SPD: Ex-Abgeordneter Axel Berg:Auszeit von der großen Liebe

Axel Berg war ein rotes Ausrufezeichen im schwarzen Bayern - und zeitweise der einzige bayerische SPD-Mann, der mit einem Direktmandat im Bundestag saß. Dann verlor er seinen Platz. Inzwischen hat Berg sein Scheitern verkraftet - sagt er.

Lars Langenau

"Motor aus! Bitte." Der Mann von Paketdienst schaut ein wenig hilflos herüber zum Schwabinger Café, von dem die unmissverständliche Aufforderung schallt. Er dreht den Zündschlüssel um. Der Lieferwagen ist aus. "Alles gut! Dankeschön!" Axel Berg ist zufrieden - und in seinem Element. Dabei hat der 51-Jährige vor einem Jahr seine Mission - und, wie man denken könnte, irgendwie auch seine Passion verloren: Seine Partei fiel bundesweit auf den historischen Tiefstand von 23 Prozent der Wählerstimmen, und in Bayern erzielte sie mit 16,8 Prozent ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis überhaupt.

SPD: Ex-Abgeordneter Axel Berg: Es gibt viele Möglichkeiten, sich für die gute Sache einzusetzen, sagt Axel Berg - bis zur vergangenen Wahl SPD-Bundestagsabgeordneter. Aber auch ohne Mandat setzt sich der 51-jährige Münchner für die Belange des Umweltschutzes ein.

Es gibt viele Möglichkeiten, sich für die gute Sache einzusetzen, sagt Axel Berg - bis zur vergangenen Wahl SPD-Bundestagsabgeordneter. Aber auch ohne Mandat setzt sich der 51-jährige Münchner für die Belange des Umweltschutzes ein.

(Foto: Stephan Rumpf)

Axel Berg war die letzte rote Boje im schwarzen Meer. Am 27. September 2009 ging auch sie unter. Dreimal holte der Rechtsanwalt und Politologe für die SPD das Direktmandat für den Bundestag, zweimal war er der einzige Sozialdemokrat, der dies in Bayern überhaupt schaffte. Doch dann verlor auch Berg. Gegen CSU-Mann Johannes Singhammer. Mit 1551 Stimmen. Und weil das noch nicht genug war, scheiterte er gleich noch zweimal: In Bremen, weil nach einem komplizierten Verfahren die SPD dort zu viele Stimmen bekommen hat. Und allgemein im Bund. Denn hätte seine Partei bundesweit nur 594 Stimmen mehr bekommen, auch dann säße er jetzt im Bundestag.

Nun ist er draußen aus dem Raumschiff Berlin. Früher, da war er Mitglied im Wirtschaftsausschuss des Bundestages, SPD-Obmann in der Energie-Enquetekommission, Co-Autor des Gesetzes für erneuerbare Energien und stellvertretender energiepolitischer Sprecher seiner Fraktion. Seit mehr als einem Jahr ist er all diese Jobs los, kürzlich lief auch sein Übergangsgeld als Bundestagsabgeordneter aus.

Nach der Wahl kamen viele Jobangebote, aber er wollte nicht in den nächsten Stress eintauchen - oder auf das falsche Schiff aufspringen. Noch nicht einmal eine Aufsichtsratstätigkeit oder andere Stellen in der Wirtschaft hat er angenommen wie etwa Rezzo Schlauch bei EnBW, Wolfgang Clement bei RWE, Joschka Fischer bei Nabucco, Gerhard Schröder bei Gazprom oder wie Otto Schily, der nun auf der Seite der Atom-Befürworter steht.

"Die große Liebe Bundestag"

Nur bei dem Think Tank Eurosolar ist er Vorsitzender der Sektion Deutschland, als Berater für Nichtregierungsorganisationen. "Das ist der Unterschied", sagt Berg. "Ich bin bei Eurosolar. Ich bin klar positioniert: für die erneuerbaren Energien." Es gebe viele Möglichkeiten, sich für die Sache einzusetzen, sagt er. "Das hängt nicht nur an der Rolle eines Bundestagsabgeordneten. Vielleicht hat man als Berater der Deutschen Bank sogar mehr Einfluss", fügt er nachdenklich hinzu. Berg ist ein Mann ohne Scheuklappen, weder politisch noch sonst. Berg geht es um die Sache.

Seine "Sache" ist sein Lebensthema: Ölkatastrophen über Klimawandel bis zu den Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke. Mit einem enormen Aufwand betreibe die Atomindustrie da eine "Desinformationspolitik", sagt Berg und wird ungehalten: "Die Union hat mit dem Arsch eingerissen, was wir mühselig aufgebaut haben."

Wie sehr hätte ihn die SPD in dieser Debatte gebraucht. In diesen Wochen, in denen die Umweltpolitik die Agenda bestimmte - und die verlängerten Laufzeiten der Atomkraftwerke zur Tatsache wurden. Nur Parteichef und Ex-Umweltminister Sigmar Gabriel war präsent. Und sonst? Kennt jemand den Namen des umwelt- oder energiepolitischen Sprechers der Sozialdemokraten im Bundestag? Oder die der Bayern im Bundestag?

Direkt nach Bergs Abschied aus Berlin klang das alles wie der Verlust einer großen Liebe: Bestürzung, Verzweiflung, Trauer. "Die große Liebe Bundestag", sagt Berg heute dazu, "bitte nagelt mich darauf nicht fest. Jetzt habe ich ein anderes Leben. Ich habe eben kein Amt mehr - weder in der Partei noch im Bundestag, aber mache trotzdem Politik."

"Und dann habe ich mir erlaubt, Aua zu sagen"

Das klingt ein wenig widerborstig, denn irgendwie ist er auch raus aus dem Beischiff München. Hier, in seinem Wahlkreis 218, München Nord, dem alten Wahlkreis von Peter Glotz, wollen jetzt die drei Landtagsabgeordneten Franz Maget, Diana Stachowitz und Isabell Zacharias seine Lücke füllen. Als Trio. Mit gemeinsamen Postkarten und Aktionen, die selbst den berühmten Berg-Bus ersetzen sollen. Man sei durchaus für eine erneute Kandidatur von Berg, versichert Maget: "Das muss Axel Berg selbst entscheiden." Dabei hat Axel Berg schon längst ja gesagt. Und wiederholt das jetzt - ohne mit der Wimper zu zucken - auch noch einmal auf Nachfrage der Süddeutschen Zeitung: "Ja. Ich würde wieder antreten." Seine Chancen, in seinem Wahlkreis wieder aufgestellt zu werden, schätzt er als gut ein. Aber es seien eben auf absehbare Zeit keine Wahlen.

Er setzt seine Kaffeetasse ab, schaut in die Weite und sagt: "Politik verläuft wellenförmig - wie so vieles im Leben." Seine Sätze klingen inzwischen nach Annahme - nach Annahme der Trennung von der großen Liebe. "Ich wollte ja gewählt werden", sagt Berg dazu. "Und habe es nicht geschafft. Und dann habe ich mir erlaubt, Aua zu sagen." Selbst im Ausland gab es danach Artikel über die kaputte SPD am Beispiel Axel Berg.

Auch deshalb ist er vorsichtig geworden mit seinen Äußerungen. Er will nicht nachtreten und sagt mit ein wenig Trotz in der Stimme: "Ich bin fröhlich, freue mich über das Leben - und bin nicht verbittert." Er sei erhobenen Hauptes gegangen und dränge sich nicht auf. Trotzdem merkt man ihm an, dass es ihn wurmt, dass 16 bayerische Sozialdemokraten im Bundestag sitzen und er, der Mann auf Listenplatz 17, nicht. Warum aber war damals kein besserer Platz möglich? Berg schaut einen mit großen blauen Augen an und sagt: "Ich verstehe es bis heute nicht. Ich würde es gerne wissen."

Vielleicht, weil er Politik für eine gut situierte Minderheit gemacht habe? Eine naive Frage - umgehend schaltet Berg von einem freundlichen Gesichtsausdruck auf ernst. Bierernst. Todernst: "Ich will ja Stromkosten verbilligen. Ich will eine Welt, in der wir unabhängig sind von Monopolen." Er sinniert darüber, dass die Verteilung der Energie "weltweit mafiaähnlich" organisiert sei und man sich davon "unabhängig machen" müsse.

Nein, sagt er, wir müssen eben nicht nur die zehn oder 15 Prozent erreichen, die in Ökoläden einkaufen, sondern die Masse der Menschen. "Die ganze Welt muss umschalten auf regenerative Energien. Die Vorreiter sind die, die gewinnen werden", sagt er. Nachhaltigkeit in der Politik können man im jeden Lebensbereich durchdeklinieren: "Energiepolitik ist Sozialpolitik. Schlecht isolierte Wohnungen sind Sozialpolitik, hohe Stromkosten. Egal was man macht, dazu braucht man Energie."

"Ich kann auf allen Ebenen wirken"

Diese Sichtweise relativiert seine monothematische Spezialisierung, seine Nische, die dann plötzlich gar keine Nische mehr ist. Vielleicht ist München, Bayern, Deutschland, die Welt einfach noch nicht bereit für so einen wie ihn? Er ähnelt da dem kürzlich verstorbenen, einzigen herausragenden Energiepolitiker der SPD, Hermann Scheer. Berg hielt Scheer für den "weltbesten Energiepolitiker", sie waren Freunde. Und Scheer hatte die gleichen Probleme wie Berg: Er ist in seiner Partei an Grenzen gestoßen.

Wieso ist er nicht bei den Grünen, fragt man Berg, vielleicht hätte er da bessere Chancen gehabt, groß rauszukommen. Schließlich ist der gebürtige Stuttgarter ein Quereinsteiger, der einst über die Anti-AKW-Bewegung zur Politik gekommen ist. Berg antwortet ernst: "Ich bin nicht zufällig in der SPD. Ich trage die Ziele der Sozialdemokratie mit. Es gibt nur ein Verteilungsproblem. Die Sozialdemokratie ist eine internationale Bewegung. Da passe ich rein, auch wenn ich kein Sozialpolitiker in diesem Sinne bin." Nachdenklich fügt er hinzu: "Allerdings hätte es durchaus sein können, dass ich Grüner werde."

Hätte er die Macht dazu, dann würde er München zur "Energie-Hauptstadt" machen wollen. "Wir haben hier Weltkonzerne wie BMW, Siemens und die Münchner Rück. Selbst die Wiesn ist überall in der Welt bekannt. Wenn wir in München in Sachen der Energiebilanz Vorreiter werden, dann können wir Vorreiter in der Welt werden. Von München aus wird Globalisierung gemacht, und wenn wir hier tolle Sachen machen, dann strahlt das aus."

Ist das etwa eine Ankündigung für die Kandidatur für die Nachfolge von Bürgermeister Christian Ude? Nein, wiegelt Berg ab, obwohl man merkt, dass ihm diese Frage schmeichelt. Also fügt er hinzu: "Ich kann auf allen Ebenen wirken." Das nimmt man ihm ab. Und sei es nur, dass der Fahrer eines Lieferwagens seinen Motor abstellt.

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