Solln: Prozess in München:"Ich wollte ein bisschen auf cool machen"

Sebastian L. und Markus S. sollen für den Tod von Dominik Brunner verantwortlich sein. Zum Prozessauftakt in München wird deutlich: Sie verstehen ihre Tat selbst nicht.

Bernd Kastner

Am Anfang ist das Staunen. Als die weiße Tür, eingelassen in eine weiße Wand, sich an diesem Vormittag öffnet, erscheinen zwei junge Männer, wie man sie überall auf der Straße treffen kann. Man würde sie dort kaum wahrnehmen, viel zu unauffällig sind sie. Einfach normal. Schmal im Gesicht, schmächtig die Figur, nicht sonderlich groß, der eine im dunklen Hemd, der andere im weißen, beide ordentlich frisiert. Sie schauen sehr ernst, und dann beginnt ein Gewitter aus Blitzlichtern.

Prozessauftakt gegen mutmassliche Moerder von Dominik Brunner

Sebastian L. (Mitte) ist des Mordes an Dominik Brunner angeklagt - ebenso wie sein Kompagnon Markus Sch.

(Foto: ag.ddp)

Später wird einer der Verteidiger sagen, dieses Fotografieren sei eine Katastrophe, ein An-den-Pranger-Stellen. Fünf Minuten dauert es, zehn Minuten, es will nicht enden, erst nach 15 Minuten lassen die Fotografen ab. Vor ihnen stehen, getrennt durch ein rot-weißes Flatterband, wie man es von Tatorten kennt, Markus S. und Sebastian L. Sie sind angeklagt des Mordes an Dominik Brunner.

Hinter den jungen Männern und ihren Verteidigern betritt, fast unbemerkt, ein Mann mit Sonnenbrille den Raum. Er muss sich durch den Saal zwängen, der so rund ist, dass er an eine Manege erinnert. Dann nimmt er gegenüber den Angeklagten Platz: Oskar Brunner, der 80-jährige Vater des Opfers, der als Nebenkläger auftritt. Erstmals sieht er die jungen Männer, denen sein Sohn am 12. September 2009 in der S-Bahn nach Solln begegnete. Brunner senior, vertreten von Anwältin Annette von Stetten, will schweigen während des Prozesses.

Zu den Überraschungen dieses ersten Tags gehört auch, dass Saal 101 im Münchner Strafjustizzentrum, der größte von allen, keineswegs voll wird, nicht die Pressebänke, nicht der Zuschauerrang. Dabei hatte kaum ein anderes Verbrechen in Deutschland in der jüngsten Zeit die Menschen so bewegt wie der gewaltsame Tod des "Helden von Solln", der vier Teenager vor L. und S. schützen wollte. Saal 101, fensterlos, ist der Ort für die großen Prozesse in München: Hier hat vergangenes Jahr der Erpresser der Milliardärin Susanne Klatten in die Kameras gelächelt, hier hat dieselbe Jugendkammer, die jetzt gegen L. und S. zu Gericht sitzt, vor zwei Jahren die U-Bahn-Schläger vom Arabellapark verurteilt. Ihr Opfer war mit dem Leben davongekommen.

Oben, auf der Besuchertribüne, wartet eine ältere Frau auf den Beginn, sie ist öfter hier, sagt sie, weil man hier so viel lernen könne. Deshalb hat sie auch den Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher John Demjanjuk verfolgt, er wurde im Krankenbett in den Saal geschoben. Nun erwartet sie, dass der Richter eindringen werde in die Psyche der Angeklagten, "er wird sie schon fragen, warum man so eine Wut kriegt".

Markus S., mit 18 Jahren (zur Tatzeit) der etwas ältere der beiden Angeklagten, will etwas sagen, gleich zu Beginn, nachdem die Staatsanwältin die Anklage verlesen hat. In diesen Minuten hat er reglos vor sich hin geblickt, die Arme nach unten hängend. Sein Blick war starr, als vom letzten Tritt die Rede war, den er dem am Boden liegenden Dominik Brunner versetzt haben soll - "noch einmal mit voller Wucht von oben nach unten mit dem Fuß auf den Kopf". S. will etwas sagen, erklären seine Anwälte, aber er sehe sich nicht in der Lage dazu, dies selbst zu tun, jetzt, im Gericht, weil er alles noch immer nicht fassen könne. Also verlesen seine Verteidiger, Maximilian Pauls und Hermann Sättler, Markus' Erklärung.

"Das hatte ich gar nicht so ernst gemeint."

Es sind nicht die geschliffenen Worte eines Juristen, es sind die eines Jugendlichen, der seinen Anwälten erzählt hat, wie er sich erinnert an den Tag der Katastrophe. Es sind Sätze wie: "Ich hatte weder Lust auf Stress noch brauchte ich Geld." Oder: "Wir wollten nicht als Deppen dastehen." Oder: "Ich wollte mich ein bisschen aufspielen und auf cool machen." Und: "Das hatte ich gar nicht so ernst gemeint."

Es sind die Sätze eines Jugendlichen, der sich selbst nicht verstehen kann, und den jetzt die Schuld beugt. "Ich weiß, dass das, was ich getan habe, nicht zu entschuldigen ist." Das sagt S. mit eigenen Worten. Sie kommen stockend, das Reden fällt ihm schwer. "Mir tut der Tod Herrn Brunners unendlich leid, ich kann es nicht beschreiben." Nie habe er das gewollt, nie.

Sebastian L., zur Tatzeit 17 Jahre alt, erklärt sich bereit, auf Fragen zu antworten. Auch er entschuldigt sich, auch er habe das niemals gewollt. Sebastian spricht leise und verwaschen, seine Zunge wirkt schwer. Das Gericht muss immer wieder nachfragen.

Reinhold Baier, der Vorsitzende Richter der Jugendkammer, tut das mit großer Ruhe und Geduld. Wäre die Tat, die beide Angeklagte einräumen, nicht so schrecklich, man könnte sagen, dass es Baier gleich in den ersten Stunden gelingt, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen in der schwülen Hitze des Saals. Nach zwei Stunden fragt Baier, fürsorglich fast, ob sich die Angeklagten inzwischen mit der Situation angefreundet hätten, um sich dann selbst zu bremsen: Naja, mit diesem Saal werde er sich selbst auch nie anfreunden. Aber ob es denn trotzdem halbwegs gehe. Nicken auf der Anklagebank.

Einmal sagt Baier, zu L. gewandt, dass er aus dessen Briefen aus dem Knast wisse, wie sehr ihn der Tod des Herrn Brunner belaste, und dass L. Angst vor der Verhandlung habe. "Das verstehe ich absolut." Er bitte aber darum, "dass Sie uns sagen, was los war". Der Richter klingt, als könne er den Schmerz nachfühlen. Jenes Leid, das S. und L. dem Opfer und seiner Familie angetan haben. Aber auch die Qualen, unter denen die Täter seitdem selbst leiden.

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