Seelen-Art in Haar:Faule Seite der Gemütlichkeit

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Kabarettistische Ikone und Schirmherr der Seelen-Art-Aboreihe in Haar: Gerhard Polt. (Foto: Claus Schunk)

Gerhard Polt taucht in Abgründe, manchmal im "Vollrausch-Akzent"

Von Michael Morosow, Haar

Bei Ikonen reicht bereits die pure Präsenz zum allgemeinen Wohlgefallen. Gerhard Polt also, hauptberuflicher Wortakrobat, hat noch gar nicht viel gesagt auf der Bühne des Kleinen Theaters in Haar, als bei einigen im Publikum bereits zum ersten Mal das Zwerchfell zuckt. Dabei hatte er lediglich einen längeren Anlauf genommen für ein hinterkünftiges Eigenlob für seine grenzenlose Toleranz: "Ja, i moan, sicher, logisch, i sag halt wahrscheinlich, i würd's so sagn": "Wenn mia ein Mensch als Mensch entgegenkommt, i hab da kein Problem..." Wie sich freilich im weiteren Verlauf des Abends - einer Veranstaltung der Seelen-Art-Aboreihe - herausstellen sollte, sind Polt, dem gnadenlosen Polterer, zeit seines Lebens schon sehr viele Menschen nicht wie Menschen entgegengekommen.

Und das Eintauchen in die Abgründe der menschlichen Seele ist eben seine Passion, zum Gaudium seiner großen Fangemeinschaft. In seinem Programm "Braucht's des?" schlug er mit Wucht die schrillen wie die dunklen Tasten auf der Klaviatur kleinbürgerlicher Absonderlichkeiten, und weil halt Weihnachten vor der Tür steht, entlarvte er auch noch mit Wonne die Scheinheiligkeit selbsternannter Gutmenschen. So nahm er das Publikum mit zur Familie Böhm im dritten Stock eines Wohnhauses, wo Frau Scharf in einem Katalog nach einsamen Menschen sucht, die sie am Heiligen Abend bei sich aufnehmen kann: Der 16-jährige Vinzenz ist ihnen zu jung, die türkische Reinigungskraft Güldem zu türkisch (Nix gegen Ausländer, aber...), der Kfz-Schlosser Dietz hat mal was ausgefressen. "Vielleicht etwas aus dem Seniorenbereich?" - "Naa, koan Datterer!" - "Vielleicht den Herrn Friedl?" - "Der raucht ja! Es wird doch no an Deitschen geben, der ned raucht und einsam ist!" Schließlich entscheidet sich die tolerante Gesellschaft für den Postler Kosiek, "was Solides". Was Polt vom Homo sapiens im Allgemeinen hält, stellt er kurz und schmerzlos dar: "Zwischenwirt, ein Paradies für Bazillen und Viren, Bestattungsinstitute, Immobilienhändler, Waffenverkäufer, Religionen und Fußpilz."

Auch die faulige Unterseite der bayerischen Gemütlichkeit dreht er gerne nach oben. In dem Stück "Der Rauschgoldengel" schildert er bis ins letzte Promille die Zusammenkunft des Kraftfahrers Hofinger, des Immigranten Kowac und des Trambahners Ferstl im Gasthaus Atzinger, bei der sich das Trio auf den Heiligen Abend einstimmen will. Bald folgt auf "Oh, Du Fröhliche" ein "Wir lagen vor Madagaskar", und am Ende wird der Hofinger, der "viel Freude am Durst hat", nach 24 Weißbieren und diversen Obstlern von seinen Saufkumpanen "vollgesch..." zuhause vor die Tür gelegt. Die Menschen an den Stammtischen und ihr oftmals vulgäres Saufgelage, es ist eine von mehreren Paraderollen des Gerhard Polt, der wie kaum ein anderer den "Vollrausch-Akzent" beherrscht. Auch über die Schlechtigkeit und die Hinterfotzigkeit der Welt findet sich reichlich bei ihm. So in der Geschichte vom Karre, dem Deppen, der so blöd ist, ihm 1500 Euro leihen zu wollen, weil er ihm "hundert Gramm Bethlehem verzählt", und seine Angst nun darin besteht, dass "am Karre sei Oide" ihm nun einrede, dass er ein Parasit sei. "I hoff', dass er so bläd is, dass er ihr nix glaabt, wenn scho, dann is er koa Depp, sondern a Arschloch."

Meist, könnte man meinen, logisch, wahrscheinlich, man würde so sagen - ist der Polt sakrisch bösartig. Wobei seine Boshaftigkeit zwar wie eine spitze Nadel wirkt, aber eine, die mit dem Zapfschlegel ins Fleisch getrieben wird. Der Humor ist dann von bitter-galliger Art. Wenn er zum Beispiel den Opa gibt, der seinen Enkel Geoffrey ("statt den Bubi nach gutem Landesvater-Vorbild einfach Horst zu nennen") Nachhilfe in Geschichte gibt. Dazu fühlt er sich berufen, während das "Lehrermaterial" im Zeitalter des Internets über die Nazi unterrichte, obwohl die Junglehrer doch den Krieg gar nicht erlebt hätten.

In seiner eigenen Schulzeit habe der Geschichtsunterricht 1866 bei der Schlacht von Königgrätz geendet. Den Rest habe ihm sein Großvater erklärt: "Wenn mia den Ersten Krieg gwonna hättn, hätt's den Zweiten net braucht. Programme von Gerhard Polt hingegen braucht's eigentlich immer.

© SZ vom 23.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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