Pullach/Solln:Leben für die Schwächsten

Pullach/Solln: Ruhe findet sie im Kreuzgang des Klosters: Schwester Oberin Rosa Virginia Brill muss sich tagtäglich auch mit weltlichen Problemen beschäftigen.

Ruhe findet sie im Kreuzgang des Klosters: Schwester Oberin Rosa Virginia Brill muss sich tagtäglich auch mit weltlichen Problemen beschäftigen.

(Foto: Catherina Hess)

Die Schwestern vom Guten Hirten kümmern sich um von Verwahrlosung bedrohte Mädchen und viel zu junge Mütter. Ihr Kloster St. Gabriel in Solln feiert 50-jähriges Bestehen. Untermieter sind dort auch ein Blindeninstitut und Pullach mit der Volkshochschule

Von Jürgen Wolfram, Pullach/Solln

Den Ärmsten der Armen zu helfen, das war die Intention der Französin Maria Eufrasia Pelletier, als sie 1835 die Ordensgemeinschaft der Schwestern vom Guten Hirten ins Leben rief. Hauptzielgruppe der Unterstützung waren damals junge Prostituierte, die sich verkaufen mussten, um nicht zu verhungern. Soziale Nöte mögen sich gewandelt haben, ein gravierendes Problem für viele Jugendliche sind sie geblieben. 14-jährige Mädchen, die als alleinerziehende Mütter dastehen; Teenager, die mangels elterlicher Fürsorge gefährdet sind zu verwahrlosen - beileibe keine konstruierten Fälle. Auch wenn sie deutschlandweit nur um die hundert Mitglieder zählen, so sind die Schwestern vom Guten Hirten noch immer zur Stelle, um jene aufzufangen, die den Jugendämtern Sorge bereiten. Eine ihrer wichtigsten Einrichtungen, das Kloster St. Gabriel in Solln, feiert 50-jähriges Bestehen.

"Leider sind wir nicht immer erfolgreich", bilanziert Schwester Oberin Rosa Virginia Brill in aller Bescheidenheit. Dabei gilt der Sozialgebäude-Komplex an der Wolfratshauser Straße weltweit als Vorzeigeinstitution. Hier haben sich schon Gattinnen und Vertraute von Staatspräsidenten Anregungen für die Betreuung junger Frauen in schwierigen Umständen geholt. Tipps, wie man sie durch eine solide Schul- oder Berufsausbildung, durch Sport, Hauswirtschaft und Theaterspiel wieder heranführt an ein sinnvolles Leben. Und wie man aus ihnen Persönlichkeiten mit Selbstwertgefühl formt.

Heute sind auf dem Sechs-Hektar-Gelände, das der Orden einst der benachbarten Marienanstalt Warnberg abkaufte, eine ganze Reihe unterschiedlicher Einrichtungen angesiedelt - darunter ein Kinderhaus, eine "Lebenspforte" mit Babyklappe sowie ein Mutter-Kind-Haus für Mütter ab zwölf Jahren. Im ordenseigenen Altenheim sowie auf der hausinternen Pflegestation leben zurzeit 35 Schwestern. Eine von ihnen arbeitet als Pastoralreferentin im Klinikum rechts der Isar. Zu den Untermietern gehören die Gemeinde Pullach mit ihrer Volkshochschule, ein Blindeninstitut sowie ein außerklinischer Intensivpflegedienst. "Alles sozial-caritativer Bereich, da schauen wir genau hin", betont die Oberin. Besonders ans Herz gewachsen sind den Schwestern die Kindertagesstätten: "Wenn sie die Kleinen spielen sehen, ist die Freude groß." Zur Anlage gehört ebenso die Klosterkirche Maria Regina Angelorum, am 29. Oktober 1965 geweiht von Julius Kardinal Döpfner.

Wer ein Konglomerat von Einrichtungen leitet, in dem mehr als hundert Leute beschäftigt sind, hat meistens Sorgen. Oberin Rosa Virginia, eine Rheinländerin, kam vor zweieinhalb Jahren aus Trier nach München. Seither hat sie die Sicherheit im Blick und ein unsägliches Parkplatzchaos vor Augen. Der Bau einer neuen Autoabstellanlage an der B 11 wird dem Kloster bis heute verwehrt. Deshalb kommt es ständig zu Lärm und Gedränge, wo eigentlich Ruhe und Einkehr herrschen sollten. "Schlimm, diese Situation", kommentiert die Klosterchefin kopfschüttelnd. Ohnehin herrsche gegenwärtig große Unruhe, weil die Fassade des Schwesternhauses energetisch saniert wird.

Bauen ist bei den Schwestern vom Guten Hirten stets ein wichtiges Thema gewesen, seit ihr erstes Münchner Haus im Jahr 1840 in Haidhausen eröffnet wurde; König Ludwig I. hatte der Ordensgemeinschaft seinerzeit das leer stehende Preysingschlösschen zur Verfügung gestellt. Nach und nach entstanden auf dem Schlossgelände ein Kloster und Häuser für Jugendliche. Wegen des Wandels der Heimerziehung - weg von Großstrukturen, hin zu individueller Begleitung und Förderung in Kleingruppen - wurde es bald eng in Haidhausen. Pläne für einen Um- und Erweiterungsbau lehnte der damalige Kardinal Wendel ab; er empfahl einen Neubau andernorts. Die Suche nach einem geeigneten Grundstück zog sich zwei Jahre lang hin, und das laut Oberschwester Rosa Virginia aus einem einfachen Grund: "So eine Einrichtung wie unsere wollte niemand haben." Überall habe sich Widerstand geregt, ungefähr so wie heutzutage bei der Planung von Reha-Einrichtungen für Drogenabhängige. Schließlich klappte es am Südrand von München doch noch; die Architekten Wilhelm und Norbert Gaertner durften sich an die Arbeit machen. Die Planung der Einrichtung lag in den Händen der damaligen Provinzoberin Viktoria Fiereder und der Hausoberin Angelika Kronenberger. Letztere, inzwischen 94 Jahre alt, genießt im Kreise ihrer Mitschwestern höchstes Ansehen. Immerhin war sie federführend dabei, als vor gut 50 Jahren 70 Schwestern, 18 Novizinnen und Postulantinnen sowie 150 Mädchen nach St. Gabriel umzogen.

Eine Zäsur galt es 1986 zu bestehen, als in Bayern neue Heimrichtlinien erlassen wurden. Heilpädagogik, noch kleinere Gruppen, personalintensive Betreuung lauteten die neuen Anforderungen. Zu stemmen war das für die Schwestern kaum noch. 1991 wurden deshalb vier Häuser, in denen zuvor Jugendliche untergebracht waren, vermietet.

Sie dürfen sich auf einen umfassenden Rückblick freuen, die überwiegend betagten Schwestern von St. Gabriel, wenn sie am Freitag, 6. Mai, das Fünfzigjährige feiern. 120 Gäste sind zum Festgottesdienst mit Weihbischof Siebler, zu einem Vortrag über das Leitbild der Ordensgemeinschaft und zu einem Festmahl geladen. Und die Oberin verspricht eine "Glanznummer": Verlesen werden soll eine Botschaft von Angelika Kronenberger. Das war, zur Erinnerung, die noch lebende Gründerin des Klosters in Solln. Anfang nächster Woche folgt eine Fortsetzung der Jubiläumsfestivitäten, auch für die Mitarbeiterinnen des Hauses. Denn vergessen wird angesichts des Ordensmotto niemand: "Jeder Mensch ist mehr wert als die ganze Welt".

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