Serie: Schauplätze der Geschichte:Als die Römer das Fürchten lernten

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Bei der Datierung der Grünwalder Römerschanze, die Heimatforscher Erwin Deprosse zeigt, half eine Münze des Kaisers Magnentius. (Foto: Angelika Bardehle)

Im 4. Jahrhundert steuerte das Imperium seinem Untergang entgegen. Hoch über dem Isartal bei Grünwald sind die Reste einer Schanze verborgen, in der die Menschen Schutz suchten vor Germanenüberfällen. Der Pullacher Heimatforscher Erwin Deprosse weiß, wie es in der Spätantike dort aussah

Von Manuela Warkocz

Unten braust die Isar um den Georgenstein. Oben, auf einem ausgesetzten Bergsporn gut 30 Meter über dem Fluss, macht Erwin Deprosse eine weit ausholende Armbewegung: "Die ganzen Bäume hier, die müssen Sie sich wegdenken." Dann schildert der Archivar, wie die Römer Mitte des 3. Jahrhunderts das Hochplateau gut zwei Kilometer südlich von Grünwald zu einer wehrhaften Festung aufgerüstet haben.

Die Zeiten sind unruhig im spätrömischen Kaiserreich. Es gilt, den wichtigen Isarübergang an der auch militärisch bedeutsamen Römerstraße von Iuvavum, dem heutigen Salzburg, nach Augusta Vindelicorum, heute Augsburg, gegen Übergriffe zu sichern. Gefahr droht von mehreren Seiten. Das Römische Reich befindet sich im Niedergang. Die Grenzen sind bedroht von Feinden. Auch der innere Friede ist gefährdet: Usurpationen, Bürgerkrieg. Deshalb befestigen die Römer in der Spätantike auch im Hinterland des zerfallenden Weltreichs ihre Siedlungen.

Im Isartal ziehen sich die Siedler zwischen dem heutigen Straßlach und Grünwald auf einen dreieckigen Platz am Hochufer zurück. Die Vorteile liegen auf der Hand: Am Hang entspringen Quellen. Und von zwei Seiten ist das Areal bestens durch das natürliche, steil abfallende Gelände geschützt. "Von der Landseite her wird dann eine starke Befestigungsmauer errichtet, mit Türmen bewehrt", erklärt Deprosse. Im Innern erhält das Bollwerk der Römerschanze einen Gussmauerkern, von außen wird es mit Tuffquadern verkleidet. Die Türme flankieren einen Tordurchlass etwa in der Mitte des südlichen Steilhangs. Von dort aus gelangen die Bewohner über einen schmalen, steilen Hangweg hinunter zum Fluss. Den können Soldaten und Kaufleute auf einer römischen Straßenbrücke queren. Reste der antiken Straßenverbindung, heute Via Julia genannt, haben sich auf beiden Uferseiten erhalten.

Reste der Anlage entdeckte der archäologisch interessierte bayerische Generalmajor Carl Popp 1893/94 bei Ausgrabungen an der Grünwalder Römerschanze. 1979 fand sich sogar im Wallbereich eine Goldmünze (Solidus) mit dem Porträt des Kaisers Magnentius (350-353). Die Enden der Mauer sind jedoch längst Hangrutschen zum Opfer gefallen. Heute zeugt lediglich ein etwa eineinhalb Meter hoher Wall von der kleinen, einstmals trutzigen Festung.

Sich an dem einsamen, friedlichen Platz unter Buchen das Leben zur Römerzeit vorzustellen, braucht heute eine gehörige Portion Phantasie. Als Besucher würde man sich nicht nur über Wegweiser zur Römerschanze freuen, sondern auch über Erklärungstafeln oder eine skizzierte Rekonstruktion der Anlage. Derartige Hinweise würden diesen geschichtsträchtigen Platz sicher auch für Kinder zu einem noch eindrucksvolleren Erlebnis machen. Zum Niederlassen bietet sich lediglich ein umgestürzter Baum an. Leider ist auch die Sicht ins Isartal durch mächtigen Baumwuchs versperrt. "Vor 30 Jahren war das noch alles offen", erinnert sich Deprosse an frühere Führungen.

Anschaulich legt der 83-jährige Pullacher Heimatforscher, der sich auch mit den römischen Spuren der Umgebung befasst, den Dorfalltag in der Spätantike dar. Innerhalb der Schutzmauern entfaltet sich das Leben des Vicus auf einem Dreieck von etwa 75 Metern Seitenlänge, einem Viertelhektar Grundfläche. "Die Menschen bauen dort Häuser mit Steinsockel und Lehmfachwerk aus Weidengeflecht und Balken", so Deprosse.

Es gibt alles, was für eine Straßenstation notwendig ist: ein Gasthaus zum Übernachten, eine Schmiede, um ein Rad reparieren zu lassen - Fundstücke der Schmiede befinden sich in der Archäologischen Staatssammlung München -, einen Stall zum Pferdewechsel. Wie viele Menschen leben in der Schanze? "Zu den besten Zeiten", vermutet der Archivar, "sind es vielleicht 100 Bewohner." Wer stirbt, wird in einem Gräberfeld neben dem Abstiegsweg beerdigt. Die Skelett-Gräber wurden leider zerstört, als man in den 1860er Jahren einen Steinbruch an der Südseite vorangetrieben hat. Ein kleiner Quader - inmitten der sonnigen Freifläche auf dem Bergsporn - hat mit der Römerschanze nichts zu tun. Es handelt sich um einen neuzeitlichen geografischen Messpunkt.

Am Ende der römischen Kaiserzeit, irgendwann im 5. Jahrhundert, vernichtete ein Brand die Römerschanze bei Grünwald. Ob Feinde das Dorf angezündet haben und wann der Untergang genau geschah, bleibt im Dunkeln. Klar ist, dass die Schanze nicht wieder aufgebaut wurde. Doch selbst nachdem die Straßenstation zerstört war, bestand der Isarübergang südlich von Grünwald und Pullach noch viele Jahrhunderte als zentraler Knotenpunkt für den Verkehr von der Salzburger Region Richtung Schwaben.

Die beiden mächtigen, bis zu zehn Meter hohen Wälle und tiefen Gräben, die man auf dem Weg zur Schanze durchquert, haben nachweislich nichts mit der Römerzeit zu tun. Sie stammen vielmehr aus dem frühen Mittelalter. Denn im 10. Jahrhundert, zur Zeit der Ungarnkriege, entsteht nahe der Geländezunge bei Grünwald eine neue Befestigung.

Die heutige Burg Grünwald, etwa zwei Kilometer weiter nördlich, geht aller Wahrscheinlichkeit auch nicht direkt auf die Römer zurück. Sie datiert - in einer viel schlichteren Form als jetzt - auf das 12. Jahrhundert. Damals hat die Familie Zirke, Ministerialen der Grafen von Andechs, einen befestigten Sitz in Derbolfing (so lautete der ursprüngliche Name von Grünwald) errichtet. An die antiken Ursprünge der Siedlung erinnert im Ort heute das Bürgerhaus- und Altenheim "Römerschanz".

Am Montag: Im 5. Jahrhundert kommen die Germanen - zum Beispiel nach Erding.

© SZ vom 23.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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