Sagenbuch:Wo die Isarnixe lockt und das Schnarchermanndl spukt

Sagenforscherin Gisela Schinzel-Penth aus München, 2012

Gisela Schinzel-Penth liest in der Grabenmühle.

(Foto: Robert Haas)

Gisela Schinzel-Penth sammelt seit Jahrzehnten Sagen aus München und Umgebung. In der neuesten Ausgabe ihres Buches sind auch einige aus dem Landkreis enthalten - zum Beispiel die Erklärung für das Versickern der Hachinger Bachs.

Von Iris Hilberth und Renate Winkler-Schlang

In der Grundschule lernen die Kinder: Die Isar fließt in die Donau, und die fließt dann irgendwann ins Schwarze Meer. Und der Hachinger Bach? Tja, das ist eine andere Geschichte. Der fließt eigentlich nirgendwo so wirklich hin, außer nach München. Und glaubt man einer alten Sagen, dann sind allein die bösen Müller von Perlach daran Schuld, dass die Wasserader des Hachinger Tals so kläglich in der Landeshauptstadt versickert, anstatt sich mit anderen Gleichgesinnten zusammen zu tun und an Bedeutung zu gewinnen.

Sagenbuch: Die Isarnixe aus der Sage stürzt die Flößer ins Verderben.

Die Isarnixe aus der Sage stürzt die Flößer ins Verderben.

(Foto: Claus Schunk)

"Der Hachingerbach ist ein sehr eigenwilliges Gewässer", beginnt Gisela Schinzel-Penth ihre Erzählung von dem kleinen Rinnsal in Oberhaching, das in Taufkirchen zu einem breiten Bach wird und sich nach Unterhaching wieder verengt, um wenig später ganz zu versickern. Es ist die Sage zweier zerstrittener Brüder, die gemeinsam eine Mühle geerbt haben, sich aber so spinnefeind und uneinsichtig waren, dass sie mit dem plötzlichen Versiegen des Hachinger Bachs direkt vor ihrem Anwesen bestraft wurden.

80 Geschichten sind n der neuen Ausgabe dazugekommen

Die sagenhafte Geschichte des Hachinger Bachs ist eine von vielen die Schinzel-Penth in ihrem Buch "Sagen und Legenden von München" erzählt, das die frühere Lehrerin kürzlich in der fünften Auflage herausgebracht hat. Fast ist es eine Neuerscheinung geworden, denn 80 Geschichten aus der Stadt aber auch dem Landkreis München sind dazugekommen, sodass es fast doppelt so dick wurde wie seine inhaltsschweren Vorgänger und gerade in der Winterzeit als Lektüre beliebt ist.

Lange Nächte, dichter Nebel, und bestenfalls auch noch klirrende Kälte - das ist die Jahreszeit, in der alte Sagen und Legenden am besten ihre Wirkung entfalten. Dass sie aufs Gemüt wirken, obendrein lehrreich sind und die Liebe zur Heimat fördern können, bei großen und bei kleinen Lesern, weiß Gisela Schinzel-Penth am besten.

Sagenbuch: Die Autorin erzählt vom Erbstreit um eine Mühle, die den Hachinger Bach versiegen ließ.

Die Autorin erzählt vom Erbstreit um eine Mühle, die den Hachinger Bach versiegen ließ.

(Foto: Claus Schunk)

Die Sagen-Sammlerin ist sicher, dass sehr viele der seit Generationen überlieferten Erzählungen einen wahren Kern haben, vor allem die, in denen Herrscher im Mittelpunkt stehen, aber auch jene, in denen ein "sagenhafter" Schatz eine Rolle spielt. Manche Sage habe aber vor allem einfach einen erzieherischen Wert gehabt, etwa, wenn es um besondere, umheimliche Strafen für das heimliche illegale Versetzen eines Grenzsteins ging. Dazu gehören die Teufelssagen, ihrer Meinung nach allesamt einstmals erfunden, "dass die Leute brav sind".

Doch Fatalismus fördern für Schinzel-Penth die Sagen nicht, manche mache vielmehr explizit Mut, sein Schicksal in die Hand zu nehmen, seines Glückes Schmid zu sein - gleichzeitig aber immer Ehrfurcht zu haben vor Naturgewalten. Andere reiht die Expertin unter "anekdotenhafte Sagen" ein. Als Beispiel nennt sie das "Wer ko, der ko", das der Pferdehändler Franz Xaver Krenkl beim Überholen der Kutsche des Kronprinzen Ludwig stolz gerufen haben soll. Dann wieder sollten Sagen den Menschen die Heiligen nahe bringen. Oder an die geliebten Toten erinnern. Manches aber gehört für sie auch ins Reich der Märchen - durchaus auch der gruseligen.

Bei Großhesselohe treibt ein Höhlenkobold sein Unwesen

Das Schnarchermanndl bei Großhesselohe etwa ist durchaus etwas zum Fürchten. Ein bösartiger Höhlenkobold, der an den Uferhängen der Isar zwischen Menterschwaige und Pullach sein Unwesen treiben und mit lauten Schnarchtönen wütend vorwitzige Besucher aus seinen Höhlen verjagen soll. Und wehe dem, den es zu fassen bekam. Jedem Eindringling fügte das Schnarchermanndl "großes Leid zu", schreibt Schinzel-Penth. Sicherlich viel schöner, aber nicht ungefährlicher ist die "Isarnixe".

Der Legende zufolge lockt sie an der Marienklause bei Thalkirchen, in anderen Varianten am Georgenstein bei Baierbrunn, mit einem seltsam fesselndem "Tutli-i-i, Tutli-i-i" und brachte so manchem Flößer auf dem reißenden Fluss den Tod. Der liebliche Gesang der "Isarnixe", die als "wunderschön mit großen grünen Augen und langen grünen Haaren" beschrieben wird, soll der Ruf des verwunschenen Grünwalder Burgfräuleins sein, das dafür bestraft wurde, einen Verehrer zum Beweis seiner Liebe in die Fluten der Isar geschickt zu haben.

Allen Sagen gemeinsam ist für Schinzel-Perth, dass man "irgendwie Wurzeln bekommt", wenn man sie liest, noch mehr aber, wenn eine liebe Oma oder andere ältere Verwandte sie vorlesen oder am liebsten noch sie anschaulich erzählen: "Es soll ja weitergehen." Das ist ihr größter Wunsch, denn sie merkt, dass das alte Wissen immer seltener wird und daher mehr denn je gehütet gehört wie ein Schatz.

Pfarrer, Lehrer und Heimatforscher sind die besten Quellen

Sie wird bald 70, erzählt die Autorin, angefangen habe sie bereits mit 17, in einer Zeit, als das Sammeln noch weit mühsamer war. Oftmals musste sie ihre "Informanten" besuchen, schrieb mit oder gleich danach auf, was sie ihr zu sagen hatten. Pfarrer gehörten zu ihren besten Quellen, auch Lehrer, alte Schriftsteller, Heimatforscher.

Dass sie Bairisch spricht, habe ihr dabei sicher sehr geholfen, sagt sie. Sie recherchierte in Bibliotheken und Archiven. Sie machte sich einen Namen, wurde weiterempfohlen, bekam Anrufe, Zugang zu weiteren Hütern des alten Wissens, das früher oftmals noch jeder in einem Dorf kannte. Möglich war das, weil ihre Mutter dann auf ihre Kinder aufpasste und ihr Mann ihr nicht nur den Rücken stärkte, sondern auch manche Illustration zu ihren Büchern beisteuerte.

Nicht nur die Münchner Sagen hat Gisela Schinzel-Penth gesammelt, sie hat sich immer wieder neue Landstriche vorgenommen - und hat inzwischen schon große Angst, dass ihr ihre Lebenszeit nicht reichen wird, alles zu sichern.

Die Autorin beherrscht die hohe Kunst des Weglassens

Die Münchner Sagen aber gehören für die Obermenzingerin zu denen, die bei ihr selbst am besten "funktionieren", die ihre Liebe zur Heimatstadt vertieft haben. Liebeszauber, Wünschelrute, Gespenster und Heilige, Brezen und zu kleine Semmeln, ein tödlicher Basilisk, die Hexe von Menzing, der Geizhals vom Promenadenplatz, die eiserne Jungfrau oder das unheimliche Fausttürchen, zu jedem Stichwort fällt der Sagenforscherin eine Geschichte ein.

Schinzel-Penth beherrscht beim Aufschreiben der Sagen die hohe Kunst des Weglassens. Da wird nicht ausgeholt, nichts unnötig ausgeschmückt, manche Sage in ihrem 400 dicken Buch ist nicht einmal eine halbe Seite lang. Doch das Wichtigste ist drin. Und den Rest erledigt die Fantasie. Vielleicht gerade deshalb ist das dicke Buch eines, das einen begleitet, das man immer wieder zur Hand nehmen kann - vor allem, wenn es draußen kalt und dunkel ist.

"Sagen und Legenden von München", Ambro Lacus Buch- und Bildverlag München, 400 Seiten; 24,98 Euro

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