Putzbrunn:Bodyguard gesucht

Putzbrunn: Johannes Rossmanith und Natalie Loibl geben sich oft die Klinke in die Hand, um Arbeit und Betreuung des kleinen Lorenz unter einen Hut zu bringen.

Johannes Rossmanith und Natalie Loibl geben sich oft die Klinke in die Hand, um Arbeit und Betreuung des kleinen Lorenz unter einen Hut zu bringen.

(Foto: Claus Schunk)

Lorenz Loibl aus Putzbrunn hat eine schwere Lebensmittelallergie. Im Kindergarten darf er deshalb nur zwei Stunden bleiben. Die einzige Hoffnung der Eltern ist, einen Betreuer zu finden, der den Dreijährigen dort den ganzen Tag begleitet

Von Christina Hertel, Putzbrunn

Schnipp, schnapp, Haare ab. Lorenz hält eine Schere in seiner Patschehand, er steht auf dem Sofa. Sein Vater sitzt vor ihm mit einem Handtuch um den Hals - wie beim Friseur eben. Doch es fallen keine Strähnen auf den Boden. Die Schere ist aus Plastik, aber Lorenz schaut so ernst, als stünde er gerade wirklich in einem Friseursalon.

Der Junge ist drei Jahre alt, blond, hat große braune Kinderaugen. Er spielt solche Spiele oft mit seinem Vater Johannes Rossmanith. Zu oft, finden seine Eltern. Gleichaltrige Spielkameraden hat Lorenz kaum. Denn er darf nicht den ganzen Tag im Kindergarten bleiben, schon um 10 Uhr muss er wieder abgeholt werden.

Der Knackpunkt ist das Essen: Lorenz hat eine schwere Lebensmittelallergie. Isst er Weizen, Haselnüsse, Milch oder Eier, schwebt er in Lebensgefahr. Und die Kindergärtnerinnen sehen sich nicht in der Lage, ihn angemessen zu beaufsichtigen. Deshalb sucht seine Familie jetzt nach einem Betreuer, der Lorenz im Kindergarten begleitet. Sie haben dafür sogar eine Anzeige geschaltet. "Bodyguard gesucht", heißt es in der Überschrift. Besonders viel Rückmeldungen gab es bis jetzt noch nicht.

Lorenz' Mutter Natalie Loibl sitzt auf dem Wohnzimmerparkett und hält ein Fotoalbum in der Hand. Einfach war es mit ihrem Kind wohl nie. Man sieht Lorenz als Baby mit roter, aufgeschürfter Haut im Gesicht und an den Ärmchen. Er hatte Neurodermitis, aber das war nicht das Schlimmste. "Irgendwann, als ich ihn gestillt habe, ist er angeschwollen, hat keine Luft mehr bekommen", sagt Loibl. Ein Schock, aber sie spricht ruhig und gelassen. Jetzt weiß die 32-Jährige ja, woran es lag. Schon mit vier Monaten wurde bei Lorenz die Allergie durch einen Bluttest festgestellt.

Ein paar Mal sei es richtig knapp gewesen, sagt Loibl. Als sie noch nicht Bescheid wussten, musste vier-, fünfmal der Krankenwagen kommen. Doch so etwas ist schon lange nicht mehr passiert. Sie haben ja ihr Notfall-Set. Bei leichten Anfällen muss Lorenz einen Saft trinken oder Tropfen einnehmen, bei schwereren müssten sie ihm eine Spritze setzen.

Der Kindergarten in Putzbrunn hat der Familie gleich nach einer Woche gesagt, dass Lorenz nicht den ganzen Tag bleiben kann. Gegessen wird in dem Kindergarten eigentlich nur zweimal am Tag. Aber Michael Hohberg, als Hauptamtsleiter der Gemeinde auch für den Kindergarten zuständig, sieht das Problem nicht nur beim Essen: "Was machen wir, wenn die Kinder außen spielen und Lorenz steckt sich eine Nuss in den Mund? Er bekommt keine Luft mehr, aber die Kindergärtnerinnen merken das erst nach zehn Minuten." Er macht eine Pause und schnauft. "Wir würden uns ein Leben lang Vorwürfe machen."

Hohberg kennt den Fall Lorenz gut. Ein DIN-A-4-Ordner voll mit Briefen der Familie und des Bezirks Oberbayern steht in seinem Büro. Ihm wäre es am liebsten, wenn Lorenz im Kindergarten ständig begleitet werden würde. Weil das die "Unsicherheit des Personals" nehme. Im Fall der Fälle wären die Kindergärtnerinnen auch finanziell haftbar. "Wenn sie nicht ständig nach Lorenz sehen, lässt sich von grober Fahrlässigkeit sprechen. Aber die Kindergärtnerinnen müssen eben nicht nur auf ein Kind aufpassen."

Die Loibls wissen das. So ganz verstehen können sie die Argumentation trotzdem nicht. "Es gibt bestimmt auch Kinder, die auf Wespen allergisch sind. Die werden ja auch nicht alle nach Hause geschickt", sagt Natalie Loibl. Außerdem wisse Lorenz genau, was er essen darf und was nicht. Er sei ja ein schlaues Kerlchen. "Sag mal, auf was bist du alles allergisch?" Ein Test, aber Lorenz macht mit. "Weizen", antwortet er und versteckt sich gleich hinter den Beinen seines Vaters. "Du bist doch sonst ned so gschamig", sagt die Mutter und lächelt ihn an. Lorenz kommt wieder hervor und lächelt zurück, zumindest ein bisschen.

Loibl hat Angst, dass sich Lorenz nicht richtig entwickeln kann, wenn er so wenig mit anderen Kindern in Kontakt kommt. Es hat lange gedauert, bis der Dreijährige gelernt hat, dass Teilen etwas Normales ist. "Und beim Kinderturnen gab's immer einen Riesenterz, wenn ich gehen wollte", sagt Loibl. Lorenz hat dann geschrien und geweint. Zuhause ist ihm aber schnell langweilig, dann quengelt er herum.

Auch die anderen Kinder merken, dass der Junge anders ist. "Lorenz wird schon wieder abgeholt, selber schuld, rufen sie im Kindergarten", sagt Loibl in einem Kinderton, der ziemlich fies klingt. Zum Spielen eingeladen habe ihn auch noch nie jemand. "Mir tut das einfach in der Seele weh."

Schlimm ist die Situation für die Familie auch, weil beide, Mutter und Vater, arbeiten gehen müssen, aber auch immer jemand auf Lorenz aufpassen muss - im Kindergarten ist er ja nur zwei Stunden. Natalie Loibl ist Kosmetikerin, Johannes Rossmanith arbeitet bei einer Schuhfirma. Das Paar sieht sich quasi nicht. Wenn der eine von der Arbeit kommt, muss der andere los.

Die Familie hofft, dass sie schnell einen Betreuer für Lorenz findet. Bis jetzt hat sich nur eine Person gemeldet, eine ehemalige Kindergärtnerin. Loibl will bald mit ihr telefonieren, um zu sehen, ob das klappt. "Sie konnte auch gar nicht verstehen, dass Lorenz nicht ganz normal in den Kindergarten gehen kann."

Doch tatsächlich kommen solche Fälle immer häufiger vor. Das weiß Lars Ihlenfeld, Anwalt für Kita-Recht. Er erlebt immer öfter, dass sich Kindergärten weigern, Kinder mit schlimmen Allergien anzunehmen: "Das Argument, dass sie die Sicherheit des Kindes nicht gewährleisten können, ist rechtmäßig." Und in Niedersachsen wurde erst vor Kurzem entschieden, dass ein Sozialhilfeträger die Kosten für einen persönlichen Betreuer für ein Kleinkind mit einer hochgradigen Erdnussallergie übernehmen muss.

"Wir sind gespannt, wie es weitergeht", sagt Loibl und atmet tief durch. Lorenz kommt auf sie zugerannt und gibt ihr einen Kuss. Eigentlich, sagt sie, hätte sie trotzdem irgendwann gern ein zweites Kind.

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