Realschule Haar:Zentraler Dissens

Realschule Haar: Das Grundstück gegenüber dem Isar-Amper-Klinikum war auch als Standort einer Realschule im Gespräch.

Das Grundstück gegenüber dem Isar-Amper-Klinikum war auch als Standort einer Realschule im Gespräch.

(Foto: Schunk)

Der Bau einer neuen Schule in Haar ist höchst umstritten. Ein Überblick über die wichtigsten Fakten

Interview von Bernhard Lohr

Um den Schulcampus in Haar wird an vielen Fronten gerungen. Spätestens seit der Unterschriftensammlung der örtlichen CSU ist der Bau der Realschule ein Top-Thema in der Gemeinde. Auf Kreisebene machen die Kreisräte der um die Finanzierung des Projekts kämpfenden Gemeinde Druck - und drohen mit dem Bau der Fach- und Berufsoberschule in einem Nachbarort. Nicht zuletzt gilt die Lösung des Problems als Nagelprobe für eine Zusammenarbeit zwischen der Stadt und Umland - das Funktionieren des Systems der Schulzweckverbände. Die SZ gibt auf drängende Fragen Antworten.

Wie kam es zu der Forderung nach einer Realschule?

Lange schon ist Thema, dass die Realschule in Vaterstetten überfüllt ist, die seit Jahren konstant knapp 200 Schüler aus der Nachbargemeinde Haar besuchen. 2002 kam bereits ein Hilferuf des dortigen Rektors. Die Schule wurde erweitert, und 2008 war die nächste Notsituation gegeben. Aus Anzing und Poing wurden keine Schüler mehr in Vaterstetten aufgenommen. Derzeit wird wieder angebaut. Dennoch war Haar als Standort einer Schule zur Entlastung bis 2011 kein Thema. Rückblickend fast ein Wunder. Doch die Zahl der Schüler aus Haar galt stets als zu niedrig.

Wer hatte die Idee, in Haar eine Realschule zu bauen?

Eine Realschule für Haar brachte die CSU-Kreistagsfraktion in Person des damaligen stellvertretenden Landrats Christoph Göbel im November 2011 mit einem Antrag auf den Tisch. Die SPD bezeichnete deshalb dieses Projekt schon als Wahlkampfgeschenk Göbels, der damals bereits Ambitionen auf den Chefposten im Landratsamt hatte. Die Haarer CSU brachte das Thema auch gleich im Gemeinderat zur Sprache. Doch Landrätin Johanna Rumschöttel und Haars Bürgermeister Helmut Dworzak (beide SPD) zweifelten angesichts der Schülerzahlen daran, dass Aussicht auf Genehmigung besteht. Doch dann legte die SPD-Kreistagsfraktion mit Verweis auf den aktualisierten Schulbedarfsplan im Oktober 2013 ihrerseits einen Prüfantrag für einen Schulcampus in Haar, zuzüglich Fos/Bos vor. Die Genehmigung des Kultusministeriums zum Jahresbeginn 2015 kam dennoch für manche überraschend. Angeblich gab mit den Ausschlag, dass die Stadt München bis zu 140 Schüler aus Trudering und der Messestadt eingebracht hatte. Mittlerweile wird nur noch von Schülern aus Trudering gesprochen, weil die Landeshauptstadt in der Messestadt selbst eine Realschule baut.

Was kostet eine Realschule?

Das kommt natürlich auf die Ausführung eines Schulbaus an. Gerne werden die Schulbauten in Taufkirchen und in Poing, Landkreis Ebersberg, herangezogen, um die zu erwartenden Kosten abzuschätzen. Beide staatlichen Schulen haben in toto etwa 30 Millionen Euro gekostet. Ausgehend vom Taufkirchner Beispiel hat Landrat Christoph Göbel (CSU) eine Rechnung aufgemacht: Ausgehend von der Annahme, dass Mensa, Aula und Außenanlagen auf dem Schulcampus der benachbarten und vom Landkreis in eigener Rechnung zu erstellenden Fach- und Berufsoberschule (Fos/Bos) zugeschlagen würden, blieben tatsächlich Baukosten in Höhe von 22 Millionen Euro übrig. Göbel schlug auch schon vor, das der Landkreis das Grundstück erwerben würde. Gesetzt einen staatlichen Fördersatz von 22,96 Prozent fielen bei einem Landkreisanteil von 30 Prozent 5,6 Millionen Euro auf den Kreis. Haar blieben 11,4 Millionen Euro. Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) zieht das Poinger Rechenmodell dem Taufkirchner vor. Der Landkreis Ebersberg setzt anders als der Landkreis München nicht auf Zweckverbände. Dort hat nur der Landkreis die Schule bezahlt. Die Gemeinde Poing habe keinen Cent beigetragen, sagt Müller.

Stehen die Kosten also fest?

Auf keinen Fall. Es gibt viele Unbekannte in der Rechnung. Die Beteiligung des Landkreises über den im Zweckverband vorgesehene Pflichtanteil von 30 Prozent hinaus müsste vom Kreistag gebilligt werden. Auch könnten sich die Kosten vermindern, sollten sich die Stadt München und die Gemeinde Grasbrunn beteiligen. Dies wäre über einen Zweckverband oder über eine Zweckvereinbarung, wie sie München favorisiert, möglich. München könnte auch an einem Standort in Gronsdorf sein dortiges Grundstück zur Verfügung stellen. Die Gemeinde warnt davor, dass je nach Standort hohe Erschließungskosten dazukommen könnten, etwa für den Bau einer Nordspange von Trudering nach Haar, um Gronsdorf anzubinden. Bis zu acht Millionen Euro mehr sind da im Gespräch.

Wer baut die Realschule?

Weiterführende Schulen sind nach Gesetzeslage Sache der Landkreise. Im Landkreis München wurde, auch weil der Landkreis so weit auseinandergezogen ist, als Unikum in Bayern bereits 1965 das System der Zweckverbände eingeführt. Dieses besagt, dass sich der Landkreis und die Schulsitzgemeinde die Kosten für den Schulbau teilen. Weitere Gemeinden, aus denen Schüler die Schule besuchen, sollten möglichst dem Zweckverband angehören. Nach der erst vor kurzem novellierten Zweckvereinbarungs-Regelung trägt die Schulsitzgemeinde 70 Prozent der Baukosten, der Landkreis 30 Prozent. Das Grundstück ist von der Schulsitzgemeinde zu stellen. Die SPD im Kreistag hatte beantragt, vom Zweckverbandssystem abzurücken. Doch eine Mehrheit lehnte das ab. Hinter vorgehaltener Hand wird auch schon darüber gesprochen, das Zweckverband-System juristisch überprüfen zu lassen.

Braucht Haar eine Realschule?

Das ist umstritten. Die CSU in Haar fordert eine solche weiterführende Schule, um das schulische Angebot am Ort zu vervollständigen. Die CSU im Kreis sieht den Bedarf insgesamt im Osten des Landkreises gegeben, ähnlich wie die SPD im Kreis. Eine Sonderstellung nimmt die Haarer SPD ein, die den reinen Bedarf in der Gemeinde anzweifelt und fragt, ob es richtig sein kann, die Gemeinde mit einer zweistelligen Millionensumme zu belasten, ohne nennenswerte Vorteile für Haarer Schüler zu erzielen. Von den 622 für das Jahr 2031 prognostizierten Schülern kommt nur ein Drittel aus Haar. 244 Haarer Schüler besuchten 2013 die Realschulen in Vaterstetten, in Aschheim und Neubiberg. Auch sind die Anfahrtswege zur Realschule nach Vaterstetten kurz. Schüler aus Haar-Ort müssten zu einer Realschule in Gronsdorf eine Station mit der S-Bahn fahren, zur Realschule in Vaterstetten-Baldham fahren sie zwei Stationen in die andere Richtung. Fahrzeitgewinn laut Routenplaner für einen Schüler aus dem Jagdfeldring: drei Minuten. Richtig günstig läge die Gronsdorfer Schule für Truderinger Schüler.

Wieso warnt die SPD immer vor der Kostenfalle für die Gemeinde?

Die Gemeinde Haar ist finanziell seit den Gewerbesteuereinbrüchen 2012 und 2013 nicht mehr auf Rosen gebettet. 2011 hatte die Gemeinde noch 25 Millionen Euro aus der volatilen Quelle der Gewerbesteuer eingenommen. Aktuell werden etwa 13 Millionen Euro erwartet, auf sieben Millionen Euro belaufen sich die zuletzt zusammengeschrumpften Rücklagen. Bürgermeisterin Müller warnt angesichts der finanziellen Lage und der anstehenden Aufgaben davor, die Gemeindefinanzen überzustrapazieren und verweist insbesondere auf die notwendige Investition in eine neue Grundschule. Diese beziffert das Rathaus auf 25 Millionen Euro. Acht Millionen sind für sozialen Wohnungsbau eingeplant und fünf Millionen für Sanierung und Umbau des Maria-Stadler-Seniorenheims. Die Steuerkraft der Gemeinde lag 2014 pro Einwohner bei relativ bescheidenen 1306 Euro, in Feldkirchen bei 2137, in Ismaning bei 3302 und in Unterföhring etwa bei 11 185 Euro. Die Haarer CSU hat nun vorgerechnet, dass bei einer Finanzierung über günstige Kredite 500 000 Euro im Jahr aufzubringen wären. Dies würde durch Vorteile durch die Novelle der Zweckverbandsregelung für das Gymnasiums und durch den Ausstieg aus dem Zweckverband Vaterstetten kompensiert. Die Haarer SPD befürchtet, dass die CSU da eine Milchmädchenrechnung aufmacht und dass die Zeche für die Realschule am Ende die Haarer bezahlen müssen. Müller fordert deshalb immer wieder ein Finanzierungsmodell ein und fragt, welche Einschnitte die CSU in der Gemeinde, die zwei Hallenbäder und ein Freibad unterhält, bereit sei, den Bürgern zuzumuten. Immer öfter fällt schon der Begriff von der Straßenausbaubeitragssatzung. Bisher müssen Anwohner für die Sanierung von Straßen in Haar nichts beitragen. Doch wenn Gemeinden über ihre Finanzkraft hinaus Schulden aufnehmen, pochen die Aufsichtsbehörden darauf, dass sämtliche Einnahmequellen ausgeschöpft werden. Mancher Anlieger könnte dank einer solchen Satzung bei einer Straßensanierung vo der Haustür einen Bescheid über eine Forderung im zweistelligen Tausenderbereich vorfinden.

Wo entsteht die Realschule?

Die Frage, wo eine Realschule oder gar ein noch größerer Schulcampus samt Fos/Bos Platz finden könnte, beschäftigt die Lokalpolitiker seit Anbeginn. Haar ist flächenmäßig eine kleine Gemeinde. Freie Grundstücke sind rar. Die Gemeinde verfügt über kein eigenes Areal. Das Grundstück muss von der S-Bahn aus erreichbar sein, soll Anlieger möglichst nicht mit zusätzlichem Verkehr belasten und es muss groß genug sein. Eine Expertise des Büros Goergens und Miklautz bewertete vier Standorte am S-Bahnhof Haar (zu klein für einen Campus), am S-Bahnhof Gronsdorf (gehört der Stadt München, Verkehrsanbindung fraglich), nahe dem Wertstoffhof (schwierige Verkehrsanbindung) und das sogenannte Jahngrundstück (zu klein). Später rückte das lange favorisierte Areal gegenüber dem Isar-Amper-Klinikum in den Fokus, das dem Bezirk Oberbayern gehört. Letzteres, mit Abwandlung, und das Grundstück in Gronsdorf sind noch im Gespräch.

Wie ist die Haltung der Grundstückseigentümer?

Der Bezirk hat es abgelehnt, das Areal direkt gegenüber dem Haupteingang des Isar-Amper-Klinikums abzugeben. Die Gemeinde hatte angeboten, für bereits dem Bezirk gehörende Flächen hinter dem Klinikum Baurecht zu schaffen, wenn der Bezirk die begehrte Fläche abgibt, die jenseits der B 471 liegt. Doch der Bezirk denkt nicht an eine Ausweitung des Klinikbetriebs, sondern möchte sich Erweiterungsflächen "für nachklinische Nutzungen und ambulante Angebote" freihalten. Das macht für ihn, wie er auf Anfrage hin erläutert, das Grundstück an der B 471/Ecke Leibstraße aus dem gleichen Grund interessant, den auch die Gemeinde für das Schulzentrum ins Feld führt: gute Verkehrsanbindung. Der Bezirk hat deshalb, gleich nebenan ein Grundstück westlich des Bezirksguts und nördlich des Wohngebiets Haar-Eglfing angeboten. Bürgermeisterin Müller hält dieses für städtebaulich wegen seiner Lage außerhalb der Baugrenzen und wegen der fehlenden Straßenanbindung für ungeeignet. Sie sieht den Campus wie Landrat Göbel in Gronsdorf. Münchens OB Dieter Reiter hat sein Okay gegeben, er würde das dortige städtische Areal zur Verfügung stellen. Die Frage ist nur, zu welchen Konditionen. Womöglich könnte das Areal kostenlos eingebracht werden, als Rekompensation für die Schüler aus München, die die Schule besuchen wollen. Unabhängig davon wird erwartet, dass dann in Gronsdorf noch Wohnungsbau folgt, wenn die Schulen kommen. Die Stadt München will sich auf Anfrage noch nicht festlegen, wie sie sich in das Schulprojekt an der Stadtgrenze einbringen könnte. Die Antwort aus dem Bildungsreferat: "Der innerstädtische Abstimmungsprozess zu diesem Thema ist noch nicht abgeschlossen. Wir bitten daher noch um etwas Geduld."

Wann kommt die Realschule?

In dieser Frage herrscht ein zentraler Dissens zwischen Landrat Göbel und Bürgermeisterin Müller. Göbel verweist auf steigende Schülerzahlen und die Notwendigkeit, bald eine Schule im Osten zu errichten. Müller wünscht sich wegen der Kosten für die Gemeinde, den Bau der Realschule erst nach dem Bau der Fos/Bos zu beginnen. Zeitgleich mit dem Grundschulbau sei die Realschule nicht zu finanzieren. Der Bauausschuss des Kreistags hat soeben die Gemeinde aufgefordert, sich klar zum Campus zu bekennen. Ansonsten werde die Fos/Bos woanders gebaut. Mit Kirchheim, Aschheim und Feldkirchen sollen dann Gespräche geführt werden. Inoffiziell wird erwartet, dass Haar sich bis zum Sommer erklärt. Wie der Gemeinderat entscheiden würde, sollte ein entsprechender Antrag vorliegen, ist offen. Die Grünen könnten das Zünglein an der Waage werden. Das Kultusministerium macht im übrigen keinen Zeitdruck. Von dort heißt es, eine einmal erteilte Genehmigung für eine weiterführende Schule sei nicht an zeitliche Fristen für deren Umsetzung gebunden.

Was ist mit dem bisherigen Zweckverband Vaterstetten?

Auch wenn Haar keine Realschule hat und noch keine Kosten für einen Bau anfallen: Die Gemeinde steckt bereits Geld in eine Realschule - und zwar in die in Vaterstetten. 1,5 Millionen Euro fließen von 2014 bis 2018 an Investitionskostenzuschüsse von Haar in den Zweckverband Vaterstetten, der gerade den erneut fälligen Ausbau der dortigen Realschule durchzieht. Parallel wird bereits über die rechtlich und in finanzieller Hinsicht komplexe Frage debattiert, wie ein Austritt Haars aus dem Zweckverband bewerkstelligt werden könnte, der spätestens dann fällig würde, wenn in Haar tatsächlich eine Realschule gebaut würde. Womöglich müssten Millionenbeträge ausbezahlt werden. Eine ähnliche Frage würde sich übrigens für die Gemeinde Grasbrunn stellen, die mit der Landeshauptstadt München - so sie doch mitmachen sollte - im Haarer Realschul-Zweckverband Partner werden könnte. Eine Überlegung ist, den Zweckverband für das Ernst-Mach-Gymnasium in Haar um die Realschule zu erweitern, oder die Haarer Schule in den Zweckverband Vaterstetten zu integrieren.

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