Junge Flüchtlinge in Pullach:Servus und weg

Pullach, Burg Schwaneck, Unterkunft für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge

Eineinhalb Jahre lang war die Burg Schwaneck für die minderjährigen Flüchtlinge ein Zuhause, an dem sie in Ruhe in einem fremden Land ankommen durften. Nun müssen sie in andere Unterkünfte umziehen.

(Foto: Angelika Bardehle)

Auf der Burg Schwaneck endet eine außergewöhnliche Zeit: Die jungen Flüchtlinge müssen ausziehen - begleitet von Ängsten und Unsicherheit

Von Lea Frehse

Weil Aimal Khan nicht wissen kann, was morgen bringt, träumt er lieber von der fernen Zukunft. Vielleicht, meint Aimal, schaffe er ja die Ausbildung zum Automechaniker. In guten Momenten glaubt er ganz fest daran, gerade morgens, wenn auf der Burg Schwaneck noch alle still sind bis auf die Vögel vor seinem Fenster. Seit Aimal vor eineinhalb Jahren aus Afghanistan nach Deutschland kam, ist die Burg sein Ruhepol.

Doch bald wird er gehen müssen und das bedeutet für den sanften Jungen mit dem offenen Blick vor allem: "Stress". Er muss dann wieder fast von vorne anfangen. "Aber wenn sie sagen geh, dann muss ich gehen." Aimal heißt eigentlich anders, aber nach langer Flucht und Mitten im Asylverfahren muss sein echter Name nicht in der Zeitung stehen. Heute ist Aimals 18. Geburtstag. Zu seinen Ehren haben die Jungs auf der Burg getanzt wie früher in Afghanistan.

Bis zu 117 Jungen und Mädchen wohnten zeitweise auf der Burh

Aimal ist wie alle Jugendlichen hier ohne Eltern in Deutschland angekommen, um Asyl zu suchen. "Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge" heißen sie im Amtsdeutsch und werden in betreuten Einrichtungen untergebracht. Als 2015 besonders viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, funktionierte das Landratsamt kurzerhand die Jugendherberge Burg Schwaneck zu einer solchen Unterkunft um - übergangsweise. 2016 wohnten hier bis zu 117 Jungen und Mädchen.

Nun ist bald Schluss: Bis Ende März wird die Unterkunft aufgelöst. Dann soll die Burg wie schon lange geplant modernisiert werden und im Juli ihre Türen wieder für Jugendgruppen öffnen. Die jugendlichen Flüchtlinge werden deshalb nach und nach einzeln in andere Gemeinden im Landkreis verlegt. An Aimals Geburtstag Ende Februar sind noch etwa 50 Jugendliche auf der Burg. "Wir sind wie ein abnehmender Mond", beschreibt es Christine Salfer, die auf der Burg die Jugendarbeit koordiniert. "Erst haben wir ganz viel aufgebaut, jetzt bauen wir wieder ab".

Salfer, 51, deren Handy fast so oft klingelt wie sie lacht, übernahm ihre Aufgabe, als es mit der Notunterbringung 2015 losging. Die Arbeit auf der Burg habe sie Gelassenheit gelehrt, sagt Salfer, aber heute ist sie doch aufgewühlt: Eben kam wieder eine Nachricht vom Jugendamt, drei weitere Jugendliche werden verlegt - heute noch. Die drei Jungen wissen es noch nicht, aber wenn sie gleich aus der Schule kommen, dann heißt es Koffer packen und los. "Es war immer klar, dass alle die Burg irgendwann verlassen müssen", sagt Salfer. Aber dass die ohnehin verunsicherten Jugendlichen nun so überrumpelt werden, stößt ihr bitter auf: "So behandelt man Menschen nicht!" Um der Empörung richtig Luft zu machen, fehlt die Zeit. Zu viele Abschiede.

"Aber das war den Pullachern zu unbequem."

Bei einer ehrenamtlichen Helferin, die sich unabhängig an die SZ gewandt hat, sitzt der Ärger tiefer. "Die Gemeinde hätte dafür sorgen müssen, dass die Jugendlichen in Pullach hätten bleiben können", meint sie, "aber das war den Pullachern zu unbequem". Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung sehen; sie ist es leid, als Störenfriedin abgetan zu werden.

In der Tat fällt auf, dass nach all den Diskussionen über mögliche Flüchtlingsunterkünfte, nichts entstanden ist, was zumindest einigen Jugendlichen ermöglicht hätte, in Pullach bleiben zu können. Dabei dürfte auch eine Rolle gespielt haben, was Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne) diplomatisch so ausdrückt: "Es ist schon schwierig wenn alle zwar sagen, die Leute müssen untergebracht werden, aber niemand eine Flüchtlingsunterkunft vor seiner Haustür möchte."

Auf der Burg haben sie anfangs noch jedes Mal einen Kuchen gebacken, wenn wieder jemand wegziehen musste, doch heute geht alles zu schnell. Und irgendwie fühlt sich ständig Kuchen essen komisch an, wenn Freunde auseinandergerissen werden. Jetzt heißt es also servus und weg. Es ist ein leises Ende für eine Zeit, die mit einem politischen Paukenschlag begann.

Als Kanzlerin Angela Merkel im Spätsommer 2015 entschied, Deutschlands Grenzen für Flüchtlinge zu öffnen, war das einer dieser seltenen Momente, in dem große Politik im kleinen Pullach unmittelbar spürbar wurde. Plötzlich hieß es in der Gemeinde: zusammenrücken. Flüchtlinge wurden in auch in einer Turnhalle untergebracht, Pullacher brachten Spenden, übersetzten, verteilten Essen. Und in der kommunalen Politik, in der sonst die Planung für einen Spielplatz schon mal Jahre dauern kann, sollten auf einmal komplizierte Bauvorhaben ganz schnell gehen.

München, Hofbräuhaus, 35 Jahre Grüne,

Pullachs Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund

(Foto: Angelika Bardehle)

Dann kam der Baustopp der Regierung von Oberbayern

Dabei lief im Rathaus durchaus nicht alles glatt. Arnulf Mallach von der SPD erinnert sich noch deutlich an die Gemeinderatssitzung im Februar 2016. In seltener Eintracht legten da die Fraktionen von CSU, FDP und der Gruppierung Wir in Pullach (WIP) eine Beschlussvorlage über mögliche Standorte für Flüchtlingsunterkünfte vor, darunter Grundstücke in der Heilmannstraße und die Wiese an der Grundelbergsiedlung. "Das wurde auf den Tisch geknallt, ohne dass wir anderen vorher informiert worden wären", sagt Mallach.

Dank der konservativen Mehrheit passierte der Vorschlag gegen den Widerstand von Opposition und Bürgermeisterin den Gemeinderat. Dabei hatte sich in der Sitzung herauskristallisiert, dass die geplanten Vorhaben problematisch sein würden: Die Wiese am Grundelberg steht teilweise unter Naturschutz, an der Heilmannstraße darf aufgrund der Sicherheitsbestimmungen rund um das Areal des Bundesnachrichtendienstes nur einstöckig gebaut werden. Bevor es ernst werden konnte, rettete eine Anordnung von oben die Gemeinderäte. Weil über zunehmend geschlossene Grenzen weniger Flüchtlinge ins Land kamen, verhängte die Regierung von Oberbayern einen Baustopp für weitere Unterkünfte. Und halfen damit der Gemeinde aus der Bredouille, unangenehme Kompromisse schließen zu müssen.

Vor allem mit einzelnen Bürgern. Zögen Flüchtlinge in die Nachbarschaft, könne man doch die Kinder nicht mehr draußen spielen lassen, hieß es da, und dass Flüchtlinge die Grundstückspreise fallen lassen würden. Das Wort Entwertung ging um. "Einige Pullacher haben vor allem solche wie die Jugendlichen auf der Burg nicht gewollt: alleinstehende, muslimische Männer", meint die kritische Helferin. Auch bei Bürgermeisterin Tausendfreund haben die Ressentiments, die in der Debatte zutage traten, einen sehr bitteren Beigeschmack hinterlassen: "Die Bürger haben viel Verständnis gezeigt, aber es gab auch unangenehme Nebengeräusche".

Beschwerden beim Rathaus voller Vorurteile zum Beispiel. Darunter auch diesen Brief, rassistisch, gewaltlüstern. Tausendfreund übergab ihn damals der Polizei. Was daraus geworden ist, weiß sie nicht.

Aimal sagt es so: "Viele Deutsche sind sehr nett. Und manche nicht so." Deutsche Freunde in seinem Alter hat Aimal noch nicht gefunden, in der Integrationsklasse und der Burg kommt er fast nur mit älteren Ehrenamtlichen und Betreuern in Kontakt. Eine Frau aus der Nachbarschaft hilft ihm heute bei den Hausaufgaben in "Berufsorientierung". Nach eineinhalb Jahren in diesem fremden Land soll Aimal Begriffe buchstabieren wie "Dienstleistungsbereitschaft" und "leistungsgerechte Vergütung". "Schon wirklich schwer, diese langen Wörter", meint die Helferin. "Die machen meine Kopf kaputt!", ruft Aimal.

Bis zu 60 Ehrenamtliche haben auf der Burg bei Hausaufgaben und Behördengängen geholfen - oder einfach mit einem offenen Ohr. Das Engagement reichte immer über Parteigrenzen hinweg, sagt Salfer, die sich bei der WIP engagiert. "Die Menschen sind generell sehr hilfsbereit, aber dass die Flüchtlinge kamen, gab den Anlass, wirklich aktiv zu werden", sagt die Koordinatorin. Beim Kreisjugendring München-Land, für den Salfer hier arbeitet, will man etwas von diesem Momentum des Engagements in die Zukunft retten. Mehrere Seminarangebote für Ehrenamtliche sind eingeplant. Ob die Arbeit auf der Burg aber helfen konnte, Vorurteile abzubauen, da ist Salfer skeptisch: "Wer Kontakt zu den Jugendlichen wollte, hat Kontakt gefunden. Die anderen eben nicht".

"Jetzt bin ich 18, also kommt bald der Brief."

Salfer ist eigentlich selbständig mit einer Werbeagentur. Als es 2015 losging mit den Flüchtlingen, reduzierte sie im Job, um die Koordination auf der Burg zu übernehmen. Anfangs fehlten ihr oft die Worte. "Ich wusste nicht mal, ob ich überhaupt mit denen reden darf - und dann die Sprachbarriere!", sagt Salfer. Die Sprachlosigkeit verflog dann ganz schnell. Nur damit umzugehen, dass Worte nicht über alles trösten können, fällt ihr noch schwer. Wenn schlechte Nachrichten aus Syrien einen Jungen in sich zusammensacken lassen.

Oder wenn plötzlich fast alle afghanischen Jugendlichen Schreiben bekommen, nach denen ihr Asylantrag abgelehnt worden ist. Seit dem Kurswechsel auf Bundesebene, zukünftig weniger Asylsuchenden aus Afghanistan ein Bleiberecht zu geben, sind die Anerkennungsraten deutlich zurückgegangen. Allein auf der Burg haben schon 25 Jungen den Brief bekommen. Viele Helfer fühlen sich vor den Kopf gestoßen. "Das macht alles zunichte, was wir den Jugendlichen darüber gesagt haben, dass sie sich hier sicher fühlen können und anstrengen müssen für ihre Zukunft", sagt die anonyme Helferin.

Aimal, dessen Eltern innerhalb Afghanistans auf der Flucht sind, hat in der Burg eine Ersatzfamilie gefunden. Was in den Nachrichten über Asylverschärfungen gesagt wird, versteht er nicht. Für die Asylpraxis aber sind er und seine Freunde Experten. "Jetzt bin ich 18, also kommt bald der Brief", sagt Aimal.

Wenn sie sich erst einmal sicher fühlten in der Burg, komme das Kind in den Jugendlichen zum Vorschein, sagt Salfer. "Aber über allem bleibt eine Angst, dass die Sicherheit nicht von Dauer sein wird." Von April an kehrt sie zurück in den Vollzeitjob in der Agentur. Was sie mitnehmen wird in ihr neues, altes Leben? Locker bleiben. Vertrauen schenken. Die Freude, dass sich Pullach ein wenig verändert hat: "Die ersten Wochen war es noch ein Hingucker, wenn ein dunkelhäutiger Mensch durch Pullach lief. Inzwischen ist das normal."

Als Deutschland, die sichere Burg, 2015 kurz die Tore öffnete, da musste auch Pullach die gewohnte Komfortzone für einen Moment verlassen. Jetzt sind die Grenzen wieder dicht und die Diskussionen im Gemeinderat zurück bei Lärmschutz und Straßenbeleuchtung. Vielleicht bleibt von der Sache mit der Burg aber etwas von dieser Idee, dass nicht immer alles laufen muss, wie gewohnt. Und dass der Mut lohnt, Projekte auch mal gegen Widerstände umzusetzen. Irgendwie ist es manchmal ja gar nicht so kompliziert: "Wir brauchen einfach einen Platz", sagt Aimal.

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