilich weit entfernt. Im Internet steht nach wie vor zu lesen, was Sängerin Marlena und ihre Band zu bieten haben: "Brüste, Liebe, Gefühle, Anatomie und Experimente."

Die Jury fand indes noch viel mehr. Denn die Songs der Mädchen klingen lässig-cool nach Patti Smith, Bob Dylan und Jimi Hendrix. Und genau wie die alten Rockgrößen lieben auch The Coxx extravagante Bühnenauftritte. Dann stöckeln sie in High-Heels, mit Laborbrille und passend experimentellen Outfits über die Bühne oder sehen aus, als seien sie gerade den 60er oder 70er Jahren entsprungen.

Ein Star für Oslo

Luca und Patty von El Rancho hingegen sind ganz in der Gegenwart angekommen. Dabei haben sich die beiden Jungs, als sie ihr Demo-Tape an die Redaktion schickten, nicht viel dabei gedacht. "Das war eine ganz spontane Aktion", erinnert sich Luca. Jetzt sind sie nicht nur auf der Bühne mit dabei, sondern präsentieren bei Tollwood auch gleich noch ihr erstes Album "Strangeland" - vollgepackt mit zwölf Akustik-Songs, die durch ausgeklügelte Melodien, pfiffige Texte und musikalische Reife bestechen.

Dass Luca und Patty früher in Metal-Bands spielten und nach wie vor eine Vorliebe für brachiale Klänge haben, hört man ihrer sensiblen, aber kantigen Gitarrenmusik gar nicht mehr an. Dem Stadt-Land-Rock-Festival blicken sie voller Vorfreude entgegen. "Für uns ist das wegen des Albums ein besonderes Konzert. Außerdem sind wir als Musiker einfach dankbar, wenn man uns eine ehrliche Chance gibt", sagt Patty über die Möglichkeit, auf dem Tollwood Festival zu spielen.

Damit spricht er an, worum es bei einem Newcomerfestival eigentlich geht - die Förderung junger Talente. "Wir möchten die Münchner Musikszene beleben, indem wir den Bands Aufmerksamkeit verschaffen und ein Forum geben", sagt Mitorganisator und SZ-Redakteur Michael Bremmer, der die weitere Entwicklung der Stadt-Land-RockSchützlinge aufmerksam verfolgt.

Dass die Jury schon in der Vergangenheit ein feines Gespür für die Auswahl der Künstler bewiesen hat, beweisen die Karrieren von Bands wie Liza23, Fertig, Los! oder der Sängerin Sharyhan Osman.

Alle standen zuerst in der Tollwood-Tanzbar auf der Bühne und haben seither von sich Reden gemacht: Liza23 haben den Bayerischen Musiklöwen gewonnen und stehen am Wochenende im Olympiastadion mit Culcha Candela auf der Bühne. Fertig, Los!, die früher unter dem Namen Spunk unterwegs waren, bekamen mittlerweile einen Plattenvertrag von Sony BMG. Und Sharyhan Osman war nah dran, Deutschlands "Star für Oslo" zu werden.

Bei Stefan Raabs Eurovisions-Casting trat die Münchnerin gegen Lena Meyer-Landrut und Jennifer Braun an - am Ende reichte es für den fünften Platz. "Für mich hat der Auftritt bei Stadt-Land-Rock einen Stein ins Rollen gebracht", sagt Osman rückblickend und gerät bei der Erinnerung ins Schwärmen. "Das war so ein toller Auftritt, der im Gedächtnis bleibt. Dieses Festival schafft Möglichkeiten, die die Münchner Musikszene fruchtbarer machen. Und mir hat es viel Selbstbewusstsein und neuen Schub verliehen", sagt sie.

Schub, der sie nicht nur in die Oslo-Show, sondern auch auf eine einmonatige Clubtour durch London brachte. "Ich habe tolle Musiker kennengelernt, viele Auftritte absolviert und arbeite jetzt an einer Platte", sagt sie.

Auch einige der aktuellen Bands sind natürlich nicht völlig unbekannt. Manche konnten bereits Wettbewerbe für sich entscheiden, Auftritte ergattern oder im Vorprogramm größerer Bands ihr Können unter Beweis stellen. So zum Beispiel die Talking Pets, die mehrmals als Vorband größerer Acts im Atomic Café spielten und dank Manager Gerald Huber auf dem besten Weg zur Szenegröße sind.

Die vier Jungs, die sich nicht als Band, sondern als "vier Freunde, die zusammen Musik machen" betrachten, haben bereits ein schickes Indie-Rock-Album aufgenommen, das die Jury überzeugte. Das soll nun auch mit dem Publikum klappen, dem sie "eine mitreißende Achterbahnfahrt" versprechen. Tonwertkorrektur hat ebenfalls bereits Bühnenerfahrung. Das Trio um Sängerin Lena war 2009 "Münchner Band des Jahres" und sollte eigentlich schon letztes Jahr auf Tollwood spielen - doch dann kam eine Abi-Fahrt dazwischen.

Menschen mit Musik begeistern, Fans gewinnen und Kontakte knüpfen - das Festival birgt für die Nachwuchskünstler viele Chancen. Die will sich natürlich niemand entgehen lassen. "Wir proben wie verrückt und werden am Freitag zwei neue Songs spielen", so Miriam Ledig. Die Frontfrau von Goldline freut sich besonders auf "die vielen neuen Leute, denen wir unsere Musik schenken können."

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