Sprechpassion:Sprechen, schreien, seufzen

Die Chorvereinigung Haar zeigt in der Jesuskirche eine moderne Vertonung der Johannespassion, die Chorleiter Frey geschrieben hat

Von Udo Watter, Haar

Der klassische Chorsänger neigt eher nicht dazu, die Sau rauszulassen. In seriöse Garderobe gewandet, befleißigt er sich zumeist einer kultivierten Körpersprache und vornehmer kantabler Ausdrucksfähigkeit, die perfekt korrespondiert mit der Ernsthaftigkeit, welche er dem musikalischen Inhalt angedeihen lässt. "Wenn du denen sagst: Schrei mal!", sagt Michael Clemens Frey und stockt kurz schmunzelnd: "Das tun die nicht". Ähnlich schwierig sei es, sie zur aktiven Bewegung zu animieren. Der Komponist und Chorleiter der Chorvereinigung Haar musste den traditionsbewussten Mitgliedern seines Vokalensembles also quasi erst mal einen kleinen Kulturwandel beibringen, um das anzubahnen, was am Karfreitag, 14. April, in der Haarer Jesuskirche erklingen wird: Zur Todesstunde Jesu, von 15 Uhr an, wird im Rahmen des evangelischen Gottesdienstes dort die Johannespassion als modernes Sprachkunstwerk mit dem Titel "Antworten" inszeniert. Frey selbst hat dieses Stück geschrieben und jetzt für die Chorvereinigung bearbeitet. Mit klassischer Vokalmusik hat das nur noch wenig zu tun. "Das ist ein ganz anderer Stil. Sehr moderne Chormusik: es wird viel gesprochen, geschrien und geseufzt", erklärt Frey. Ziel ist vor allem, den Erlebnisfaktor der Passion für das Publikum zu erhöhen, die Worte des Evangeliums lebendiger werden zu lassen. Einerseits wird Pfarrerin Dagmar Häfner-Becker lesen, andererseits wird der Chor aus Sicht des Volkes und der Priester agieren. Das hat zur Folge, dass die Sänger Emotionen wie Feigheit, Bedrohung, Weinerlichkeit, die sonst nicht gezeigt werden können, hier ungefiltert auf die Bühne bringen sollen. "Das ist sicher für manchen gewöhnungsbedürftig", sagt Frey. "Mit Melodik hat das nicht mehr viel zu tun. Es gibt nur zwei Melodiezitate, die sich auf Bach berufen."

Der gebürtige Münchner, der Dozent für Gesang, Musiktheorie und Klavier an der Musikakademie München ist und die Chorvereinigung Haar seit 2014 leitet, hat zu Probenbeginn vor gut einem Vierteljahr durchaus Überzeugungsarbeit leisten müssen, denn die Stimmung im Chor war kontrovers. "Am Anfang war es sehr mühsam". Was das erwähnte Schreien angeht, das elementar für die Aufführung des Stücks ist, hat der ein oder andere Angst gehabt, seine Stimme zu ruinieren. Das richtige Schreien will gelernt sein und natürlich auch andere Arten sich auszudrücken, die nicht der klassischen Gesangstechnik entsprechen und individualistisches Agieren jenseits der Chorsicherheit erfordern.

chorvereinigung haar

Viel zu singen haben die Chormitglieder am Freitag nicht.

(Foto: oh)

Für Frey, der auch einen Musical- und Popchor im Münchner Raum leitet sowie den Männergesangsverein Ismaning, und bisher mit den Haarern Werke wie Haydns "Schöpfung", oder Vivaldis "Magnificat" und "Gloria in D" einstudiert hat, war es spannend zu beobachten, wie sich die kreative Binnen-Atmosphäre entwickelte. "Nach und nach haben einige Gefallen dran gefunden und die haben den Rest infiziert." Der umtriebige Musiker, der auch ob seiner Vorliebe für extravagant-bunte Schuhe ("Ich bin ein Schuh-Narrischer") auffällt, ist aber eben einer, der gerne neue künstlerische Horizonte erkundet und gemeinschaftlich umzusetzen sucht. "So ein modernes Stück aufzuführen, ist ein Angebot. Der eine leckt Blut, der andere nicht, aber immerhin hat er's mal probiert." Im Mai wird die Chorvereinigung, die - 1948 gegründet - zu den traditionsreichsten Vokalensembles im Münchner Raum zählen dürfte und rund 50 Mitglieder hat, bei einem Konzert in Haar auch Popsongs und Schlager aufführen. Nicht jeder war von Beginn an begeistert. "Manche bewegen sich nicht so gerne im Rhythmus", sagt Frey.

Im Oktober führt das Ensemble dann mit Mozarts Requiem wieder ein klassisches Meisterwerk der Chorliteratur auf - und bei allen kleinen Kontroversen ist Frey vom Niveau des Ensembles und der Zusammenarbeit sehr angetan. "Ich bin megamäßig zufrieden". Die Zuneigung ist gegenseitig. Frey wird als ebenso anspruchs- wie humorvoller Dirigent geschätzt und auf der Homepage schreibt man stolz vom "Chorleiter mit den verrückten Schuhen". Für den Auftritt am Karfreitag wird er freilich etwaige quietschbunte Optionen im Schuhschrank lassen. "An so einem Tag erscheine ich in Schwarz." Bei der Passionsgeschichte geht es ja vor allem um die spirituelle Bedeutung, die auch Pfarrerin Dagmar Häfner-Becker am Herzen liegt: "In der Todesstunde Jesu denken wir daran, warum gerade deshalb der Tod Jesu für uns befreiende Wirkung hat."

michael frey

Chorleiter Michael Frey hat eine moderne Vertonung der Johannespassion geschrieben.

(Foto: Privat)

Die Karfreitagsandacht mit der Johannespassion "Antworten" für sprechenden Chor beginnt um 15 Uhr in der Jesuskirche Haar, Waldluststraße 36.

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