Schultheater:"Das ist nichts für das Kind"

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Vier Leute im Auto fahren an einem Unfall vorbei, aber niemand will hinschauen. Die Theatergruppe hat sich für das Stück "Maul ey" viel einfallen lassen. (Foto: Robert Haas)

Jugendliche einer Übergangsklasse bringen in Garching ein beklemmendes Stück auf die Bühne

Von Gudrun Passarge, Garching

Vier Autoreifen, zwei Mädchen, zwei Jungs, ein paar Textzeilen. Mehr braucht es nicht, um eine bedrückende Szene auf die Bühne zu bringen. Die Leute kommen an einem Unfall vorbei. Sie halten nicht an. "Das ist nichts für das Kind", sagt die Oma. "Ein letztes Lied, ein letzter Tanz" singen die Toten Hosen. Gänsehautgefühl. Martina Blechner ist es mit der Theatergruppe der Mittelschule Garching gelungen, ein schwieriges Thema aufzugreifen. Es geht um Mitgefühl, darum, wie die Menschen miteinander umgehen und ob sie bereit sind, zu helfen.

Blechner ist Förderlehrerin und Theaterpädagogin. Seit zwei Jahren schon probt sie mit den Kindern und Jugendlichen der Übergangsklasse für Schüler, die aus den unterschiedlichsten Ländern von Italien bis zum Irak kommen und wenig Deutsch sprechen. Zwei Stunden die Woche holt sie sich jeweils die halbe Klasse, die Schüler sind zwischen 12 und 15 Jahren alt. "Theaterspielen ist bestens für die Integration geeignet", schildert die Lehrerin ihre Erfahrungen. "Ich bin wirklich beeindruckt, was man aus den Kindern und Jugendlichen herausholen kann, wenn man sie ganzheitlich und auf künstlerischer Ebene anspricht." Die Jugendlichen seien mit der Zeit gewachsen. Sie haben viel gelernt. Interaktion in der Gruppe, sich trauen, auf andere zuzugehen, Körperkontakt zulassen, Sprachverständnis entwickeln. "Sie marschieren jetzt glücklich und stolz durch das Schulhaus", sagt Blechner, was wohl nicht von Anfang an so war.

Das Stück "Maul ey" haben sie sich gemeinsam erarbeitet, die Schüler mit ihrer Lehrerin. Vorlage war "Das Stenogramm" von Max von der Grün. Die Geschichte ist schnell erzählt. Ein kalter Februartag, eine eisige Landstraße, ein Auto, das aus der Kurve getragen wird und gegen einen Baum prallt. Darin sitzen ein Arzt und seine Frau, die gerade von einem Krankenbesuch kommen. Viele Autos kommen vorbei, aber keines hält an. Niemand will näher hinschauen, niemand hilft. Ein Fahrer hat getrunken und fürchtet die Polizeikontrolle. Eine Frau denkt sich: selbst schuld, wird schon ein Raser gewesen sein.

Blechner hat sich mit den zwei Mädchen und den sechs Jungs entschieden, sehr minimalistische Mitteln einzusetzen. Alle sind schwarz gekleidet. Die Autoreifen dienen dazu, ein Auto darzustellen, die Schüler rollen sie bei Bedarf auf die Bühne. Zwischen diesen Szenen, die stets von der Musik der Toten Hosen begleitet werden, inszenieren sie eine Art griechischen Chor. "Blut ist im Schuh", sagt die eine Gruppe und geht auf die andere zu, "Halt den Mund" antwortet die zweite Gruppe. Fünf-, sechsmal hintereinander. Nach der nächsten Szene ist es ein anderer Text.

Es ist kein Wohlfühltheater, das die Schüler da präsentieren. Es ist ein Stück, das Raum lässt für Interpretationen. Viel Dunkelheit, eine Glocke, die gleich einer Totenglocke neue Szenen einläutet, melancholische Musik. Nur am Ende lockern die guten alten Beatles das Stück musikalisch etwas auf. Die Schauspieler haben bunte Luftballons aufgepustet und spielen damit auf der Bühne zum Song "Help". Doch dann fragt inmitten des ganzen Luftballongetümmels das Mädchen, das im ersten Auto das Kind gespielt hat: "Lebt der Mann eigentlich noch?" Schluss. Aus. Großer Applaus.

Die Lehrerin freut sich, dass das Stück bei den Mitschülern gut ankommt. Sie berichtet, es sei harte Arbeit für alle Beteiligten gewesen, bis es bühnenreif war. Für die Zuschauer sei es sicherlich eine Horizonterweiterung gewesen, nach dem Stück wurde in den Klassenzimmern sehr tief gehend über das Thema diskutiert. Und vielleicht, so Blechner, sähen jetzt manche ihre Mitschüler aus den Übergangsklassen mit anderen Augen. Sie sitzt nach der Vorstellung in ihrem Klassenzimmer und scheint sich selbst zu wundern, wie gut alles gelungen ist. An ihrer Pinnwand klebt ein gelber Zettel. In großen Lettern steht das Wort Honigdusche darauf. Was das ist? Wenn man jemandem nur Gutes sagt. Nach dieser Vorstellung haben alle eine Honigdusche verdient. Gudrun Passarge

© SZ vom 10.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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