Sozialdemokraten nach der Wahl:Die Stehauf-Partei

SPD Fähnchen auf dem Volksfest in Puchheim, 2013

Tristesse am SPD-Stammtisch? Von wegen! Abputzen und weitermachen - so lautet das Motto im Landkreis.

(Foto: Johannes Simon)

Die SPD im Landkreis lässt sich trotz der Schlappe bei der Bundestagswahl nicht unterkriegen. Auch nach dem Absturz auf 14 Prozent und dem Scheitern von Bela Bach gewinnen die Sozialdemokraten weiter Mitglieder. Jetzt konzentrieren sich alle auf die kommende Landtagswahl.

Von Iris Hilberth

Der Gag ist zwar schon 15 Jahre alt, aber vermutlich würde er heute genauso funktionieren: "SPD. Wir geben auf". Als sich das Satiremagazin Titanic einst im Landtagswahlkampf auf dem Aschaffenburger Marktplatz mit dieser Botschaft spaßeshalber als Abordnung der bayerischen Sozialdemokraten ausgab, hielten die wenigsten Passanten das für einen Witz. Sie glaubten Chefredakteur Martin Sonneborn Aussagen wie: "Dabei sein ist alles. SPD." "Recht so", sagten manche, "ihr habt eh keine Chance."

Die Zeit nach einer Wahl auf Landes- oder Bundesebene ist für Sozialdemokraten in Bayern traditionell die Zeit des Katzenjammers, die Phase der Gemütsverstimmung, der Niedergeschlagenheit und Ernüchterung. "Wollt ihr über die Bundestagswahl sprechen?", fragt Mathias Bauer, der Vorsitzende des Ortsvereins in Aschheim, seine Mitstreiter, als diese erstmals nach dem 14-Prozent-Debakel und dem abermaligen Scheitern ihrer Direktkandidatin Bela Bach zu einer Versammlung zusammenkommen. "So viele Taschentücher haben wir gar nicht dabei", entgegnet ihm ein Mitglied sarkastisch. Aber dann reden sie im Hinterzimmer der Sportgaststätte Tassilo doch.

Wahre Motivationskünstler

Darüber, dass sie im Wahlkampf "keine Themen hatten, sondern nur Plattitüden", dass man sich "zu sehr von den eigenen Wurzeln entfernt" habe und dass man bei der nächsten Wahl "wieder den Markenkern der SPD herausarbeiten und auch vertreten" müsse. In Wahlkampfzeiten gehe es nun mal um "Profilschärfung", mahnt einer an. Ortsvereinsvorsitzender Bauer findet: "Wenn wir eine Chance haben wollen, gewählt zu werden, dürfen wir es nicht allen recht machen."

Die Reaktionen nach dem verdauten Schock sind von Unterschleißheim bis Planegg, wie sie bei der SPD seit jeher sind. Sozialdemokraten im Freistaat sind wahre Motivationskünstler. Man rappelt sich auf, man versucht Zuversicht zu verbreiten, man gibt als Parole aus: Jetzt erst recht! Wie in Aschheim kommen SPD-Mitglieder in diesen Tagen auch in anderen Ortsvereinen an ihren Stammtischen zusammen, um Analyse zu betreiben, aber auch, um bereits in Richtung Landtagswahl 2018 zu denken. Ingrid Lenz-Aktas hat sich am Donnerstag den Rückhalt als mögliche Kandidatin bei den Parteifreunden in Aschheim geholt, Annette Ganssmüller-Maluche wird das an diesem Wochenende in Ismaning tun. Die Unterhachinger SPD kommt am Sonntag zu "Politik und Brotzeit zusammen", weil sie findet: Wir müssen reden.

Überall beschwört man den Zusammenhalt und macht klar: Mit Trotz hat das nichts zu tun, sondern mit Überzeugung und Kampfgeist. Jetzt, in der Oppositionsrolle, könne man sich endlich wieder profilieren, finden die meisten. "Wir sind Stehaufmännchen", sagt Karin Radl, die SPD-Fraktionssprecherin im Unterhachinger Gemeinderat. Ohne Nehmerqualitäten geht es nicht. Ansonsten hätten die Sozialdemokraten sicherlich damals schon Martin Sonneborn die Plakate abgekauft.

Dabei waren diesmal alle so zuversichtlich in den Wahlkampf gestartet. Man kann durchaus auch im Landkreis von Euphorie sprechen, denkt man an die ersten Wochen nach der Nominierung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten zurück. Von wegen sauertöpfische Sozialdemokraten: Jubel statt Jammern war das Credo und die Aufbruchstimmung, die sich unter SPD-Mitgliedern breit machte, war gerade so, als hätte man schon was gewonnen. Eva Maria Schlick, Gemeinderätin in Putzbrunn, fasste das im Januar so zusammen: "Aber jetzt, jetzt sitzt Schulz am Ruder, und das macht alles anders."

Die SPD setzt auf die "zweite Luft"

Kevin Cobbe, Sprecher der Jusos München-Land, hatte sich gar zu der Aussage hinreißen lassen: "Ich halte unser Potenzial für gewaltig." Im Mai, drei Landtagswahlen später, war das Stimmungshoch schon wieder verflogen. Zu düster die Nachrichten aus dem Saarland, aus Schleswig-Holstein und aus Nordrhein-Westfalen. Da ließ sich kaum etwas schönreden. Es war der Moment, an dem man bei Ausdauersportlern vom "toten Punkt" spricht. Wenn es in der Anfangsphase des Rennens wegen einer unzureichenden Sauerstoffversorgung zu einer schlechten Durchblutung der Muskulatur kommt und zu Umstellungsschwierigkeiten im Stoffwechsel und Kreislaufsystem und damit zu einem erheblichen Leistungsabfall und starker Atemnot. Manch einer gibt dann auf.

Die SPD aber setzte auf die viel beschworene "zweite Luft", auf einen neuen Schub. Immerhin hatte die Schulz-Euphorie der SPD München-Land 70 neue Mitglieder beschert. Das kann es das ja noch nicht gewesen sein, so der Tenor an der Basis. Die Bundestagswahl sei noch nicht entschieden, versicherte man sich gegenseitig. "Wir machen Wahlkampf, um stärkste Kraft zu werden", sagte die Kandidatin und Kreisvorsitzende Bela Bach damals tapfer.

"Die Grundstimmung ist noch da"

Am Ende aber stand die SPD am Wahlabend da wie ein Dreier-Schüler, dem man diesmal eine Eins in Aussicht gestellt hatte, doch dann ist es sogar nur ein Vierer geworden. So etwas treibt bei aller Leidensfähigkeit auch Sozialdemokraten in Bayern die Tränen in die Augen. Die Prognosen hatten aber schon Böses erahnen lassen. "Ich war an dem Sonntag nicht allzu überrascht", gibt Peter König, Ortsvereinsvorsitzender in Haar, zu. "Ich habe das erwartet", sagt auch sein Kollege aus Aschheim, Mathias Bauer. "Gerade im Landkreis München gibt es nicht so viele Menschen, die von dem, was die SPD fordert, profitieren können", schätzt der Taufkirchner Michael Schanz die Chancen seiner Partei hier grundsätzlich als schwierig ein.

Gram ist man SPD-Chef Martin Schulz nicht. "Ich war auch gar nicht so euphorisch", sagt die Unterhachingerin Radl, "ich finde ihn gut und dachte mir, mal sehen, wie es wird." "Die Grundstimmung ist noch da", sagt die Kreisvorsitzende Bela Bach. "Klar, die Person Martin Schulz schillert nicht mehr", findet sie, aber der Zustimmung zu ihm als Parteichef habe das Wahlergebnis keinen Abbruch getan.

Auch hat noch keiner auf Grund der mageren Ausbeute enttäuscht das Parteibuch zurückgegeben. "Alle noch da", meldet die Kreisvorsitzende. Es sind sogar nach der Wahl noch ein paar Mitglieder mehr hinzugekommen. Ein Plus von elf Sozialdemokraten zählt Bela Bach in ihrem Unterbezirk. Zwei allein haben sich bei König in Haar angemeldet. "Gleich am Tag nach der Wahl", berichtet der und führt diese prompte Entscheidung vor allem auch auf das "brutale Ergebnis der AfD" zurück. "Da bekommen die Leute das Gefühl, jetzt muss ich etwas tun", sagt König.

Vertrauen in Martin Schulz

Auch Peter Schöne hat sich vor drei Monaten dazu entschlossen, einen Mitgliedsantrag der SPD zu unterschreiben. Wegen Schulz, sagt der Aschheimer. "Aber, die SPD ist auch eine alte Jugendliebe von mir, seit ich Willy Brandt auf dem Marktplatz von Esslingen zugehört hatte", begründet das Neumitglied seinen späten Entschluss. Enttäuscht von Schulz ist er nicht. "Er hat Stehvermögen", findet Schöne. Und das habe sich schließlich doch gelohnt, sagt er mit Blick auf den Wahlausgang in Niedersachsen.

Auch Juso Cobbe steht weiterhin zum Parteivorsitzenden, wenngleich sich Begeisterung anders anhört: "Er ist und bleibt für uns wichtig. Wenn wir ihn erst mit hundert Prozent wählen und jetzt absägen, machen wir uns unglaubwürdig." Auch die Kreisvorsitzende Bela Bach, die es nach 2013 zum zweiten Mal nicht nach Berlin geschafft hat, ist fest entschlossen, weiter zu kämpfen. "Wir haben jetzt die Chance, einen Neustart zu wagen", sagt sie. "Die SPD ist eine so große und stolze Partei, die müssen wir am Leben erhalten."

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