Seminar gegen Flugangst:Der Feind in mir

Sie verkrampfen, sie weinen, sie sind dem Zusammenbruch nahe. Am Ende steigen sie doch ein: Was Teilnehmer eines Anti-Flugangst-Seminars erleben.

Annette Jäger

Manchmal reicht schon der Geruch von Kerosin, und der Körper spielt verrückt: Ein Eisenring legt sich um den Magen, Übelkeit kommt auf, ein Kribbeln breitet sich im ganzen Körper aus, die Atmung wird hektisch, der Mund trocken, das Herz rast davon, im Kopf dreht sich alles. Der Körper ist in hundertprozentiger Alarmbereitschaft - Kampf oder Flucht heißt seine Aufgabe, dabei geht es hier nur um eines: in ein Flugzeug zu steigen.

Seminar gegen Flugangst: Fliegen sieht einfacher aus, als es ist: Der Psychologe Markus Schaer und Co-Pilot Simon Holzinger (Mitte links) versuchen, den Seminarteilnehmern die Angst zu nehmen.

Fliegen sieht einfacher aus, als es ist: Der Psychologe Markus Schaer und Co-Pilot Simon Holzinger (Mitte links) versuchen, den Seminarteilnehmern die Angst zu nehmen.

(Foto: Marco Einfeldt)

Alex, 44 Jahre, ist seit fünf Jahren nicht mehr geflogen. Johann, 30 Jahre, hält es nur aus, wenn er sich eine Schlafmaske und Kopfhörer aufsetzt, um sich abzulenken. Und Ildiko, 59 Jahre, hat schon Flüge umgebucht, wenn die Wetterkarte Wind vorausgesagt hat. Allesamt kommen fix und fertig am Zielort an, den Tränen nahe, körperlich am Rande der totalen Erschöpfung.

Aviophobie, Flugangst, ist der Fachbegriff für den Gefühlscocktail. Mit gut zureden, Vernunft und Statistiken über die Sicherheit des Fliegens ist den Betroffenen nicht mehr beizukommen. Der Kopf ist dann wie ausgeschaltet, die Gefühle sind überwältigend. Kann man diese Kette der Angst durchbrechen? Im Internet wimmelt es nur so von Angeboten, das Problem scheint viele zu betreffen. Sehr viele. Verlässliche Zahlen gibt es nicht, die Dunkelziffer gilt jedoch als hoch.

"Entspannt Fliegen" heißt das Seminar verheißungsvoll, das die Agentur Texter-Millott in Zusammenarbeit mit der Lufthansa am Münchner Flughafen anbietet. Nach 19 Stunden, verteilt auf zwei Tage, mit einem gemeinsamen Flug als Höhepunkt, soll man wieder frohen Mutes in ein Flugzeug einsteigen. Die Erwartung ist groß, die Skepsis auch. Im Pulk mit perfekt geschminkten Stewardessen geht es durch Schiebetüren ins Flight Operations Center, die Verwaltung der Lufthansa und die Koordinationsstelle des Flugbetriebs.

Es geht ganz langsam los. Bei Butterbrezn, Früchtetee und beschwingter Hintergrundmusik soll man erst mal locker werden. Leicht gesagt - vor dem Fenster landet alle zwei Minuten ein Flugzeug. Ermutigend ist dafür Seminarleiter Markus Schaer. Der Diplompsychologe, 34 Jahre, lässt uns wissen, dass ihm Ängste besondere Freude bereiten, wenn er sie gemeinsam mit uns bekämpfen kann.

Bei der Vorstellungsrunde staunen wir: Fünf Menschen, die um die halbe Welt geflogen sind, die Verantwortung tragen und ganze Unternehmen im Alleingang managen, werden hilflos, wenn sie fliegen sollen. Kerstin, die OP-Schwester, ist früher sogar im Rettungshelikopter geflogen, um verletzte Kinder zu begleiten. Bei manchen war die Angst schon immer da, bei anderen löste ein Erlebnis sie plötzlich aus.

Nie waren es wirklich bedrohliche Situationen, eher heftige Turbulenzen oder stressige persönliche Phasen, die den letzten Flug zum Horrortrip werden ließen. Die einen plagt die Angst vor dem Absturz, die anderen tun sich schwer, Kontrolle abzugeben oder werden klaustrophobisch in der Kabine. Die Angst kann jeden treffen. Schaer, der Psychologe, hatte sogar einen Fallschirmspringer im Seminar.

Am ersten Kurstag gibt es Theorie in Massen: Wir erfahren, wie Angst entsteht und was sich körperlich genau abspielt. "Angst ist eine akute Stressreaktion", sagt Schaer. Hormone wie Adrenalin rauschen durch den Körper und rufen die befürchteten Symptome hervor. Klar wird auch, dass es nichts hilft, die Angst zu vermeiden oder unterdrücken zu wollen. Sie wird dann nur noch heftiger. Also: zulassen und darauf vertrauen, dass unser Körper perfekt funktioniert, dass uns nichts passieren kann, wenn innen wieder alles tobt, ermutigt uns Schaer. Wir lauschen, fragen und haben Spaß. Ildiko kennt gute Witze. Es kommen auch Flugzeugabstürze darin vor. Alle lachen.

Am Nachmittag kommt Co-Pilot Simon Holzinger dazu, um uns von der Sicherheit des Fliegens zu überzeugen. Es wird ein fünfstündiger Ausflug in die technische Welt des Abhebens. Wir besichtigen einen Airbus A320 und einen A340 in der Wartungshalle. Inspizieren Bremsen, Reifen, Tragflächen und besuchen das Cockpit. Holzinger erklärt, dass sich die Tragflächen jeweils acht Meter nach oben und unten biegen lassen, dass Turbulenzen lediglich ein Komfortproblem sind, und ein Langstreckenflieger mit 560 Tonnen Gewicht 150 Kilometer weit segeln könnte, bei komplettem Triebwerksausfall.

Unsere volle Begeisterung erntet das Redundanzprinzip: Netz und doppelter Boden gelten beim Fliegen. Jedes technische Detail gibt es in dreifacher, manchmal vierfacher Ausführung. Schubumkehr, Clear Air Turbulence und künstlicher Horizont sind am Ende des Tages keine Fremdworte mehr.

Zum Abschluss noch eine Entspannungsübung in den grauen Sitzen der Economy Class unter Anleitung unseres Psychologen: progressive Muskelent-spannung. Die Hände zu Fäusten geballt, die Arme vor der Brust gekreuzt, den Oberkörper nach vorne gebeugt, pressen wir die Knie zusammen und spannen jeden einzelnen Muskel im Körper fünf Sekunden lang so fest wie nur möglich an.

"Beim nächsten Ausatmen loslassen und im Sitz zurücklehnen", gibt Schaer vor. Wir spüren das Blut wieder bis in die Fingerspitzen strömen, Entspannung macht sich breit. Das wird die Kernübung werden im Umgang mit der Angst. Denn "Angst und Entspannung schließen sich aus", erklärt der Psychologe. Wir gehen erschöpft durch die kerosinschwere Dunkelheit nach Hause.

Am nächsten Tag wird es ernst. Die LH 2070 soll uns um 13.05 Uhr nach Ham-burg fliegen. Die Flugzeit beträgt eine Stunde, zwanzig Minuten. In Hamburg drehen wir uns auf dem Absatz um und fliegen wieder zurück. Wir kommen alle mit unserem persönlichen Stein im Magen um neun Uhr zum Seminar.

Die Muskelentspannungsübungen stehen wieder auf dem Programm, dazu Atemtechniken - tief in den Bauch, mitten ins mulmige Gefühl hinein. Kurz vor dem Aufbruch zum Terminal formuliert jeder noch mal seinen felsenfesten Willen, in dieses Flugzeug einzusteigen und alles auszuhalten, was kommt. "Denn wenn wir etwas wirklich wollen, haben wir es unter Kontrolle", sagt Schaer.

Im Terminal gehen wir mit den anderen Reisenden durch die Sicherheitskontrolle. In der Warteschlange kurz vor dem Einstieg ins Flugzeug gibt es noch mal Tränen. Aber alle steigen ein. Beim Start der Maschine machen wir synchron unsere Entspannungsübungen, beim Abheben sinken wir entspannt in die Sitze.

Wir unterhalten uns, klären die Fluggeräusche mit dem neu erworbenen Wissen, atmen, spannen an, lassen los und sind schon in Hamburg. Das erste Etappenziel löst verhaltenen Jubel aus. Beim Rückflug wackelt es wegen Wind diesmal ein wenig mehr. Anspannen, loslassen, tief amten. Der Kapitän lässt "Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein. . ." über Lautsprecher in der Kabine ertönen. Spielt er das für uns?

Landung in München. Wir haben es geschafft. Für andere mag es wie Busfahren sein, für uns ist es in diesem Moment mindestens die Erklimmung der Zugspitze - und ein Stück Freiheit. Eine Teilnehmerin hat ihre Flugangst auf Null reduziert, sagt sie. Die anderen sind sich sicher, sie mit den Übungen unter Kontrolle zu halten. "We are the Champions" ertönt jetzt im Seminarraum. Stimmt.

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