Schuldnerberatung:Zu wenig zum Leben

Altersarmut

Außergewöhnliche Ausgaben kommen für Menschen, die von Grundsicherung leben, nicht in Frage.

(Foto: Stephanie Pilick/dpa)

Trotz florierender Wirtschaft und hoher Beschäftigungsquote verzeichnet die Schuldnerfachberatung der Caritas in Unterschleißheim eine steigende Zahl an Hilfesuchenden. Niedrige Einkommen sind ein Hauptproblem

Von Anika Stiller, Unterschleißheim

Viele Menschen, die zur Beratung kommen, sind in Angst vor den Gläubigern. Seit 2004 berät Ruzica Blazevic kostenlos Schuldner in der Caritas-Beratungsstelle in Unterschleißheim, kennt sich aus mit den Strategien und Druckmitteln der Gläubiger und auch dem breiten Spektrum an Möglichkeiten, die dem Schuldner zur Verfügung stehen - oft ohne davon Kenntnis zu haben.

Die Wirtschaft in Deutschland läuft gut, die Arbeitslosenquote liegt bei einem Rekordtief, das seit 25 Jahren nicht unterboten wurde. Und trotzdem ist die Klientenzahl der Caritas-Schuldnerfachberatungsstelle im Landkreis München im Jahr 2017 gestiegen; im Vergleich zu 2016 um 4,7 Prozent, landkreisweit auf 1271 Klienten, wie eine Statistik der Beratungsstelle zeigt. Niedrige Einkommen sind der Statistik zufolge die Nummer Eins der Überschuldungsgründe im Landkreis. Blazevic sieht auch eine mögliche Erklärung in den gestiegenen Lebenshaltungs- und Mietkosten: Diese seien sehr hoch, der Verdienst aber zu knapp, so die 52-jährige Sozialpädagogin. "Ich würde mir wünschen, dass mehr günstige Wohnungen gebaut und die Mietpreise gestoppt werden."

Auch der Anteil der Ratsuchenden mit Migrationshintergrund im Landkreis ist mit über 45 Prozent auffällig hoch. Diese Menschen verdienten einfach zu wenig, um davon Leben zu können, und kennen sich überdies mit dem deutschen Rechtssystem nicht so aus, erklärt Blazevic. Dazu kämen noch die sprachlichen Barrieren. Es sei insgesamt schwer zu sagen, was der typische Schuldner ist. Schuldner gebe es in allen Schichten, jeden Geschlechts.

An die Schuldner haben die Berater zunächst nur eine Forderung: Die tatsächliche Bereitschaft, das Schuldenproblem anzupacken. "Wichtig für eine gelingende Schuldenregulierung ist die eigene Motivation," sagt Blazevic. Dabei sei die Überwindung zur Beratungsstelle zu gehen, häufig eine große Hürde; viele hofften lange, ihre Probleme selbst regeln zu können. Die Schuldner, die bei ihnen auftauchen, sind häufig sehr eingeschüchtert. "In letzter Zeit erlebt man, dass die Gläubiger und vor allem Gläubigervertreter viel Druck machen, um Schuldner zur Zahlung zu bewegen, sogar Zahlungen zu erzwingen," so die Sozialpädagogin. Tägliche Anrufe, Briefe mit Drohungen gehören zum Programm vieler Gläubiger. Die Rede ist von Zwangsvollstreckungen, Pfändungen, Kontosperrungen. Eigentlich sei der Weg zur Pfändung sehr lang, doch der Druck führe immer wieder so weit, dass die Menschen kleine Raten zahlen; "Angstraten", wie Blazevic und ihre Kollegen sie nennen und welche noch nicht einmal die Zinsen und rapide wachsenden Nebenkosten der Forderungen decken. "Wir in der Beratung versuchen, diese Zahlungen einzustellen; vor allem jene Raten, die zur Schuldenbegleichung gar nichts bringen."

In der Beratungsstelle wird zunächst ein Erstgespräch geführt und dabei geklärt, ob neben den Schulden weitere Probleme bestehen. Laut Beratungsstelle sind zunehmend Klienten mit Multiproblemlagen belastet. Es liegt oft mehr hinter einer Überschuldung: Ehe, Erziehungsprobleme, Sucht, psychische Belastungen, Arbeitslosigkeit oder Krankheit. Entsprechende Ansprechpartner finden sich im gleichen Gebäude der Unterschleißheimer Caritas. Nach etwa 90-minütigem Erstgespräch wird der Ablauf der Beratung erklärt. Erst wenn der Schuldner sich für die weitere Beratung entscheidet, wird er aufgefordert, seine wirtschaftliche und finanzielle Situation offenzulegen. "Die Menschen vertrauen uns und erzählen alles. Sie wissen, dass wir zur Verschwiegenheit verpflichtet sind", sagt Blazevic.

Strategiepläne zur Entschuldung fallen sehr individuell aus: "Jeder Mensch ist anders und jede Verschuldung ist anders und entsprechend jede Entschuldung auch." Nach dem Konzept "Hilfe zur Selbsthilfe" nutzt die Schuldnerberatung gerne die eigenen Potenziale der Menschen. Wenn die Schuldner nicht weiterkommen, lassen die Berater der Caritas sich bevollmächtigen, übernehmen selbst das Verhandeln mit dem Gläubiger. Es wird ein Haushaltsplan der Klienten erstellt; Einnahmen und Ausgaben werden gegenübergestellt und überlegt, wie Einnahmen erhöht oder Ausgaben reduziert werden können. Viele Menschen sind zum Beispiel überversichert. Manchen Menschen sei durch einen so verschafften Überblick bereits geholfen.

Bei Anderen kann bereits helfen, den Gläubigern die finanzielle Situation offen zu legen, viele zeigen sich danach kooperativ. Manchmal lassen sich außergerichtliche Einigungen vereinbaren. Größere oder unüberschaubare Schulden können zum Insolvenzantrag führen. Während der Privatinsolvenz muss der Schuldner in der Regel sechs Jahre den pfändbaren Teil seines Einkommens abgeben. Nach dieser Zeit ist es möglich, für den Rest der Schulden eine Rechtsschuldbefreiung zu bekommen. Manche lernen aus ihrer Schuldenkarriere, andere kommen irgendwann wieder zur Beratung, so Blazevic.

Die Schuldnerberatung ist stark nachgefragt. Drei bis vier Gespräche führe sie am Tag, sagt Blazevic. "Wir würden uns wünschen, dass man früher zu uns kommt, damit wir Schuldenanhäufung rechtzeitig stoppen können."

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