Schultheater und Weltpolitik:Der Krieg ist nah

Lesezeit: 4 min

Die Oberstufen-Theatergruppe des Ernst-Mach-Gymnasiums inszeniert das Stück "Courage, Kattrin!" - in Anlehnung an Bert Brechts "Mutter Courage". (Foto: Robert Haas)

Ob in Haar, Neubiberg oder Unterschleißheim: Jugendliche setzen sich auf der Bühne mit Flucht und Fremdenhass auseinander. Und beantworten damit auch die Frage: Kann Schultheater politisch sein?

Von Irmengard Gnau

Ich bin stumm. Ich kann nicht sagen, was mich betrübt, wo doch so vieles in dieser Zeit." Das Mädchen schaut mit leerem Blick durch ihr Gegenüber hindurch. Das Scheinwerferlicht flackert auf dem jugendlichen Gesicht. In der Ferne grollt Gefechtslärm, unmöglich, natürlich, und doch so bedrohlich, dass er die Zuschauer in der düsteren Aula des Ernst-Mach-Gymnasiums in Haar schlucken lässt. "Mutter Courage" schrieb Berthold Brecht Ende der Dreißigerjahre, das Stück spielt im Dreißigjährigen Krieg, 17. Jahrhundert. Gleichwohl: Die aktuellen Zeitungsberichte, welche die Schauspieler einstreuen, fügen sich beinahe nahtlos ein in die Originalzitate. Krieg damals, Krieg heute.

"Das Thema liegt in der Luft", sagt Thomas Ritter. "Weil es auch so nahe liegt durch die Flüchtlingsthematik." Seit vier Jahren leitet der Lehrer den Theaterbereich Gymnasium. Jedes Jahr bringt die Gruppe ein Stück auf die Bühne. Zuletzt war es eine Komödie. In diesem Jahr haben sich Ritter und seine Schüler ganz bewusst für die "Courage" entschieden, in ihrer eigenen Fassung: "Courage, Kattrin!". "Es war spürbarer Konsens in der Gruppe, dass das Thema Krieg präsent ist", erzählt Ritter. "Wo, wenn nicht im Theater sollte man das aufgreifen?"

Die politische Weltlage treibt viele um. Auch am Gymnasium Neubiberg und am Carl-Orff-Gymnasium in Unterschleißheim setzen sich die Oberstufenschüler in Theaterprojekten - jede Gruppe auf ihre Weise - mit drängenden politischen Motiven der Gegenwart auseinander: Flucht, Vertreibung, Fremdenfeindlichkeit. "Wir haben uns die Frage gestellt: Müssen wir uns diesen Themen nicht stellen, wenn wir jetzt Theater machen?", erklärt Alexander Klessinger, der in Neubiberg das Stück "Angst essen Seele auf" von Rainer Werner Fassbinder inszeniert hat. Die Pegida-Demonstrationen gaben den Ausschlag, dass der Deutschlehrer ein bereits ausgewähltes Stück noch einmal verwarf und Fassbinders Text den Vorzug gab. Doch erreicht das die gerne als unpolitisch bezeichnete junge Generation? Hat sich die Tatsache, dass die Abendnachrichten überquellen mit Horrormeldungen, nicht schon so sehr in die Alltagswahrnehmung eingeschlichen, dass diese nur noch selten unsere Beachtung finden?

Das Interesse der Schüler sei sehr groß gewesen, sagt Klessinger. Sie hatten das starke Bedürfnis, sich abzugrenzen von dem, was da auf den Straßen in deutschen Städten skandiert und gezeigt wurde. In ihrer Inszenierung holte die Gruppe Fassbinders 40 Jahre alte Fassung in die Gegenwart. Aus dem marokkanischen Gastarbeiter wird ein syrischer Flüchtling. Die Erfahrungen, die er und seine deutsche Freundin machen, unterscheiden sich dagegen wenig von denen des Vorbilds. Anfangs, sagt Klessinger, fanden viele Schüler den im Text dargestellten Ausländerhass übertrieben für die heutige Zeit. Doch nach und nach beobachteten sie teils selbst in ihrem Bekanntenkreis Anzeichen für eine subtile Fremdenfeindlichkeit. "Während wir uns mit dem Stück beschäftigten, haben die Schüler gemerkt: Das ist nicht nur Fassbinder von vor 40 Jahren, das ist jetzt und her - und da besteht Handlungsbedarf", so Klessinger.

Besonders deutlich wurde das den Schülern beim Treffen mit einem jungen Syrer. Er berichtete von den Zuständen im Bürgerkrieg, schilderte seine Flucht nach Deutschland. Obgleich inzwischen mehr als 1200 Flüchtlinge im Landkreis leben, kommen die meisten 17- und 18-Jährigen üblicherweise kaum mit ihnen in Berührung. "Der Bezug geht eher über die Medien als über den Alltag", meint Michael Blum, der das Oberstufentheater am Carl-Orff-Gymnasium Unterschleißheim leitet. Auch seine Schüler haben ihr Theaterprojekt "Alle Pinguine sind gleich" im Gespräch mit Flüchtlingen verschiedener Generationen erarbeitet.

Insbesondere, dass die jungen Asylbewerber aus Afghanistan, obwohl sie ungefähr gleich alt sind wie die Schauspieler, eine so gänzlich andere Lebensgeschichte haben, hat die Schüler beeindruckt. "Es war sehr spannend zu sehen, dass sich viele Vorurteile abgebaut haben", erzählt Blume. Bilder in den Köpfen, die oft geprägt sind von der Medienberichterstattung, werden ersetzt durch das Gehörte: Wie ist es, seine Heimat zu verlassen? Wie geht man um mit den eigenen Ängsten und Zweifeln, wenn einem bei der Ankunft in einem Land, das die neue Heimat werden soll, Unwillen und Skepsis entgegenschlagen? Fragen, die den Schülern nahegingen, mit denen sie sich beschäftigt haben.

Das Theater bietet dafür einen ganz anderen Raum, als es die Jugendlichen sonst aus der Schule oder dem Alltag gewöhnt sind. Der Zugang ist kein analytischer, wie er am Gymnasium in vielen Fächern vermittelt wird. Sondern assoziativ und persönlich. Die jungen Schauspieler setzen sich auf der Bühne Emotionen aus, erahnen in einigen Szenen auch körperlich, was Menschen im Krieg, auf der Flucht widerfährt. Sie erspüren Angst, Hass, Gewalt, wenn Kattrin, die stumme Tochter der Mutter Courage, einem tumben Soldatenmob gegenübersteht, ebenso wenn ihre Bekannten die deutsche Freundin des Flüchtlings ihre Abneigung spüren lassen. "Sich in jemanden einzufühlen ist eben noch einmal etwas ganz anderes", sagt Blume. Die Jugendlichen müssten sich positionieren, sagt Ritter: "Wo stehe ich? Was ist meine Haltung dazu?"

Diese intensive Auseinandersetzung bleibt nicht ohne Folgen. "Sonst ist man eher mal aus Versehen in der Tagesschau über diese Themen gestolpert. Wenn man jetzt hört, dass in der Ukraine der Krieg wieder losgeht, geht man da anders ran", sagt Andreas Gebhard aus der Theatergruppe des Haarer Gymnasiums. "Das Stück hat mich zum Denken gebracht", bestätigt sein Schauspielkollege Leon Krafczyk. Eine Erkenntnis ist auch, dass die großen Botschaften des Theaters dieselben bleiben, ob 1940, 1970 oder 2015. Krieg kennt keine Gewinner. Auch die Belagerer haben nichts zu fressen.

"Ich hatte das Gefühl, dass für die Schüler am Ende aus dem Stück ein politisches Anliegen geworden ist", sagt Regisseur Klessinger aus Neubiberg. Und noch eine weitere Erkenntnis hat der 29-Jährige aus der Arbeit mit den Schülern gezogen: "Für mich hat sich bestätigt: Theater ist eine Methode, um Missständen in der Gesellschaft zu begegnen. Kunst kann Statements setzen, die eine ganz andere Qualität haben als eine politische Rede."

© SZ vom 28.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: